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„Die Kreisauer Gruppe“

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Weil uns die Ökonomie der Weltgeschichte im großen dunkel bleibt, wissen -wir nie, was geschehen würde, wenn etwas, und sei es das Schrecklichste, unterblieben wäre. Statt einer weltgeschichtlichen Woge, die wir kennen, wäre wohl eine andere gekommen, die wir nicht kennen, statt eines schlimmen Unterdrückers vielleicht ein noch böserer.

Nur soll deshalb kein Mächtiger sich zu entschuldigen glauben mit dem Wort: „Tun wir's nicht, so tut's ein anderer“, womit jede Art von Verbrechen gerechtfertigt werden könnte.

Jacob Burckhardt, .Weltgeschichtliche Betrachtungen“

Man täte 3er deutschen Widerstands-, bewegung unrecht, wenn man ihre Bestrebungen auf gewaltsamen Umsturz und auf Attentatspläne beschränkt haben wollte. Diese Form der mechanisdien Gegenwirkung hatte in der Generalsfronde ihre markantesten Vertreter. Neben ihr und von ihr nicht immer gern gesehen, sammelten sich aber geistige Gegenkräfte, die den Sturz des herrschenden Regimes als ohnedies sicher voraussehend, in der Planung des Künftigen ihre Aufgabe sahen.

Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Richtung zählt Helmut James Graf vpn Moltke, und es ist interessant, zu erfahren, daß das Schicksal eines der bekanntesten deutschen katholischen Priester-Märtyrer jener Zeit, des Jesuitenpaters D e 1 p, in Moltkes Untergang hineinverflochten ist.

„Eine der ausgeprägtesten Persönlichkeiten, klug, durchdacht, energisch, würdig seines großen Vorfahren“, nennt ihn H. B. Gisevius. Unermüdlich tätig, war er doch der'Hauptrepräsentant des „Nichthandeins“. „Denn all sein Eifer und seine Phantasie waren nur auf das Künftige gerichtet.“ Aus seiner tiefen Skepsis gegenüber allen Aktionen der Militärs heraus, schwebte Moltke so etwas wie eine „gesteuerte Niederlage“ vor. Die Gemeinschaftsarbeit diese* Mannes und seiner — nach Moltkes Gut „Kreisauer Kreis“ benannten — Mitarbeiter wurde in Denkschriften festgehalten-, die erhalten blieben und deren Gisevius höchst ehrenvoll gedenkt.

Die Zeitschrift „Die neue Auslese“ bringt über Moltkes Kämpfe und Untergang einen Bericht, der aus einem Aufsatze in der Londoner Vierteljahrsschrift „Round Table“ stammt und dessen Tatsachen wir hier folgen lassen.

Moltke, dessen Mutter die Tochter des Oberrichters von Transvaal war, hatte im Frieden ausgezeichnete Auslandsbeziehungen gehabt. Sozial- tief empfindend — die Organisation der freiwilligen Arbeitslager war mit sein Werk —, war er ein natürlicher Streiter gegen die Ungerechtigkeiten des nationalsozialistischen Systems. Als Anwalt für internationales Redit in Berlin tätig, hatte er sich nicht auf die individuelle Unterstützung Verfolgter beschränkt. Er hatte sich als englischer „barrister“ eintragen lassen und fand so den Weg zur Zusammenarbeit mit ausländischen Gesinnungsfreunden. Bei Kriegsausbruch eingezogen, wurde er als Sachverständiger für internationales Recht dem OKW zugeteilt. A1s er erfuhr, daß drastische Maßnahmen gegen die dänischen Juden vorbereitet wurden, gab er eine Warnung nach Kopenhagen, die vielen der Bedrohten die rechtzeitige Flucht ermöglichte. Kurz nach der Invasion Nordafrikas durch die Alliierten konnte Moltke durch ein höchst gefahrvolles und geschicktes doppeltes Spiel verhindern, daß die gaullistischen französischen Soldaten all Landesverräter behandelt wurden.

Daneben lief eine eifrige, wohldurchdachte, organisatorische und planende Arbeit, die ihn mit allen Schichten des deutschen Volkes in Berührung brachte. Über die Erfahrungen, die er hiebei sammelte, schrieb er 1942 einem Freunde nach England: „...Das Rückgrat dieser (Widerstands) Bewegung sind die beiden christlichen Konfes^ s i q n e n, die protestantische wie die katholische. Die katholischen Kirchen sind jeden Sonntag überfüllt, die protestantischen noch nicht, aber die Bewegung ist zu erkennen ... Vielleicht erinnerst Du Dich, daß ich vor dem Kriege den Standpunkt vertrat, man brauche nicht an Gott zu glauben ... Heute weiß ich, daß idi unrecht hatte, durch und durch. Das Maß an Risken und Opferwilligkeit, das jetzt von uns verlangt wird, verlangt mehr als nur die rechten sittlichen Grundsätze... Wir stehen jetzt in Verbindung mit den christlichen Gruppen in den verschiedenen besetzten Gebieten ... Diese Menschen sind einfach wundervoll...“

Es war seine Hilfsbereitschaft, die Moltke ins Gefängnis brachte. Im Jänner 1944 warnte er einen Mann, den die Gestapo suchte. Verhaftet, machte dieser unter Druck Aussagen, die Moltke belasteten. Doch jenoß Moltke in der Haft manche Freiheiten und die Sache galt nicht für sehr ernst„ Seine Enthaftung stand dem Anscheine nach bevor, war jedoch am 20. Juli noch nicht durchgeführt. Es ist ein tragisches Verhängnis, daß Moltke — der, wenn er frei gewesen wäre, sich der Beteiligung am Attentat widersetzt hätte — in den Sog dieses Ereignisses gerissen wurde. Zwei Mitglieder, der durch seine Haft führerlos gewordenen Kreisauer Gruppe, hatten sich für die Teilnahme an dieser Aktion gewinnen lassen. Moltke wurde nach einer dramatischen Verhandlung am 10. Jänner 1945 verurteilt und — ebenso wie P. Delp U. am 23. Jänner 1945 hingerichtet. Nur zehn Tage später ereilte den Vorsitzenden F r e i s 1 e r des Volks-geriditshofes, der dieses Urteil gefällt hatte, sein Schicksal. Er verlor am 3. Februar 1945 bei einem Luftangriff das Leben.

Wundervoll in seiner Klarheit und S'eelenstärke ist der Bericht Moltkes nach seiner Verurteilung an seine Frau, über die soeben abgelaufene Gerichtsverhandlung. Man sieht förmlich den Vorsitzenden am Werk, seine auf Vernichtung der Angeklagten zugeschnittene Arbeitstechnik, hört Rechtsgrundsätze wie: „Vorbereitung zum Hochverrat begeht jeder, der sich irgendein Urteil iber eine Angelegenheit anmaßt, über die der Führer zu entscheiden hat“, und wird Zeuge einer seltsamen, fast unfaßbaren Erscheinung: Diesem Prozeß gegen den evangelischen Standesherrn verleiht erst die Teilnahme eines Jesuiten unter den Angeklagten Farbe und Gepräge. Fanatischer Haß spricht aus jedem Wort Freislers, wenn er nur die entfernte Möglichkeit hat, sich mit der katholischen Kirche zu messen: Sie ist der wirkliche Feind, der auf der Anklagebank sitzt.

„Nun kam aber die Quintessenz“, berichtet Graf Moltke an seine Frau. „Wer war denn da?“ fragte Freisler. „Ein Jesuitenpater, ausgerechnet ein Jesuitenpater! Ein Jesuitenpater und ausgeredinet mir dem besprechen Sie Fragen des zivilen Widerstandes. Und den Jesuitenprovinzial, den kennen Sie auch. Und der war auch einmal in Kreisau. Ein Jesuitenprovinzial, einer der höchsten Beamten von Deutsdilands gefährlichsten Feinden, der besucht den Grafen Moltke in Kreisau. Und da schämen Sie sich nicht! Kein Deutscher kann doch eine% Jesuiten auch nur mit der Feuerzange anfassen. Leute, die wegen ihrer Haltung von der Ausübung des Wehrdienstes ausgeschlossen sind. Wenn ich weiß, in einer Stadt ist ein Jesuitenprovinzial, so ist das für mich fast ein' Grund, gar nicht in die Stadt zu gehen... Und Bischöfe besuchen Sie? Was haben Sie bei einem Bischof verloren?... Ihre Befehlsstelle ist der Führer und die NSDAP, für sie so gut wie für jeden anderen Deutschen, und wer sich seine Befehle in noch so getarnter Form bei den Hütern des Jenseits holt, der holt sie sich beim Feind und wird so behandelt werden.. .“

Das Ergebnis dieser Verhandlung ergab, wie nicht anders zu erwarten: Vorbereitung zum Hochverrat!

Die Schlinge zieht sich zusammen, das Todesurteil wird gefällt.

„Letzten Endes“, fährt Graf Moltke im Berichte an seine Frau fort, „entspricht die Zuspitzung auf das kirchliche Gebiet dem inneren Sachverhalt und zeigt, daß Freisler eben doch ein guter politischer Richter ist. Das hat den ungeheuren Vorteil, daß wir nun für etwas umgebracht werden, was wir a) getan haben und b) sich lohnt. Aber daß ich als Märtyrer für den heiligen Ignatius von Loyola sterben werde — und darauf kommt es letztlich hinaus, denn alles andere war daneben nebensächlich —, ist wahrlich ein Witz“, sagt Moltke mit grimmigem Humor, und fährt in diesem Tone an anderer Stelle fort, wo er wünscht, den Prozeß im In- und Auslande bekanntzumachen: „Da wir vor allem für den heiligen Ignatius sterben, sollen sich seine Jünger darum kümmern. Aber Du mußt ihnen diese Geschichte liefern...“

Der Gruppe des Grafen Moltke hatte auch der evangelische Gefängnispfarrer von Tegel, Harald P ö 1 c h a u, angehört. Er konnte dem Verurteilten in den letzten schweren Tagen geistlichen Zusprudi spenden. „Er las in den letzten Monaten kein anderes Buch als Bibel und Gesangbuch“, sagt Pölchau. „Besonders in diesem entdeckte er wahre Schätze an Tiefsinn und Trost... Einmal konnte er mit seiner Frau zusammen das heilige Abendmahl feiern.“

Gefaßt, ja mit innerer Heiterkeit, zum Sterben wohlvorbereitet, ist Graf Moltke seinen letzten Weg gegangen.

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