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Die Lage der Protestanten in Spanien

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Als vor einigen Jahren die ersten Meldungen über die Behandlung der spanischen Protestanten durchsickerten, verlangte die holländische Oeffentlichkeit schon bald einen objektiven Bericht. Nicht nur die Protestanten äußerten diesen Wunsch, sondern auch viele Katholiken, weil diese Frage inzwischen eines der Hauptthemen der interkonfessionellen Religionsgespräche geworden war. Auf Initiative eines katholisch-protestantischen Arbeitskreises wurden zwei holländische Theologen gebeten, diese Frage persönlich an Ort und Stelle zu untersuchen. Der protestantische Pastor Dr. H. van der Linde und der katholische Jugendseelsorger Dr. F. T h i j s s e n haben diese Studienreise tatsächlich unternommen und ihre Eindrücke unabhängig voneinander schriftlich niedergelegt. Ihr Bericht wurde unter dein Titel: De Situatie van de Protestanten in Spanje vom katholischen Verlag „Spectrum“ in Utrecht (1950) veröffentlicht. Beide Verfasser erklären unzweideutig, daß die Protestanten in Spanien nicht verfolgt werden. Zu einer Zeit, da die religiöse Toleranz praktisch als die einzige Form im interkonfessionellen Zusammenleben angestrebt wird, ist dieses negative Ergebnis zwar dürftig, aber man soll es doch nicht ir.tcrschätzen, vor allem nicht in einer Welt, die uns die furchtbarsten Arten von GlaubensverfoIgi::i|?en gezeigt hat. Gleichzeitig aber haben beide Verfasser zu ihrem Bedauern feststellen müssen, daß von einer wirklichen und gesetzlichen, geschweige von einer christlichen Toleranz der Protestanten in Spanien nicht gesprochen werden kann. Die Verfassung odei der „Fuero de los Espaüolcs“ vom Jahre 1941 macht noch den günstigsten Eindruck, aber sie besagt doch nur, daß niemand auf Grund seiner religiösen Ueberzeugung oder wegen der privaten Ausübung seines Glaubens (yrivado culto) belästigt werden darf, daß aber außerhalb der katholischen Religion keine Zeremonien oder religiösen Manifestationen gestattet sind. Der Staat anerkennt also im allgemeinen das Recht auf „privado culto“.

Aber sogar mit dieser sehr eingeschränkten Religionsfreiheit scheinen die Bischöfe nicht einverstanden zu sein, denn ihre Instruktion vom 28. Mai 1948 betrachtet diese gesetzlich geschützte Toleranz als noch zu weitgehend. Nach Ansicht des Episkopates beschränkt sich die private Ausübung des (protestantischen) Kultus ausschließlich auf protestantische Ausländer, die in Spanien leben, womit also ein gesetzlicher Schutz für spanische Protestanten ausgeschlossen wäre. Das bischöfliche Schreiben beruft sich dafür auf die Tatsache, daß die. Protestanten eine so unbedeutende Minderheit (wahrscheinlich 0,1 Prozent) bilden, daß sie nicht für ein Gesetz in Betracht kommen können. Daraus erklärt sich auch der Protest des Kardinals Segura, der sich darüber beschwerte, daß in den Monaten November-Dezember 1945 in seinem Eistum sechs protestantische Kapellen und im Jahre 1946 nochmals 26 eröffnet wurden. Da dieses Schreiben des Kardinals vom staatlichen Informationsdienst nicht zur Veröffentlichung freigegeben wurde, besteht in diesem Punkt keine Uebereinstimmung zwischen Kirche und Staat. Aber auch unter den übrigen Bischöfen scheint keine Einstimmigkeit zu herrschen, ja die spanische Kirche widersetzt sich anscheinend sogar der gemäßigteren Auffassung des Vatikans.

Im praktischen Leben werden den Protestanten folgende Schwierigkeiten in den Weg gelegt: auch im Sinne des reinen Bekenntnisses und ohne eine Spur von Proselytenmacherei dürfen sie nicht von ihrem Glauben Zeugnis ablegen bzw. dafür werben. Ihre Kinder dürfen nur die (gesetzlich zugelassenem ausländischen protestantischen Schulen besuchen, was nur in den größeren Städten möglich ist. Die Eröffnung von protestantischen Schulen aus eigenen Mitteln wird sehr behindert, wenn nicht unmöglich gemacht Gesetzlich dürfen sie kein eigenes religiöses Schrifttum herausgeben. Auf den Friedhöfen erhalten sie keinen eigenen Platz, während die Einsegnung durch eigene Pastoren erschwert wird. Ein Spanier, der katholisch getauft, aber protestantisch erzogen wurde oder sich zum Protestantismus bekehrt hat, kann keine Zivilehe mit einem Protestanten schließen, das heißt also: diese zwei Protestanten müssen entweder „katholisch“ heiraten vor einem Priester und zwei Zeugen oder, wenn sie dies aus begreiflichen Gründen ablehnen, im Konkubinat leben. Nach Ansicht des katholischen Theologen F. Thijssen wird in manchen Fällen Gewissens-wang auf spanische Protestanten ausgeübt.

Leider betrachten die Spanier diese ganze Frage als eine interne spanische Angelegenheit, die keinen Ausländer etwas angehe. Hier liegt ihr Grundfehler, denn dieses Problem ist gerade durch die Schuld der Spanier zu einer internationalen Frage geworden, und zweitens ist auch die spanische Kirche und ihr Auftreten ein „katholisches“ Anliegen, das wenigstens Rom und die Katholiken angeht. Wenn auch der spani?che Katholizismus historisch, kulturell und psychologisch eine eigene Struktur aufweist, und wenn man als Katholik des Auslandes vielleicht ein gewisses Verständnis für die „heroische“ Geisteshaltung aufbringen kann, daß Spanien das letzte Bollwerk eines kompromißlosen Katholizismus sei, so ist doch diese ganze Einstellung, die in ihrer Verbohrtheit an den „Maitre de Santiago“ von Montherlant erinnert, schon längst überholt, indem sie sich den Zugang zu der ökumenischen Idee und dem lebendigen Missionsgedanken verbaut hat. Rezente Berichte scheinen darauf hinzuweisen, diß sich eine Aenderung anzubahnen beginnt. Sie wäre sehr notwendig, nicht nur als Schutz für die katholische Kirche, die sich in anderen Ländern nur im Klima der Toleranz entwickeln kann, sondern auch als die Erfüllung der echt katholischen Auffassung, daß man den Irrtum zwar verabscheuen kann, die Irrenden aber liebevoll behandeln muß. Der Gedanke an eine „Minderheit“, die man vernachlässigen kann, darf hier keine Rolle spielen, besonders nicht in einer Kirche, die sich aus einer „kleinen Herde“ entwickelt hat.

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