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Die Landespatrone

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Das Dekret der HI. Ritenkongregation vom 23. März 1955 über die Vereinfachungen und Kürzungen in Brevier und Missale enthält im Tit. 11/20 unter den Aenderungen im Römischen Festkalender die Bestimmung: „Feste der Heiligen, die bisher ritu semiduplici gefeiert wurden, werden als festa simplicia begangen.“

Wäre diese Entscheidung, gesetzt den Fall, vor etwa 150 Jahren gefallen, dürfte man annehmen, sie hätte einige diplomatische Demarchen in Rom zur Folge gehabt. Das ist heute kaum zu befürchten. Mit dieser Bestimmung erhält nämlich eine geschlossene Gruppe von Festen eine Rangminderung, die der fürstlichen Landespatrone. Sie sind sozusagen die von der Kirche anerkannten, wenn nicht bestellten Fürsprecher ihrer von ihnen weiland regierten Länder hier ..uf Erden. Sie in den Kalender zu bringen, war einst eine Prestigefrage dieser Länder bzw. ihrer Dynastien. Es ist schon bezeichnend, daß ihre Feste alle den gleichen Rang, eben semiduplex, hatten. Nationale Empfindlichkeiten wären aufgerufen worden, hätte einer von diesen eine höhere Einstufung erfahren. Jetzt sind sie allesamt im Range ihrer Feste — notabene, was den allgemeinen Römischen Kalender anlangt — um eine Stufe tiefer gesetzt; es wird deswegen keine Aufregungen absetzen. Das ist auch ein Zeichen der Zeit.

Die heutige politische Landkarte Europas sagt, daß, abgesehen von Griechenland, nur die germanischen Völker mit Ausnahme von Deutschland und Oesterreich ihren angestammten Dynastien bis zur Stunde die Anhänglichkeit und Treue bewahrt haben. Es ist des Nachdenkens und Vergleiches wert, daß unter diesen eine Reihe von Staaten sind, die seit Jahrzehnten sozialistische Regierungen haben, ohne daß es diesen und der parlamentarischen Mehrheit eingefallen wäre, daran Anstoß zu nehmen.

Die fürstlichen Landespatrone des Römischen Kalendariums spiegeln die kirchenpolitische Lage jener Jahrzehnte wider, in der der Römische Heiligenkalender zum Festkalender der Weltkirche gestaltet wurde. Das geschah nach dem Trientiner Konzil. Daher ist er gleichzeitig ein Ausdruck der Souveränitäten und der konfessionellen Spaltung des Abendlandes in jenen verhängnisvollen Jahren.

Landespatron konnte im Geiste jener Jahre nur ein Heiliger fürstlicher Herkunft sein. Polen (und mit ihm Litauen — der letzte Streit um Wilna!) wurde im Himmel vertreten durch den heiligen Prinzen Casimir (4. März); das katholische Spanien mußte auf den westgotischen Frinzen Hermenegild (13. April) zurückgreifen. (Ferdinand der Heilige, König von Kastilien, und Leon, f 1252, wurden erst 1671 heiliggesprochen.) Portugal hat seine hl. Königin Elisabeth (Fest am 8. Juli). Kaiser Heinrich vertritt als König der Deutschen das Deutsche Reich (15. Juli), König Ludwig der Heilige Frankreich (25. August), der hl. Stephan sein Ungarn (2. September), der heilige Wenzel die Länder der böhmischen Krone. England, das man damals kaum mehr als einen katholischen Staat ansprechen konnte, verblieb dennoch der heilige Patron König Eduard (13. Oktober). Ja, es hat im Römischen Heiligenkalender zwei fürstliche Beschützer im Himmel, auch die heilige Königin Margareta von Schottland (10. Juni), das, wie ein Blick auf die Landkarte jener Zeit lehrt, damals noch ein souveräner Staat neben England war. Ja, England hätte eine ganze Reihe anderer als Heilige verehrte Könige aus der Angelsachsenzeit (die Heiligen Edelbert, Edmund, Erwin, Alfred). Eigentlich hätten auch die Deutschen noch eine zweite fürstliche Patronin im Himmel, die hl. Hedwig (f 1243). Sie ist zweifellos deutscher Abkunft und hat viel für die Eindeutschung Schlesiens getan. Weil aber zur Zeit ihres Lebens das Herzogtum Schlesien vorübergehend ein Lehen der Könige von Polen war, nahmen auch die Polen sie für sich in Anspruch (16. Oktober). Das Fest des heiligen Königs Knud von Dänemark, eines also vorwiegend protestantischen Landes, erhielt schon früher die Abminderung auf festum simplex.

Die vorwiegend protestantischen Länder des Westens, Norwegen (hl. Olaf), Schweden (hl. Erich), auch die Niederlande haben im Römischen Kalender keinen fürstlichen Landespatron, von den Ländern des Ostens ganz abgesehen.

Auffällt auf den ersten Blick für uns Heutige, daß geschlossen katholische Länder (Italien, Irland, Belgien, Luxemburg, Oesterreich) keinen fürstlichen Patron im Römischen Heiligenkalender haben. Das waren eben Länder, die auf der Landkarte der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine souveränen Staaten waren.

Diese Länder haben inzwischen in ihrem Proprium das Fest eines fürstlichen Heiligen untergebracht (wie Oesterreich im Sinne der Ostmark den heiligen Leopold) oder sie wählten sich nichtfürstliche große Heilige ihres Landes, wie Italien (die Unita Italia ist noch keine hundert Jahre alt!) den hl. Franz von Assisi und die heilige Katharina von Siena; oder wie die katholische Schweiz den hl. Nikolaus von der Flüe.

So schleicht sich auch in den Heiligenkalender die Demokratie ein. Und es ist nicht mehr eine dynastische Prestigefrage, die dabei mitentscheidet, wer als Patron des Landes verehrt werden soll. Auch die Liturgie ist bei all ihrer zeitüberdauernden Transzendenz immer auch, was Neuerungen anlangt, ein Ausdruck ihrer Zeit. Im Praeconium paschale der Osternacht, in dem durch Jahrhunderte des Imperators Romanus gedacht wurde, und in dem wir in Oesterreich bis 1918 den österreichischen Kaiser nannten, wird an Stelle der alten Kaiser für die gebetet, „qui nos in potestate regunt“, als die tatsächlichen Inhaber der Macht, daß Gott ihre Gedanken auf Gerechtigkeit und Frieden lenke, damit sie aus der vielen Plage dieser Welt zum allen gemeinsamen Vaterlande des Himmels gelangen.

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