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Die Kunst des Überlebens

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MITGENOMMEN VERLIESSEN vor etlichen Wochen ungefähr 30 Soldaten des österreichischen Bundesheeres ihren Standort im Truppengelände von Kaisersteinbruch bei Bruck an der Leitha, wo sie im Rahmen eines „Überlebenskurses“ acht Tage lang mit einem Minimum an Nahrung und sonstiger Ausrüstung zu überdauern hatten. Als sie aus dem schattigen Wald ins Freie traten waren sie vorerst so geblendet, daß sie nur mit zugekniffenen Augen durch die Gegend stolpern konnten. So sehr hatten sie sich an das Dunkel gewöhnt. Zur Fata Morgans geworden war ihnen in einwöchiger Abstinenz ein gut gedeckter Tisch und ein ordentliches Biett mit der Aussicht auf beliebig langen Schlaf.

Dieser „Überlebenskurs“ ist ein Teil der Kleinkrieg- oder „Ranger“-Ausbildung, die erst in jüngster Zeit in Presse, Parlament und zuständigen Kreisen einigen Staub aufgewirbelt hat.

Hauptthema der diesbezüglichen Auseinandersetzungen bildete das Kapitel: Hinterhalt und Überfall. Die Tatsache des „lautlosen Tötens aus dem Hinterhalt“ und damit im Zusammenhang brutale Methoden des Kampfes von Mann gegen Mann boten Anlaß zu hitzigen Debatten.

Solange es Krieg gibt, ist er nun einmal untrennbar mit Vernichtung — materieller Dinge ebenso wie Menschenleben — verbunden. Und keinerlei Argumente können darüber hinwegtäuschen. Solange derartige Verfahren, wie sie in letzter Zeit von den Amerikanern ausgearbeitet worden waren — nämlich durch chemische Drogen den Gegner vorübergehend kampfunfähig zu machen — nicht allgemein angewendet werden, wird dieses Prinzip regieren. Der Kampf von Mann gegen Mann — wesentlicher Bestandteil des Guerillakrieges — bringt einem jungen Soldaten deutlicher Verantwortung und Bedeutung eines solchen Tuns vor Augen als ein Druck auf den gewissen Knopf, der in gleicher Weise, diesmal aber Hunderte und Tausende von Menschenleben vernichtet.

Ob ein Mensch auf 20 Meter erschossen, oder auf Armeslänge erstochen wird — das Resultat bleibt das gleiche. Es ist daher etwas widerspruchsvoll, „ästhetisches Töten“ kommentarlos hinzunehmen, beider Vorstellung von Leben, das „unter den Händen“ stirbt, jedoch in empörtes Moralisieren auszubrechen. ★

HAT EINE PARTISANENAUSBILDUNG bei der heutigen Art der Kriegführung überhaupt noch Berechtigung? Vietnam soll hier nicht immer als alleiniges Beispiel angeführt werden. Denken wir vielmehr an die erfolgreichen Aktionen der Partisanen im zweiten Weltkrieg auf dem Balkan und in den Karpaten.

Den zuständigen militärischen Stellen wird immer wieder vorgeworfen, daß man sich ausgerechnet für diese Ausbildung zum Partisanenkrieg amerikanische Instruktoren geholt hat. Damit habe man das Neutralitätsprinzip gefährdet. Gerüchten zufolge soll ein ähnliches Angebot auch an die UdSSR gegangen, von dieser jedoch abgelehnt worden sein. Tatsache jedoch bleibt, daß es amerikanische Ausbildner waren, die in österreichischen Uniformen im österreichischen Heer österreichische Soldaten in der Kleinkriegführung unterrichteten. Das wäre besser unterblieben. Das Bundesheer schickt auch zur taktischen Ausbildung Offiziere und Soldaten ins Ausland und holt keine Ausländer nach Österreich. Die Neutralität gebietet Vorsicht vor „Präzedenzfällen“.

NACHDEM DIE „RANGER-ANGELEGENHEIT“ Wellen bis zum Parlament geschlagen hatte, ist man bei den zuständigen Behörden äußerst vorsichtig geworden. Das Wort „tö-

ten“ wird in der Regel ängstlich vermieden und die ganze Ranglerausbildung so hingestellt, als ob es -sieh dabei um eine harmlose sportliche Ertüchtigung mit Pfadfindarambiitionen handle. Man sollte gerade bei solchen Anlässen mit offenen Karten spielen und die Öffentlichkeit entsprechend informieren. Verschleierungstaktik kann nur beunruhigend wirken.

DER KURS DER KLEINKRIEGFÜHRUNG, der seit dem Jahre 1963 besteht und auch unter der Bezeichnung „Jagdkommando“ geführt wird, findet jährlich Mitte März bis Ende Juli statt. Er gliedert sich in zwei Abschnitte: den Grundkurs, der von Wehrpflichtigen, die sach mindestens 15 Monate verpflichtet haben, absolviert werden kann. Und den Offizierskurs, dem Ein jährig-Freiwillige beitreten, die den Grad eines Reserveoffiziers anstreben. Beide Kurse werden ausschließlich von Freiwilligen besucht und sind nicht im neunmonatigen Präsenzdienst miteinbeschlossen. Die Ausbildungsthemen dieses Kurses umfassen: Gefechtsdienst, Alpinausbildung, Fallschirmspringergrundkurs, tägliches Konditionstraining, Schwimmausbildung, Nahkampfausbildung (wozu auch Judo und Karate zählen), Pionierausbildung (Überwindung von Gewässern und spezielle Sprengausbildung), Telefunkenausbildung (Grundausbildung in der Bedienung von Funkgeräten), Waffen- und Schießausbildung, Sanitätsausbildung und schon erwähntes Überlebenstraining.

Letz+eres ist eine der strapaziösesten Angelegenheiten innerhalb der gesamten Ausbildungszeit. Während einer einwöchigen Schulung sollen die Soldaten, denen nur das Notwendigste an Proviant und Werkzeugen mitgegeben wird, die „Kunst des Überlebens“ lernen. Mit anderen Worten: was geschieht, wenn Nachschub und Fernverbindung ausfallen und der einzelne, völlig auf sich gestellt, durchhalten muß.

WER AUS DER GROSS-STADT hierher, mitten unter hüttenbauende, schneckenrösitende und Nahrung sammelnde Männer verschlagen wird, fühlt sich zunächst wie eine weiße Maus unter lauter grauen. Die Leute, welche da in ihren braungrünen Tarnanzügen, mit kurzgeschorenem Haar und rußgeschwärzten Gesichtern vor ihren Jagdfeuern hocken, bieten ein absolutes Bild uniformer Geschlossenheit. Diese Welt ist nicht die „andere“ Welt, möchte man am liebsten denken. Das Leben ist hier schrecklich einfach geworden. Es heißt vor allem: wie bekomme ich was zu essen, wann kann ich schlafen — und habe ich auch sämtliche Regeln befolgt?

AUF DEM WEICHEN, nach einer knoblauchähnlichen Pflanze penetrant riechenden Waldboden wimmelt es von Schnecken und sonstigem Getier (sie werden in eigenen

„Schneckenplantagen“ gehalten). In ausgehobenen Erdgruben, die mit einer Regenhaut ausgelegt und mit Wasser gefüllt sind, tummeln sich Frösche und Fische. In aus dünnen Ästen geflochtenen Käfigen gackern weiße und braune Hühner (welche an Stelle der — nichtvorhandenen — Fasane den Speisezettel füllen sollen). Von Zeit zu Zeit löst sich einer dieser „naturgefärbten“ Waldmenschen aus dem laubgrünen Hintergrund, um triumphierend, und unter beifälligem Gemurmel sämtlicher Anwesenden, eine meterlange Äskulapnatter oder eine unscheinbarere Ringelnatter vor sich herzuschwenken, die dann allsogleich auf der kreisrunden Waldlichtung, welche als Demonstrationsplatz dient, gehäutet und zubereitet wird.

Wie sieht nun der Tagesablauf dieser wind- und wetterfesten Angehörigen des Bundesheeres, die sich derartigen Prüfungen unterziehen, aus?

Um 5 Uhr früh heißt es antreten zum Frühsport und Konditionstraining. Anschließend wird das Lager in Ordnung gebracht. Das heißt, das Gras, womit der Boden in den selbstgebauten Hütten ausgepolstert wurde, wird ins Freie getragen und zum Trocknen ausgebreitet. Denn es ist vom nächtlichen Tau meist naß.

Die folgende Standeskontrolle dient nebenbei auch dem gegenseitigen Heraussuchen von Zecken, die sich in beliebiger Zahl uniter der Haut festgesaugt haben. Dann muß Feuer gemacht, Wasser eingeholt und gefiltert werden. Und schließlich beginnt die Beschäftigung, welcher neben dem theoretischen Unterricht der ganze übrige Tag gewidmet ist: Nahrung suchen und kochen. Denn soviel der einzelne an Tieren und Pflanzen des Waldes auftreibt, soviel darf er auch zu sich nehmen.

Zum Frühstück gibt es- etwa Lindenblütentee, dazu selbstgebackenes Brot, das zur Hälfte aus Mehl und zur Hälfte aus Buchenspänen besteht. Der weitere Tagesmenüzettel (regelmäßige Mahlzeiten finden nicht statt) wird von gerösteten Schnecken, am Spieß gebratenen Froschschenkeln, Brennesselspinat und Kaffee, der aus geröstetem Reis zubereitet wird, bestritten. Ab und zu wird dieses Einerlei durch Fisch (wobei ein Exemplar in der Größe eines Karpfen auf zehn Mann verteilt wird) und Huhn (in ähnlicher Rationierung) aufgelockert. Eingehaltenes Minimum pro Tag sind 700 Kalorien.

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DER THEORETISCHE UNTERRICHT, der, im Halbkreis um den Instruktor sitzend, absolviert wird, vermittelt all das, was im Ernstfall dazu führen soll, unter angenommenen Umständen zu überleben. Vom Hüttenbauen über Fallenstellen, Feuerschlagen, Wassersammeln bis zum Anfertigen von Waffen mit primitiven Hilfsmitteln.

Wasser kann bei Fehlen einer Quelle aus Regen, Tau, aber auch von angeschlagenen Birkenstämmen und aus Pflanzen gewonnen werden. Feuer wird durch Reibung von Hart- auf Weichholz erzeugt. Die Methoden des Fallenstellens sind ungeheuer vielfältig. Allein die Schlingenfalle kennt 15 bis 20 Arten. Aber auch das Anfertigen von Schutzvorrichtungen gegen Wind und Sturm wird gelehrt, und wie man seine Füße mit Stoffresten umwickelt, wenn die Schuhe unbrauchbar geworden sind. Die Herstellung von Behelfswaffen schließlich trägt „Stainzeitcharakter“. So entstehen etwa Pfeil und Bogen oder Speer.

Tatsache ist, daß es Situationen gibt, die ein entsprechendes Verhalten erfordern. Nicht erforderlich äist bei diesem Verhalten freilich das „grüne Baratt“, das nach außen (nach unserer Meinung, zu stark) demonstriert, bei wem man in die Schule gegangen ist.

Die rote österreichische Feldkappe, wie sie die „wilden Männer“ von der österreichischen Kavallerie trugen, wäre auch nicht schlecht gewesen. Auf jeden Fall „Eigenbau“.»i

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