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Die „Kanzlerpartei“ steht wieder

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Die „Kanzlerpartei“ in der Bundesrepublik steht wieder. In den letzten Jahren war in der CDU die schleichende Krankheit des Schwundes an Popularität und Selbstsicherheit umgegangen. Doch auf dem Parteitag in Braunschweig ist endgültig erkennbar geworden, daß sich die Partei, was dies anlangt, wieder gefangen hat. Sie hat nun in Kiesinger wieder einen Vorsitzenden, der zugleich Kanzler ist, der über wachsendes Ansehen in der Bevölkerung verfügt und allgemein das Gefühl vermittelt, daß in Bonn wieder geführt wird. Um diesen Punkt gruppiert sich alles Denken und Hoffen. Die ungelösten Fragen traten dahinter zurück.

Daß dennoch die Machtkämpfe wie in jeder Partei lebhaft im Gange sind, hat sich in Braunschweig ebenfalls erwiesen. Einige in den letzten Jahren steil aufgeschossene Stars wie der Vorsitzende von Rheinland, der junge Minister a. D. Grundmann, und der Vorsitzende der Jungen Union, Egon Klepsch, wurden nicht in den Bundesvorstand gewählt. Das gleiche Schicksal erlitten verdiente Parteiveteranen wie Theodor Blank, der erste Verteidigungsminister, Arbeitsminister Katzer und Schatzmeister Burgbacher, die diese Wendung sicher nicht erwartet hatten.

Über allen diesen Problemen und Vorgängen ist die Diskussion darüber, in welchen Punkten die Partei ihre Linie ändern muß, noch nicht richtig in Gang gekommen. Zwar macht sich das Fußvolk draußen im Lande mancherlei Gedanken darüber. Aber diese verdichten sich auch jetzt noch nicht zu einer Fülle von Fleißarbeiten, wie sie auf SPD-Parteitagen in Gestalt von Anträgen von Ortsgruppen, Kreis- und Landesverbänden regelmäßig auf den Tisch gelegt werden. Statt dessen wird in einer Anzahl von Ausschüssen ein neues Aktionsprogramm ausgearbeitet. Die Mitglieder dieser Ausschüsse sind von oben ausgesucht. Der nächste Parteitag soll dieses Programm diskutieren und verabschieden. Es kann dann die Ausgangsstellung bilden, von der aus die CDU in den Wahlkampf 1969 führt.

Immer wieder sind in der Partei Stimmen zu vernehmen, daß sie ihr Profil gegenüber der SPD so entschieden wie möglich abheben müsse. Zu einer Profllneurose hat dieses Bedürfnis jedoch noch nicht geführt. Man hat der CDU zwar ähnliches nachgesagt, doch wird es nach der letzten Entwicklung schwerlich dahin kommen. Aber hier und da besteht im Lande doch der Eindruck, die CDU komme in der Öffentlichkeit zur Zeit im Vergleich zur SPD zu kurz weg. Man wünscht daher, ständig klarer verdeutlicht zu sehen, daß die CDU die größere und die führende Regierungspartei ist. Mancher reagiert allergisch, wenn von der Regierung Kiesinger-Brandt statt nur von der Regierung Kiesinger gesprochen wird. Im Untergrund schwelen, wenn auch nur an einigen Stellen, noch immer letzte Vorbehalte gegenüber der Großen Koalition.

Solche Vorbehalte sind indessen bei der SPD — und sicher zahlreicher — anzutreffen. Hier sind stärkere Strömungen vorhanden, die noch immer nicht bejahen, daß die Große Koalition im vorigen Jahr das Gebot der Stunde gewesen sei. Das Zusammengehen mit der jahrelang leidenschaftlich bekämpften CDU ist in diesen Gruppen von Anfang an als Verrat am Wählervolk der SPD aufgefaßt worden. Die Parteiführung — voran Brandt und Wehner — muß auf diese Strömungen sehr sorgfältig achtgeben. Auch bei der CDU fragt man sich, ob zu deutliche CDU-Gewinne und SPD-Rückschläge bei den Landtagswahlen die parteiinterne SPD-Opposition gegen die Große Koalition im Bund nicht in bedenklicher Weise stimulieren könnten. Man sieht deshalb die wiederaufsteigende Kurve der CDU nicht bloß mit einem lachenden Auge.

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