6560707-1948_46_12.jpg
Digital In Arbeit

Die Kunst und die Zahl

Werbung
Werbung
Werbung

Der Nationalrat wird in kürzester Zeit das Finanzgesetz für 1949 zu behandeln und damit die verfassungsmäßige Grundlage für die Gebarung dieses Jahres zu schaffen, haben. Die im Kapitel XXVIII, Titel 8, dieses Gesetzes aufscheinenden Ziffern bilden alljährlich sozusagen die realen dunklen Kehrseiten des klang- und lichterfüllten Bühnenbildes unserer Bundestheater und sind, wenn auch seltener als die künstlerische Darbietung, doch ebenso wie diese, Gegenstand der Kritik in der Öffentlichkeit. Es ist daher vielleicht nicht uninteressant, in diese weniger erfreulichen Winkel unserer Bundesbühnen hineinzuleuchtcn, um an der Hand des Finanzgesetzes für 1948 die Tatsachen klarzustellen, die eine unbefangene Kritik und eine Vorschau für 1949 ermöglichen.

Das Finanzgesetz 1948 sah an Betriebsausgaben 29,816.700 S, an außerordentlichem Aufwand Investitionen 1,700.000 S, an Betriebseinnahmen 17,386.500 S, daher an kassenmäßigem Betriebsabgang 14,230.200 Schilling vor. Diese 14,230.200 S sind jenes Passivum, das begreiflicherweise immer wieder der Hauptangriffspunkt ist, und zwar wird entweder die Tatsache des Bestehens dieses Passivums überhaupt oder seine Höhe beanstandet.

Stellen wir zunächst die Frage, ob es nicht möglich wäre, ein Passivum überhaupt zu vermeiden. Wir wollen hier lediglich das eine feststellen, daß dies während des Bestandes der Bundestheater — abgesehen von den ganz kurzen Zeiträumen der Inflation und den Monaten unmittelbar nach der Befreiung — bei diesen Bühnen ebenso wenig gelungen ist, wie bei allen anderen, nach künstlerischen Gesichtspunkten geführten großen Repertoiretheatern der Welt, insbesondere bei Opern. Etwas anderes ist es, ob man die Höhe des Passivums als gerechtfertigt erachtet oder nicht. Diese Frage wird wohl nur durch einen Vergleich der heutigen Ziffern mit jenen der Vergangenheit geprüft werden können. Für einen Vergleich mit den gleichartigen Bühnen des Auslands fehlen begreiflicherweise derzeit die erforderlichen Grundlagen. Es muß jedoch betont werden, daß vor dem Jahre 1938 solche Vergleiche wiederholt angestellt wurden, und daß die Bundestheater dabei weitaus am besten weggekommen sind.

Welches Bild ergibt sich also bei einem Vergleich mit der Vergangenheit? Wir finden für das Jahr 1938 einen kassenmäßigen Betriebsabgang von 4,821.100 S vorgesehen; der für 1948 veranschlagte Betrag von 14,130.200 S ist also um 9,309.100 Schilling höher als der für das Jahr 1938. Die Höhe der Differenz ist im ersten Augenblick verblüffend. Worin findet sie ihre Begründung?

Im Jahre 1938 gab es nur zwei Bundestheaterbetriebe, während es im Jahre 1948 deren drei gibt. Wir müssen also den für die Staatsoper in der Volksoper veranschlagten kassenmäßigen Betriebsabgang von 1,852.200; S von den erwähnten 14,130.200 Schilling abziehen, so daß 12,278.000 S verbleiben.

Im Voranschlag für das Jahr 1938 finden wir von dem für Ruhe- und Versorgungsgenüsse veranschlagten Betrag eine Summe von einer Million Schilling in Abzug gebracht und dem allgemeinen Pensionsetat angelastet. Aus budgettechnischen Gründen wurde diese Buchungsart geändert und werden für das Jahr 1948 alle für Ruhe- und Versorgungsgenüsse der Bundestheaterbediensteten erforderlichen Beträge voranschlagsmäßig auf dem Haushalt der Bundestheater verbucht. Dieser im Jahre 1938 abgezogene Betrag von einer Million Schilling muß den Ausgaben für das Jahr 1938 zugerechnet werden. Hiedurch erhöht sich aber der für 1938 präliminierte Zuschuß auf 5,821.100 S.

Unter der Post „verschiedene Einnahmen" scheint für 1938 ein Betrag von 1,334.500 S auf, dagegen für 1948 für Burgtheater und Staatsoper im Theater a. d. Wien lediglich ein solcher von 308.000 S, somit um rund eine Million Schilling weniger, was auf den Entfall von Geldern zurückzuführen ist, die früher aus Ravageinnahmen auf Grund eines besonderen Gesetzes für die Bundestheater abgezweigt wurden. Dieser Betrag muß dem Zuschuß 1938 zugerechnet werden, der sich also auf 6,821.100 S erhöht.

Für den „Wiederaufbau des Fundus“ finden wir für 1948 unter der Post „außerordentliche Fundusergänzung“ 230.000 S und unter der Post „Anschaffung von Kraft wagen" 100.000 S, somit Beträge von insgesamt 330.000 S, und für Mieten unter der Post „Mietzinse“ einen Mehrbetrag gegenüber 1938 von 323.400 S. Diese Beträge von insgesamt 653.400 S müssen außer Betracht bleiben, weil 1938 kein Fundus aufzubauen und für die eigenen Häuser kein Mietzins zu zahlen war. Um sie vermindert sich also die kassenmäßige Betriebsabgang pro 1948 von den erwähnten 12,278.000 S auf 11,624.600 S.

Es steht also, nach den Finanzgesetzen berechnet, dem kassenmäßigen Betriebsabgang für 1948 von 11,624.600 S ein solcher für 1938 von 6,821.100 S gegenüber, was eine Steigerung in der laufenden Gebarung um 4,803.500 S oder rund 70 Prozent bedeutet.

Ist nun eine derartige Steigerung der staatlichen Aufwendungen für die Bundestheater gegenüber dem Voranschlag für das Jahr 1938 durch die in den wirtschaftlichen Verhältnissen begründeten Lohn- und Preissteigerungen gerechtfertigt? Halten wir uns bloß folgende Tatsachen vor Augen:

Die weitaus größte Mehrzahl der Gagen und Löhne bewegte sich vor 1938 um den Betrag von 500 S monatlich oder lag unter diesem Betrag. Nehmen wir nun 500 S als durchschnittlichen Grundbezug auch im Jahre 1948 an. So ergibt sich unter Bedacht- nahme auf die in den Jahren 1946 und 1947 zu diesem Grundbezug gewährten Teuerungszulagen Teuerungszuschlag plus Ausgleichszulage eine Erhöhung von 370.40 S, somit auf 870.40 S, das entspricht einer Steigerung um rund 74 Prozent.

Wie steht es nun mit den für den Theaterbetrieb unerläßlichen Materialien? Hier mag eine kleine Auslese genügen, da über das Ausmaß der seit 1938 eingetretenen Steigerungen auf diesem Gebiet wir alle schmerzlich gut orientiert sind. Die seit dem genannten Jahre eingetretenen Steigerungen betragen in Prozenten zum Beispiel: bei Bauholz 360, Kantholz 300, Brettern 187, bei Malerleinwand 150, Mol- lino 100, Kunstseide 300 bis 560, Nähseide und Zwirn 630, bei Koks 210 bis 254, Kohle 183, Brennholz 326 usw.

Aber es sind nicht nur die Löhne und Preissteigerungen, die den Betrieb der Bundestheater schwer belasten. Es muß erwogen werden, daß diese Bühnen ihre Heimstätten gänzlich verloren haben. Auf Grund langjähriger Erfahrung waren diese unter Bedachtnahme auf möglichste Ökonomie im Betrieb ausgestaltet und eingerichtet worden. Nach Zerstörung der alten Häuser mußte man auf Objekte greifen, die für ihre neue Bestimmung bei weitem nicht so geeignet waren; Werkstätten und Magazine mußten ohne Rücksicht auf ihre Lage dorthin verlegt werden, wo sich halbwegs geeignete Räume fanden. Es erübrigt sich, näher zu erklären, in welchem Maße dadurch die Betriebskosten steigen.

Man muß sich endlich vor Augen halten, daß mit den alten Häusern auch fast der gesamte Fundus an Kostümen und Dekorationen den Kriegsereignissen zum Opfer fiel, ein Fundus, wie ihn an Reichhaltigkeit und Wert wohl kaum irgendwelche andere Theater der Welt besaßen. Es ergibt sich also jetzt die Notwendigkeit, fast jede Inszenierung dekorativ und kostümlich von Grund auf neu .herzustellen. Kann irgend jemand glauben, daß hiefür der erwähnte Betrag von 230.000 S reicht?

Ein Vergleich der Voranschläge für 1938 und 1948 zeigt also, daß die Höhe des Passivums, das das Finanzgesetz für die Bundestheater im Jahre 1948 vorsieht, nicht nur gerechtfertigt ist, sondern weit hinter jener Summe zurückbleibt, die die Änderung der Verhältnisse seit 1938 rechtfertigen würde. Es besteht auch kein Zweifel, daß es auf die Dauer unmöglich sein wird, die Bundesbühnen auf die bisherige Art weiterzuführen, .wenn nicht im vollen Umfang den seit 1938 eingetretenen Änderungen der Wirtschaftslage und den Kriegsschäden Rechnung getragen wird.

Und nun entsteht die bange Frage: Gebietet nicht die gegenwärtige Finanzlage des Bundes auch den Bundestheatern sozusagen mit Wasser zu kochen?

Man wird zweifellos sparen müssen. Das ist aber bei den B u n d es t h e a t e r n nur in sehr engen Grenzen möglich. Wenn Österreich heute eine besondere Sendung in der zivilisierten Welt hat, so ist es die als Ktrltur Faktor. Wenn es eine gegenwärtig bedeutungsvolle Tradition hat, so ist es eine künstlerische. Will es dieser seiner Mission und Tradition treu bleiben, so müssen die Bundesweiter als die wichtigsten und vornehmsten Exponenten auf jene Höhe gebracht und auf jener Höhe erhalten werden, die sie befähigen, vor die große Weltöffentlichkeit zu treten und allen Vergleichen erfolgreich standzuhalten. Die Weltöffentlichkeit aber beurteilt nicht den guten Willen, sondern die effektive Leistung und nimmt nicht Rücksicht auf die Wirtschaftslage. Daß die Leistungsfähigkeit besteht, ‘haben die Bundestheater im verflossenen Spieljahr in London, in Brüssel usw. zur Genüge gezeigt. Sie haben aber auch unter Beweis gestellt, daß sie gerade derzeit so ziemlich das einzige, weit über die Grenzen vernehmbare Sprach rohr zur Welt sind, das .mit friedlichen Klängen für Österreich wirbt.

Wir verkennen nicht die absolute Notwendigkeit erhöhter Aufwendungen für Post und Telegraph, für Bundesbahnen und die Bundesforste, bei denen die Steigerung gegenüber 1938 231, beziehungsweise 341, beziehungsweise 298 Prozent beträgt. Diese Ausgaben sind für die Aufrichtung der Wirtschaft notwendig, aber zur Wirtschaft gehört auch Werbung; kann man nach den Erfahrungen, insbesondere auch der letzten drei Jahre, leugnen, daß die Bundestheater das stärkste Werbemittel sind, überdas Österreich derzeit dem Ausland gegenüber verfügt? Der Prozentsatz der Gesamtausgaben, den man für diesen Zweck wird opfern müssen, ist verhältnismäßig klein und wird auch wirtschaftlich Zinsen tragen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung