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Die Kirche als NS- Widerpart

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Ihr Leben gelassen haben viele während der NS-Zeit, jener, die es vorwiegend aus christlicher Gesinnung taten, wird in diesem Dossier gedacht.

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Ihr Leben gelassen haben viele während der NS-Zeit, jener, die es vorwiegend aus christlicher Gesinnung taten, wird in diesem Dossier gedacht.

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Grundsätzlich sei vorweg bemerkt, daß die Motivation zum Widerstand selten oder gar nicht nur religiös war. Meistens, wenn nicht immer, war es ein Motivationsbündel, das zum Widerstand gegen das barbarische NS-Regime führte. Am häufigsten war das religiöse christlich-kirchliche Motiv gepaart mit dem patriotischen. Glauben und Kirchentreue auf der einen und das freie und unabhängige Osterreich auf der anderen Seite, das war die gängige Motivationspaarung, die zum Widerstand führte. Dies eingangs hervorzuheben, ist notwendig, wenn über den christlich motivierten Widerstand gesprochen wird beziehungsweise wenn das religiöse Motiv, das für uns das katholisch-kirchliche ist, aus dem Motivationsgeflecht herausgefiltert und dargelegt werden soll.

Von fundamentaler Bedeutung und Richtigkeit ist die von Historikern und Politologen formulierte Erkenntnis, daß das politische Potential, das die Treue vieler Katholiken zu ihrer Kirche darstellte, nicht zur Änderung beziehungsweise zum Umsturz der damals bestehenden Verhältnisse, sondern allein dazu verwendet wurde, die Verwirklichung der Absichten, die das nationalsozialistische Regime hegte, zu hemmen und einzudämmen. So

war es der alltägliche geistig-religiöse Widerstand, wenn man bei der Fronleichnamsprozession teilnahm, obwohl man fotografiert wurde und sicher sein konnte, daß die Gestapo den Namen und Arbeitsort dadurch ausfindig machen konnte. So war es Widerstand, wenn sich die geistlichen Schwestern weigerten, bei Sterilisierungen zu assistieren. Und es war Widerstand, wenn viele Unbekannte Kardinal Innitzer Geld für seine Hilfsstelle für nichtarische Christen heimlich in den Beichtstuhl brachten. (Vergleiche hierzu: Heinz Hürten, Selbstbehauptung und Widerstand der katholischen Kirche.)

Daß der Nationalsozialismus in Kirche und Theologie den eigentlichen Widerpart sah, den es zu liquidieren galt, hat er hinsichtlich der Theologischen Fakultäten expressis verbis zum Ausdruck gebracht, indem sie als „die Schulungsstätten des weltanschaulichen Gegners” definiert, ausgetrocknet oder liquidiert wurden. So wurden binnen eines Dreivierteljahres drei der vier Theologischen Fakultäten in Österreich zugesperrt. Die vierte, die Wiener Fakultät, wurde ausgetrocknet, bei Professorenabgängen wurden die Lehrstühle nicht nachbesetzt.

Weder die Bischöfe noch die Theologie haben aus dem nationalsozialistischen Kirchenkampf oder aus ihrer Ablehnung von Ideologie und Zielsetzung des Nationalsozialismus die Folgerung gezogen, daß der Katholik zum aktiven Widerstand gegen das NS-Be-gime berechtigt oder gar verpflichtet sei. Einzelne Gläubige und diverse Gruppen aus dem deutschen und österreichischen Katholizismus haben aufgrund von Erfahrungen sich jedoch verpflichtet gewußt, direkte Aktionen gegen das herrschende Begime zu unternehmen. Eine Ermutigung hierzu durch die kirchliche Obrigkeit ist praktisch nicht nachweisbar.

Die moralische und finanzielle Unterstützung der „Antifaschistischen Freiheitsbewegung Österreichs”, die acht Märtyrer, darunter den Grazer Studentenseelsorger P. DDDr. Kapi-stran Pieller, hervorbrachte, durch den Salzburger Erzbischof Andreas Bohra -cher dürfte einen echten Ausnahmefall im sogenannten Großdeutschland

darstellen. Dem passiven Widerstand der offiziellen, episkopal verfaßten katholischen Kirche kann und muß aber der aktive Widerstand gar nicht so weniger Katholiken aus christlichen Motiven beziehungsweise aus Glaubensüberzeugung und patriotischen Motiven zur Seite gestellt werden.

Da der Widerstand von Katholiken aus eigener innerer Überzeugung und ohne Ermutigung durch die Kirchenführung geschah, muß andererseits als bemerkenswert hervorgehoben werden, daß die Bischöfe sich niemals in der Öffentlichkeit von einem Priester oder Laien losgesagt haben, der aus christlichen, im Glauben und im Patriotismus verankerten Gründen verfolgt, eingesperrt, zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Demgegenüber ist es ein vielfach belegbares Faktum, und das zu verschweigen verbietet die Bedlichkeit historischen Forschens und Lehrens, daß ein Priester dem Bischof beziehungsweise der bischöflichen Kurie umso lieber war, je weniger er mit der Gestapo in Berührung kam. Geschah dies aber, kam ein Priester in die Klauen der ns-Maschinerie, haben sich die kirchlichen Exponenten verpflichtet gewußt, für ihn einzutreten, zu intervenieren

und bei Todesurteilen Gnadengesuche einzureichen.

In der wissenschaftlichen Literatur wird über diese Zurückhaltung der Kirchenleitungen viel gerätselt. Manche führen diese förmliche Distanz zur Widerstandstätigkeit darauf zurück, daß die Kirche sich bewußt und programmatisch aus der Politik zurückgezogen und die Politik den Politikern und Parteifunktionären überlassen habe. In diesem Licht muß das Faktum hervorgehoben werden, daß die größten Barbareien in einer Zeit geschehen sind, in der die Kirche am wenigsten in der Politik zu sagen hatte.

Ob der gezielten, bisweilen verhaltenen Kirchenverfolgung hat der Klerus - gemessen an seiner Gesamtzahl - den prozentuell höchsten Anteil an den Opfern des österreichischen Widerstandes: In den sieben Jahren von 1938 bis 1945 waren 724 Priester aus Österreich im Gefängnis, davon sind sieben im Gefängnis gestorben, 110 im KZ, davon sind dort 20 zugrunde gegangen, 15 wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, und jen-e Männer des österreichischen Klerus, die häufig unangenehmen Kontakt mit der Gestapo hatten und in höchster Gefahr lebten und wirkten, sind nicht zählbar (Jakob Fried/Erika Wein-zierl).

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