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Die Kirche regt sich

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Christen und Nichtchristen kennen, in diktatorischen Regimen und in schwierigen Situationen, das Schweigen der Kirche. Ein Schweigen kirchlicher Führer, das oft lange und schwer auf den Gläubigen lastet. Nun haben, in diesen letzten Wochen, Männer der Hierarchie in einigen Brandzonen unserer Welt das Schweigen gebrochen: in Kuba, Frankreich, Jugoslawien, Polen, Deutschland. Dies verdient zunächst zumindest registriert zu werden. Die Folgen sind heute noch nicht absehbar.

Ein bekanntes Photo zeigt Fidel Castro, im Gespräch sitzend, aufmerksam seinem Partner zugeneigt. Dieser ist Evello Diaz, Erzbischof von Havanna, der seinerzeit die Revolution begrüßte. In seinem Hirtenbrief, der sich mit der gegenwärtigen Kampagne gegen die Kirche in Kuba auseinandersetzt, erinnert der Erzbischof von Santiago de Cuba, Enrique Perez Serantes, an diesen schönen Frühling des gesamten Volkes: „Die kubanischen Katholiken haben für die Revolution gekämpft und alles für sie gegeben, was zu geben war. Unter dem Katholizismus fand die Mobilmachung eines Volkes statt. Für die Revolution und den geliebten Fidel Castro spendete man alles: Geld, Kleidung, Gebet und Opfer. Die Männer, die in den Kampf zogen, marschierten zur Sierra Maestra, als ob sie zu einem Kreuzzug aufbrächen. Ihre Frauen und Töchter aber marschierten, mit dem Rosenkranz in der Hand, in den Städten.“ Serantes erinnert an die Kapläne, die die Soldaten in die Sierra Maestra Papst Johannes XXIII.) die Absetzung eines größeren Teils der französischen Bischöfe wegen ihrer Kollaboration mit dein Vichy-Regime forderte. Alte katholische Familien sind zerrissen, durch die gegensätzliche Stellungnahme im Algerienkonflikt. Die einen singen in der Messe: „Zu deinen Füßen, Jungfrau Maria, bitten wir dich / Auf den Knien liegend, daß der Boden Algeriens / französisch bleibt wie wir! I Algerien hat sein Schicksal Jesu geweiht! / Wahnsinnige, die den Glauben verweigern, I möchten Frankreich und seine Söhne davonjagen! I Fall ihnen in den Arm! Gib den Sieg I den mit dem Kruzifix bewaffneten Soldaten.“ Andere sehen, jedesmal, wenn sich der elektrische Strom der Folterinstrumente in den Leib der algerischen Frauen, Mädchen, Männer ergießt, in das Gesicht Christi, die Agonie Christi. Es gibt heute nicht wenige gerade auch katholische Deserteure aus Gewissenskonflikt. Das Manifest der 121 Intellektuellen und das Gegenmanifest der Rechten sind nur Symptom von „La Gangrene“, der Krebsgeschwulst, die Frankreich zu zersetzen droht. Nun haben sich die Erz-bischöfe und Kardinäle Frankreichs in einer Erklärung geäußert. Hier darf daran erinnert werden, daß sie sich vor nicht langer Zeit gegen eine französische Atombombe gewandt haben. Die Hierarchen beteuern „den inständigen Wunsch, daß eine Lösung der Weisheit, die Frankreichs Beispiel der Uneigennützigkeit gegenüber den jungen afrikanischen Nationen würdig ist, Algerien so schnell wie möglich einen gerechten Frieden gibt. Er soll alle berechtigten

Österreich-Woche 23.-30. Oktober 1960 begleiteten. Das Recht und die Größe der kubanischen Revolution, einer wirklichen Volkserhebung gegen ein Regime von Henkern, wird liier nochmals beschworen,,.,

Castro sil Curas no!“: Castro ja! Pfaffen nein! Der Kampf um die Kirche in Kuba ist in vollem Gange. Die immer weiter nach links abgleitende Revolutionsclique wirft der Hierarchie heute vor: „hochverräterisches“ Bündnis mit den Nordamerikanern, um Kardinal Spellman, und Franquismus. Hinter diesem Vorwurf steht nicht nur die von östlichen Emissären geschickt gesteuerte antikirchliche Propaganda, sondern auch die Tatsache, daß von den 700 kubanischen Priestern 400 Spanier sind, von denen zumindest eine Gruppe ihre Augen nach Madrid und Washington richtet. Mit all dem setzt sich der Erzbischof Serantes in seinem Hirtenbrief offen auseinander: „Heute werden diejenigen als Verräter angesehen, die sich gestatten, den Kommunismus zu bekämpfen und offen auszusprechen, daß sie mit den marxistischen Methoden nicht einverstanden sind ... Wer aber hat das Recht, jemanden des Verrats am Vaterland zu bezichtigen, wenn dieser jemand, der sein Vaterland heiß liebt, sich gestattet, offen auszusprechen, daß er nicht so denkt wie die Feinde Gottes, der Freiheit und der Menschenrechte, also wie die Kommunisten?“ „An die Nordamerikaner bindet uns nichts, weder Blut noch Sprache oder Tradition. Wir müssen immer wieder feststellen, daß nordamerikanische Funktionäre niemals irgendwelchen Einfluß auf uns ausgeübt haben, ebensowenig aber auch Falangisten oder Franquisten.“ Der Erzbischof betont aber, daß, wenn die Kirche in die Verlegenheit kommen sollte, zwischen USA und UdSSR zu wählen, es keinen Zweifel über den Ausgang der Wahl geben könne. Zum Abschluß bittet Serantes die führenden Politiker, „Katholiken und Nicht-kommunisten“ in Frieden zu lassen: Es gilt noch, viel für die Revolution zu tun, es ist keine Zeit zu verlieren, die kubanische Familie zu einigen. Der Erzbischof plädiert für ein gemeinsames Leben „in einem Klima der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“. „Immer wieder werden wir sagen: Kuba ja! Kommunismus nein! Und: Kuba ja! Sklaverei niemals.“

Die Kirche in Kuba droht in diesem Konflikt zermalmt zu werden; in Europa macht der französische Katholizismus gegenwärtig seine schwerste Krise seit 1944/45 durch, als de Gaulle vom Nuntius Roncalli (dem heutigen Ansprüche, Rechte, Interessen und Traditionen der verschiedenen Revölkerungsgruppen respek tieren, damit alle zusammen an dem Wohlstand des endlich befriedeten Algeriens arbeiten könl nen“. Die Bischöfe verurteilen die militärische Befehlsverweigerung und alle umstürzlerischen Versuche, welche die Gefahr der Anarchie heraufbeschwören, rufen aber zum Verständnis auf

für die Ängste und Gewissensnöte der jungen Menschen und legen allen nahe, sich um Abhilfe zu bemühen. Die Bischöfe verurteilen die Folter, die Terrorakte zur Erpressung von Geständnissen, die Massenhinrichtungen, die Repressalien gegen Unschuldige. Mit Nachdruck verweisen sie auf die Lehre der Päpste gegen jeden übertriebenen Nationalismus und fordern die französischen Katholiken auf, der internationalen Entwicklung nicht gleichgültig gegenüberzustehen.

Nicht zur Verlesung auf den Kanzeln konnte ein Hirtenbrief des polnischen Episkopats gebracht werden, in dem dieser seine große Sorge über die Bedrohung der Freiheit der Kirche und des. Gewissens bekunden. Daher ihr Entschluß, bei den Behörden Protest zu erheben. Es heißt in diesem Hirtenbrief, die Kirche werde mit unmenschlichem Fanatismus bekämpft. „In diesem Kampf verfügt der Atheismus über alle modernen Mittel, und gleichzeitig verbirgt er sich hinter der Maske der Toleranz, des Humanismus und des Fortschritts. Wenn aber die Katholiken sich zu verteidigen suchen, wirft man ihnen vor, sie seien gegen den Staat, sie seien Feinde des politischen Systems.“ Die Kirche müsse entschieden protestieren, wenn man ihren Glauben als „religiösen Fanatismus“ bezeichne. Niemals habe es in ihr Töne des Hasses, Aufrufe zur Gewalttätigkeit oder Rache gegeben. „Kann man es als Beschuldigung gegen uns gebrauchen, wenn wir die Überreste der einstigen materiellen Basis unserer kirchlichen Seminare, Kirchengemeinden und Diözesen gegen Beschlagnahme verteidigen, die man manchmal auf demagogische Art vollzieht, indem man sie als ehemaliges deutsches Eigentum bezeichnet? Nur Leute, die für ihre Taten unverantwortlich sind, können es wagen, solche Beschuldigungen gegen die Nation zu richten, die in der Frage der Westgebiete -einig, 4&t.“ jg “srb( tnö srfwftir •—••“••

Von diesem Angelpunkt aus, nämlich dem Selbstverständnis der polnischen Nation heute, die überzeugt ist, eine Infragestellung der Oder-Neiße-Grenze würde Polen zermalmen und einen dritten Weltkrieg auslösen, sind die im Westen zuwenig gewürdigten Erklärungen des Kardinals von Warschau gegen den Bonner Kanzler und die „westdeutsche Revanchepolitik“ zu verstehen. Nixons Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze hat eben jetzt, im amerikanischen Wahlkampf, auf manche Vogel-Strauß-Menschen alarmierend gewirkt.

Da hat nun, sehr mutig und auch sofort heftig attackiert, der Bischof von Berlin, Kardinal Julius Döpfner, es gewagt, dieses heiße Eisen anzufassen. Gegenüber dem Kölner Dom ist ein Schaufenster der Stadt Köln, gewidmet der Patea-stadt Breslau. In einer Urkunde in diesem Schaufenster erklärt die Stadt Köln feierlich, mit der Unterschrift ihres Oberbürgermeisters, den Ausdruck ihrer guten Hoffnung, daß diese Urkunde möglichst bald wieder im alten Rathaus in Breslau ihre Aufnahme finden möge. Der Bischof von Berlin ist offensichtlich anderer Ansicht. Döpfner erklärt: „Ganz besonders in den Jahren von 1933 an geschah dem polnischen Volk himmelschreiendes Unrecht, dessen wir uns nur mit Schmerz und Beschämung erinnern können. Der polnische Staat wurde geteilt, ungezählte Polen gemordet und das Volk als slawische Untermensehen wie Sklaven behandelt. Wir wissen, daß all die zahllosen Untaten jener Machthaber, die im Namen unseres Volkes an anderen Völkern begangen und von vielen Deutschen gedankenlos mitvollzogen wurden, in einer beispiellosen Katastrophe auf unser Volk zurückfielen. Wehe dem deutschen Volk, wenn es die Augen vor den Ursachen dieser Heimsuchung verschlösse! Wenn es vergäße, daß wir solches Unrecht zu sühnen haben!“ Der Kardinal von Berlin weist dann auf das Unrecht nach 1945 von der anderen Seite hin. „So möchte es scheinen, als ob das deutsche und das polnische Volk im Teufelskreis der Rechnung und Gegenrechnung verbleiben müßten. Soll das nun unser beider Völker einziges Erbe aus der Vergangenheit sein? Ich meine, beide Völker müßten völlig darauf verzichten, sich gegenseitig Untaten vorzurechnen. Wir wollen lieber in beschämter Wehklage am Grabe der heiligen Hedwig niederknien, das von Anfang an beiden Völkern gehörte...“ „Unser deutsches Volk sollte sich bei einer solchen Friedensbetrachtung am Hedwigstag ein dreifaches fest einprägen: 1. Krieg als Mittel zur Neuordnung des Verhältnisses zwischen Polen und Deutschland scheidet von vornherein aus. Ich weiß, daß alle verantwortlichen Männer und das ganze deutsche Volk in seiner überwältigenden Mehrheit so denken. Aber dieser unverrückbare Grundsatz kann nicht tief genug in unser Denken und Fühlen eingeprägt werden. 2. Das deutsche Volk kann nach allem, was in seinem Namen geschehen ist, den Frieden nur unter sehr großen Opfern erlangen. Es wäre eine folgenschwere Selbsttäuschung, anzunehmen, daß ein Volk eine Politik, wie sie jenes Regime gegenüber anderen Völkern betrieben hat, nicht noch begleichen muß. Der einzelne Christ aber ist im Licht der Kreuzesbotschaft dazu berufen,die Last, die ihm dabei aufgeladen wird, als Opfer und Sühne für sein Volk zu sehen und zi tragen. 3. Für die Zukunft ist die Gemeinschaf der Völker und Staaten wichtiger als Grenzfragen. Eine notvolle Vergangenheit lehrt, daß in vielen Fällen die Staatsgrenzen dem Volkstum nicht genau entsprechen können. Das ungeschmälerte Recht der Minderheiten, ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Völkern, offene Grenzen für Handel und Wandel, das sind entscheidende Aufgaben der Zukunft. Es muß unser aller Mühen sein, etwa noch vorhandene Giftstoffe eines engen Nationalismus aus unserem Volke zu verbannen.“

Nach diesen tapferen Worten, die sich nicht weniger treffend in einem italienischen Hirtenwort ausnehmen würden, wendet sich der Kardinal von Berlin an „unsere katholischen Brüder in Polen“, gedenkt der Worte eines harten Mißtrauens von drüben in der letzten Zeit — dies als Antwort an Kardinal Wyschinski — und versichert den Polen, daß die Deutschen mit ihnen in Frieden leben wollen, und hofft, daß sie, die Polen, sich nicht von der Ideologie des Klassenkampfes und deren Mißbrauch nationalistischer Instinkte gefangennehmen lassen.

So spricht heute die Kirche: in Kuba, Frankreich, Polen und Deutschland. Offene Worte. Mauern von Macht und Ohnmacht, Haß und unbewältigter Vergangenheit, hüben und drüben, suchen ein Eindringen dieser Worte ins Bewußtsein, nicht zuletzt von Christen, abzuwehren.

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