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„Die Kinder des Lichts“

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Die hebräischen Handschriften, die schon vor mehr als drei Jahren in einer Höhle ungefähr zwei Kilometer westlich des Nordwestufers des Toten Meeres gefunden wurden, erweckten durch die Art der Fundumstände und vor allem durch ih ren Inhalt reges Interesse. Schon unmittelbar nach ihrem Bekanntwerden erhob sich über ihr Alter eine lebhafte Diskussion. Im Frühjahr 1949 wurde die ursprünglich nur von Beduinen entdeckte Fundhöhle von einem belgischen Offizier aus dem Stabe der Vereinten Nationen in Palästina identifiziert und ihr Inhalt mit Hilfe der transjordanischen arabischen Legion sichergestellt. Die darin veranstaltete systematische- Untersuchung ergab mit Sicherheit, daß die in der Höhle gefundenen Texte bereits im Jahre 80 vor Christi daselbst sich befanden.

Die Texte befinden sich heute zum Teil im Besitze der hebräischen Universität in Jerusalem, zum Teil im Besitz des orthodox-syrischen St.-Markus-Klosters, in der heute zum jordanischen Königreich gehörenden Altstadt von Jerusalem. Während die hebräische Universität die Herausgabe der in ihrer Hand befindlichen Texte selbst besorgt, werden die dem St.-Markus-Kloster gehörigen Handschriften von der American Schoo! of Oriental Researches herausgegeben. Bis, heute liegt noch keine vollständige Textausgabe über den Fund vor, aber alle Texte, soweit sie bisher bekannt wurden, sowie einige weitere apokryphe Psalmentexte, die sich im Besitze der hebräischen Universität befinden, erschienen vor weni-Wochen im Bialik-Verlag in Jerusalem. Erst diese Veröffentlichung des israelischen Gelehrten Professor S u k e n i k ermöglicht einen Überblick über den Fund in seiner Gesamtheit.

Die Sekte, der die Texte angehören, nennt sich selbst „Kinder des Lichtes“ und ihr theologisches Leitmotiv sind unmittelbare Parusiehoffnungen. In einem der Texte, der von Sukenik „Krieg der Söhne des Lichtes gegen die Söhne der Finsternis“ genannt wurde, wird die Zeit, in der die Sekte in Erscheinung tritt, wie folgt beschrieben: „Es ist die Zeit der Rettung für das Volk Gottes, die Endzeit der Herrschaft für alle Männer seines Loses, das Weltenende für alle, die dem Lose des Ruchlosen angehören.“ Die Sekte scheint sich etwa zur Zeit des Johannes Hyrkanos (135 bis 104) als Opposition gegen die vornehmlich profan-politisch eingestellten Hasmonäerkönige gegründet zu haben. Ursprünglich ging sie dieselben Wege wie die politische Partei der Pharisäer. Gegen Ende der Regierungszeit des Alexander Hyrkanos trennten sich deren Tendenzen von denen der „Kinder des Lichtes“, die sich unter dem „Lehrer der Gerechtigkeit“ gesammelt hatten, der einen „Neuen Bund“ gestiftet hatte.

Der „Lehrer der Gerechtigkeit“ ist die zentrale Erscheinung in sämtlichen Texten, die das Zeitalter des Auftretens der Sekte behandeln. Er ist derjenige Interpret des mosaischen Gesetzes, dessen Anordnungen bindend sind, denn „ihn selbst ließ Er teilhaben an den Geheimnissen Seiner Wunderkraft“. Wer sich zum Lehrer der Gerechtigkeit bekennt, dessen Seele wird gerettet werden, denn „an ihm hat Er viele erleuchtet“. Diese Züge weisen eine verblüffende Ähnlichkeit mit der ebionitischen Christologie auf, wo Christus auch nur neuer Interpret des Gesetzes ist, der sich die Messiaswürde als. Mensch zwar durch die Reinheit seines Wandels verdient hat, aber als Messias sich erst am Ende der Tage allgemein offenbaren wird. Auch der Lehrer der Gerechtigkeit wurde „aus der Unterwelt des Verderbens in die Höhe der kommenden Welt emporgehoben“. Noch zu Lebzeiten des Lehrers der Gerechtigkeit wurde die Sekte schwer verfolgt und der Lehrer selbst mußte Palästina verlassen. „Er wurde aus seinem Lande wie der Vogel aus seinem Nest vertrieben“ und wurde „zu Spott und Schande im Munde all derer, die Lügen reden“, doch „im Vertrauen auf Ihn wird er sich wieder zusammenraffen und gegen diejenigen aufstehen die ihn verschmähen; ebenso wird seine Hand schwer sein auf allen, die ihn verspotten“.

Zur Regierungszeit Alexander Jannais (103 bis 76) fiel die Sekte als solche auseinander. Einige Mitglieder gingen in die

Emigration nach Damaskus, wo sie sich als der sogenannte „Neue Bund im Lande Damaskus“ zusammenschlössen. In Palästina selbst scheinen die Essener die Erbschaft der „Kinder des Lichtes“ angetreten zu haben. Die stark betonte Ehefeindschaft der Essener war bei den Kindern des Lichtes noch nicht so ausgeprägt, doch zählte auch bei ihnen Unzucht zu den größten Verbrechen. Der erhaltene Sektenkanon fordert von denjenigen, die sich zur Sekte bekennen: „Sie sollen all ihr Wissen, ihre Kraft und ihr Vermögen in die Gemeinde Gottes bringen, das tun, was gut und rocht vor Ihm ist, wie Er durch Ivlose und alle Seine Diener, die Propheten, befohlen hat, zu lieben jeden, den Er erwählt, und hassen jeden, den Er verworfen hat, alle Kinder des Lichtes jeden nach seinem Lose im Ratschluß Gottes lieben, und alle Kinder der Finsternis, jeden nach seiner Sündhaftigkeit in der Rache Gottes hassen, nicht umkehren von der Ordnung der Sekte aus ( Furcht oder aus Angst zur Zeit der Herrschaft des Ruchlosen.“ Diese Bestimmungen finden sich sämtlich wieder im Bericht des Josephus Flavius (bellum Judaicum IL, 8, 3 ff.) über die Sekte der Essener.

Die apokryphen Texte selbst gehören dem erwähnten Zeitraum von zirka 140 bis zirka 80 v. Chr. an, dessen politisches Milieu sie schildern. Möglicherweise sind einige Bibelhandschriften älter und stammen noch aus der Zeit vor der Gründung der Sekte. Dazu sind vielleicht drei Fragmente aus dem dritten Buche Moses zu rechnen, die in altsemitischer Buchstabenschrift geschrieben sind und vielleicht aus dem 4. Jahrhundert vor Christi stammen. Außer Fragmenten aus den Büchern Genesis, Deuteronomion, Richter und Daniel sind zusammenhängende biblische Texte nur aus dem Buche Isaias enthalten. Eine dem St.-Markus-Klqster gehörige Rolle enthält den gesamten Text des Buches Isaias, eine zweite im Besitze der hebräischen Universität befindliche Handschrift beinhaltet etwa das letzte Drittel desselben Buches. Die zweifellos interessantesten Texte sind die neugefundenen Apokryphen. Dazu gehören ein Sektenkanon, ein eschatologischer Kommentar zu den ersten beiden Kapiteln des Buches Habakkuk, der „Krieg der Söhne des Lidites gegen die Söhne der Finsternis“ und eine Sammlung apokrypher Psalmen. Letztere sind wahrscheinlich Gebete des Lehrers der Gerechtigkeit und geben somit die deutlichste Auskunft über die religiösen Anschaungen der Sekte.

Das Gebet des Lehrers der Gerechtigkeit aus der Sammlung apokrypher Psalmen:

„Was also ist der Mensch? — Erde ist er, aus dem Staube geknetet und zum Staube kehrt er zurück; — daß Du ihn solch wunderbare Dinge begreifen und das Geheimnis Deiner Größe wissen lassest, denn ich bin Staub und Asche. Was kann ich sinnen, wenn Du nicht willst und was kann ich berechnen ohne Deinen Willen, was kann midi stärken, wenn Du mich nicht aufgerichtet hättest, wie könnt ich begreifen, wenn Du mich nicht gebildet hättest, was könnte ich spredien, wenn Du nicht meinen Mund geöffnet hättest und worauf könnte ich Antwort geben, wenn Du mich nicht mit Vernunft, begabt hättest? Denn siehe, Du bist der Fürst der himmlischen Heersdiaren und König aller Erhabenen, Herr über jeden Geist und Herrscher, über alle Tat. Ohne Dich kann überhaupt nichts geschehen ' und nichts weiß man ohne Deinen Willen. Nichts gibt es, was außer Dir wäre, und keiner ist Dir gleich an Kraft. Nichts gibt es, was Deiner Majestät entspräche und Deine Stärke ist grenzenlos. Wer könnte vor all Deinen großen Wundertaten bestehen, sich hinzustellen, vor Deine Majestät? Und was also ist er — zu seinem Staube kehrt er zurück — daß er bestehen könnte? Nur zu Deiner Ehre hast Du all dies getan.“

Am Ende der Tage wird nach der Ansicht der genannten Psalmen die Schöpfung durch die Bosheit des Menschen selbst zerstört, der die Elemente der Schöpfung gegen deren Ordnung in Aufruhr bringt: „Da ergießen sich die Bäche des Ruchlosen über alle Wasserlachen wie Feuer, das alle aufzehrt, die daraus schöpfen, zu vertilgen alles saftige und trockene Holz aus seinen Wasserrinnen, und es wird sich ausbreiten in lodernden Flammen bis zum Ende aller, die daraus trinken. An den Grundfesten der Erde wird es zehren und an der Weite des Festlandes. Die Abgründe der Berge werden verbrennen und die Wurzeln des Kiesels zu Bächen von Pech. Es wird aufzehren bis zur großen Urtiefe und die Bäche des Ruchlosen werden das Festland durch und durch spalten. Es werden toben die Tiefen des Urmeeres wegen der Menge der Bewegungen des Schlammes. Die Erde wird aufschreien wegen des Unglücks, das über die Welt gekommen ist; all ihre Grundfesten werden zerbrochen und irrsinnig werden all ihre Bewohner, weich werden sie wegen des großen Unglücks.“

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