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Die kommunistische Diktatur hatte verschiedene Gesichter

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Tina Rosenberg hat ein kluges, in bester amerikanischer Reporterart intensiv recherchiertes Buch über den Ubergang von einem totalitären Begime zur demokratischen Begierungsform geschrieben: „Die Bache der Geschichte, Erkundigungen im neuen Europa”. Es ging ihr unter anderem um die nationalen Unterschiede. In Polen, der Tschechoslowakei und der DDB ging man sehr verschieden mit der totalitären Macht um. „Im Kampf um die Definition der Vergangenheit,” schreibt sie, „zeigt sich am deutlichsten, wie Osteuropäer um die Herrschaft über die Gegenwart ringen.”

Ausführliche Gespräche mit Akteuren vermitteln eine zum Teil ungewöhnliche Sicht der Vorgänge. So etwa mit dem aktiven Dissidenten Budolf Zu-kal. Der Mann aus einfachen Verhältnissen, der sich der Jugendorganisation und dann der KP anschließt, steigt auf, wird Bektor der W irtschaftsuni versi -tat, dann kommen für den Idealisten die Enttäuschungen. Er engagiert sich bei der Vorbereitung des Prager Frühlings. 1968 stimmt er gegen den sowjetischen Einmarsch, verliert seine Stellung und verbringt die nächsten 20 Jahre als Baggerführer bei der Beinigung von Fischteichen. In dieser Zeit arbeitete er aktiv bei Sa-misdatzeitungen mit und gehörte zu den Gründern der Charta 77. Nach dem Sturz des Kommunismus wurde er Parlamentsabgeordneter, bis eines Tages der böse Schlag kam: Er mußte als angeblicher Informant der Stb, der tschechischen Stasi, zurücktreten. Anläßlich eines kurzen Aufenthaltes in Wien hatte ein Schulfreund Kontakt mit ihm aufgenommen. Der Mann war Geheimpolizist und versuchte, Informationen von Zukal zu bekommen. Zukal hielt ihn hin, erzählte Unwichtiges. Die Stb stufte ihn als „ideologischen Mitarbeiter”, doch „als Agent nicht verwendbar” ein. Für die fanatischen Antikommuni-sten, die oft genug vorher fanatische Kommunisten waren, ein klarer Schuldbeweis. Ein Mitglied der Kommission, die Zukal jetzt verurteilte, war Jiri Buml, der sich in den fünfziger Jahren mit fanatischen Badiobe-richten von den Slanskyprozessen hervortat. „Seine Verleumdung der Angeklagten stellte in geringem Umfang eine Beteiligung an ihrer Ermordung dar,” stellt die Autorin fest. Stets politically correct, saß er nun über Dissidenten Gericht. Die Argumente der Ausschüsse entsprachen denen der Stalinisten: „Selbst wenn die genannten Abgeordneten unschuldig sind, müssen sie zurücktreten,” sonst würden sie das Ansehen des Landes untergraben, sagt der Vorsitzende Petr Toman, und „wenn sie ihre Schuld zugeben, dienen sie einem höheren Zweck”, erklärt Buml. Eine Argumentation, die schon unter Stalin üblich war. Nachzulesen in Arthur Koestlers „Sonnenfinsternis”.

„Wir sind nicht wie sie! riefen die Menschen der Samtenen Revolution - die grausamste Lüge, um so grausamer, als sie sich damit selbst belügen”, schließt Rosenberg den Tschechien-Teil.

Die polnischen Interviews scheinen aus einer anderen Welt zu kommen. Von vornherein war das kommunistische Regime aufgelockerter als sonstwo in Osteuropa. Aller grundsätzlichen Gegnerschaft zum Trotz riß auch in Zeiten größter Spannung der Kontakt zwischen den Feinden nie völlig ab, und so ist es wohl nicht verwunderlich, daß auch die Abrechnung nach dem Fall des Kommunismus glimpflich verlief.

Im Lauf der Jahre hat sich herausgestellt, daß für Außenstehende der interessanteste Zug der DDR die Stasi war. Alle hatten sie ihre Geheimpolizeien gehabt, extrem brutal, wenn auch etwas gemildert durch Schlamperei in Tschechien, weit weniger brutal und noch schludriger in Polen. Fast wissenschaftlich wurde die Stasi in der DDR aufgebaut. Entgleisungen nach dem Sturz der Mauer wurden durch die deutschen Behörden verhindert: „Die Öffnung der Akten für die Opfer verringerte beträchtlich die Möglichkeit von Erpressungen.”

Auch Tina Rosenberg drängte sich der Vergleich zwischen der Bewältigung der ostdeutschen kommunistischen Vergangenheit mit der des Nazismus auf. Ihre Analyse der Entnazifizierung ist von großer Intelligenz. Sie erkannte den wesentlichen Unterschied, der darin liegt, daß in Deutsch -land bei der Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit Westdeutsche die führende Bolle spielten, die in die Ereignisse nicht involviert waren, während in Polen und Tschechien tatsächlich Gesellschaften mit ihrer eigenen Vergangenheit zu Rande kommen mußten.

Im Westen und im Osten wurden verschiedene Maßstäbe angewandt: „In der Sowjetischen Besatzungszone erfolgte die Entnazifizierung paradoxerweise umfassender und zugleich oberflächlicher als im Westen.” Doch die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen in den Ostblockländern erwies sich als viel schwieriger als die Entnazifizierung. Die eigentlichen Verbrechen wurden in der Zeit Stalins begangen und oft von der Besatzungsmacht erzwungen. Nach dem Ende des Stalinismus fielen die nun weniger häufigen Verbrechen unter neue, oft unmenschliche Gesetze, aber doch Gesetze. Der im Osten noch nicht recht verstandene Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete, „daß Bürger, die heute im Rahmen der bestehenden Gesetze handeln, nicht morgen eine mögliche Bestrafung zu befürchten haben.” Ein problematischer Satz, wenn man ihn auf die NS-Vergangenheit und auf verbrecherische Gesetze anwendet.

Alle Länder, die eine Diktatur hinter sich haben, haben auch ähnliche Probleme. Bosenberg erwähnt die lateinamerikanischen Diktaturen. Die Macht der Armeen bedroht dort immer noch die jungen Demokratien. In Osteuropa ist die alte Diktatur gründlich gebrochen. Hier liegt die Gefahr anderswo: „Schrankenlose Macht in den Händen von Antikommunisten ist nicht weniger bedrohlich.” Das Buch endet: „Das Gegenteil von Kommunismus ist nicht Antikommu-nismus. Das Gegenteil ist Toleranz und Rechtsstaatlichkeit. Wie diese Demokratien mit ihrer Vergangenheit umgehen, ist eine erste Bewährungsprobe, die zeigt, ob diese Werte die Oberhand behalten werden.”

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