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Die „Lateiner“ in Israel

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Von Monsignore Antonio Vergani, Patriarchatsvikar im Staate Israel

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Von Monsignore Antonio Vergani, Patriarchatsvikar im Staate Israel

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In immer schnellerem Tempo normalisiert der junge Staat Israel seine Beziehungen zu den konfessionellen Minoritäten. Von dreißig Institutionen, die 1948 besetzt wurden, sind den römischen Katholiken — in Palästina die Lateiner genannt — mehr als zwanzig bereits zurückgegeben. Die Rückstellung der Hospize, Seminare und Konvente in Haifa, eines Hauses in Beisan und des Hospizes in Tabgha steht noch aus; in Jerusalem sind nur mehr der kleine Karmeliterkonvent und Nebengebäude der Dormitio und Notre-Dame-Klöster vom Militär besetzt. Unter den zwanzig Institutionen, die zurückgegeben wurden, befinden sich solche, welche militärisch besetzt waren oder während der Kämpfe eyakuiert werden mußten. Fast alle diese Kirchen und Klöster in der Frontlinie haben schwere Kriegsschäden erlitten. Am. schwersten der Konvent Sta. Maria Re-paratrix. Die Israelregierung bereitet gegenwärtig ein Gesetz der Krieg s-— Schadenvergütung vor; eine Reihe Gebäude wurden bereits auf Regierungskosten mit erheblichem Aufwand repariert, so Notre-Dame, die Dormitio, die Kirche von Tabgha. Hospize in Na-zareth, Capernaum und Haifa. Für die besetzten Gebäude hat Israel bis zum Sommer 1950 7000 israelische Pfund Zin bezahlt.

Im vergangenen Dezember wurden zwei wichtige Gebäude ihren Eigentümern zurückgestellt: das italienische Spital in Haifa und der Johanneskonvent in Naza-reth. Auf Zion konnten die Benediktiner zurückkehren. Es kann aber nicht verschwiegen werden, daß unter den nicht zurückgestellten Bauten sich noch solche von hoher Bedeutung befinden. Besonders in Haifa sind Religionsgemeinschaften dadurch in schwere Not geraten und müssen von der päpstlichen Mission unterstützt werden. Nicht imstande, ihre Funktionen zu erfüllen, da si nicht über die nötigen Räume verfügen, müssen sie andererseits lange auf die Zinszahlung der Regierung für die beanspruchten Räume warten. Für das Johanneshospiz in Nazareth sind alle Zahlungen geregelt, in allen anderen Fällen, besonders dort, wo Schaden direkt durch die einquartierten Soldaten verursacht wurde, sind wichtige Punkte in bezug auf Ersatzleistung und selbst betreffend die Rückstellung des Eigentums noch offen. Wenn dabei gesagt wurde, daß eine weniger strikte Haltung des Vatikans in der Jerusalemfrage dazu beitragen könnte, die Erledigung der Probleme de Stephan die Schwester, das stille kühle Geschöpf aus dem äußersten Norden Deutschlands, wie unter Reif erblühend. Er liebte sie mit der so anmutigen als ungestümen Innigkeit des Knaben, dem der erste Gipfel des Lebens als dessen einziger erscheint, liebte sie aber zugleich mit so heftiger Inbrunst, als wisse er von seiner letzten Frist, als müsse er sich eilen, eine letzte — ach, eine erste Erfüllung zu erfahren. Und doch ahnte er nichts, wußte er von nichts, der Tag und Nacht von seiner morgendlich leuchten-

den Zukunft sprach, von dem schönen Vaterhaus am oberen Inn und einer vielgeliebten Mutter, der freilich jeden dritten Satz bei dem Namen Claudia enden ließ, ob die Schwester anwesend war oder nicht, der Schelm schloß sie unbekümmert in seine Träume ein, und sie ließ sich's lachend gefallen. Vielleicht lächelte sie nur mit den Lippen, denn oft mußten sich unsere Blicke begegnen, und dann sprachen wir uns wortlos Mut zu, daß nur keiner wanke, keiner die unsagbare Wehmut verrate, die unsere Herzen füllte... Schöne, tapfere Schwester Clau-

dia! Sie war zwanzig Jahre alt, und die strenge Schwesterntracht erhöhte sie zur Frau, die weiße Haube, das schlichte gestreifte Kleid, wir verehrten es beide, und war es darauf angekommen in jener Zeit, wir hätten allen Künsten modischer Frauentracht leichter Hand abgeschworen. Ja, auch ich, denn auch ich hatte bald einer üppig wuchernden Neigung standzuhalten.

Am fünfzehnten Tage unseres Aufenthaltes im Lazarett von Saint-Malo geschah es dann nach einer längeren Visite

des Oberarztes, bei der es nicht ohne vielerlei verlegenes Getätschel und väterlich rauhes Zureden abgegangen war, daß mich Stephan bat, ich möchte mir doch die Ohren verstopfen, er hätte mit Schwester Claudia Gewichtiges zu bereden. Meine vorsichtige Abwehr fruchtete wenig, ich mußte mich alsbald abwenden, vernahm aber doch, was ich nicht hätte hören sollen und was mir Wort für Wort unvergeßlich geblieben für alle Zeit. Stephan erklärte, zitternd in glücklicher Bangnis, seine geschwächte Stimme noch einmal erhebend, erklärte

zum hundertsten Male seine Liebe und wurde zum hundertsten Male mit schwesterlich herzlicher Gebärde abgewiesen —, ja, ja, es sei doch alles gut, er allein hause in ihrem Herzen, aber nun sei es genug, jetzt hieße es sich schonen ... Oh, Stephan gedachte ganz und gar nicht, sich zu schonen, er protestierte gegen Schwester Claudias lächelnde Abwehr mit flammender Rede, nein, es dürfe nun nicht mehr bei schönen Worten allein bleiben, noch morgen könne er fortkommen und ihr heillos entschwinden, der Augenblick sei teuer und, kurz und gut, jetzt müßten sie einander verloben, bitte, Schwester Claudia, bitte — Claudia ... Die Schwester erschrak ob des verwandelten Tones und suchte sich, keines Wortes mehr fähig, abzuwenden, doch gleich bezwang sie sich wieder tapfer zur Gelassenheit und prüfte seinen Puls, ich bewunderte sie, die immer noch die Tränen bannte, während sie mir längst hilflos in die Kissen rannen. Ebenda, als ein erneutes Drängen Stephans Schwester Claudia abermals in Not brachte —, ebenda sah ich den Oberarzt im Türrahmen stehen, er mochte schon einige Zeit dort gestanden haben, nun winkte er Schwester Claudia heftig zu und dann, geschah es: sie beugte sich plötzlich herab und küßte die bleiche Knabenstirn des Verblüfften, nahm abermals seine Hände und versprach sich ihm mit guten leisen Worten der Liebe. Dann, während sich Stephan glückselig zurückstreckte, erhob sie sich und gedachte vielleicht zu fliehen, doch da lief sie gleich dem Oberarzt in den Arm, der mit einer Flasche Sekt am Wege war und nun laut nach den Schwestern Renata und Christine rief, daß sie nur geschwind herbeikämen, fröhliche Zeugen zu sein bei einem wichtigen Ereignis. Dies war Schwester Claudia gar nicht recht. Es kam in dem Sterbezimmer zu einer

feierlichen Zeremonie. Der Arzt und die Schwestern saßen an Stephans Bettrand, es wurde Sekt getrunken und auf eine frohe Zukunft angestoßen, ja, und es wurden Ringe gewechselt, der Oberarzt hatte sie herbeizuzaubern verstanden, und es wurde gar eine festliche Rede gehalten, Lächeln und heiteres Geplauder erfüllten unsere Stube —, bis Schwester Renata und mir das Herz entsprang: wir brachen in ein lautes Schluchzen aus. Das war ein gefährlicher Augenblick. Aller Herzen waren gestimmt, eine Nacht zu weinen, aber der tüchtige Oberarzt fuhr uns mit scharfen Blicken ins Gewissen, und noch einmal gewannen wir alle unsere Fassung wieder. Dann entschwanden die tapferen Zeugen nach und nach. Stephan bekam abermals eine Spritze und eine Tasse Bohnenkaffee, Schwester Claudia saß weiterhin an seinem Lager und sah tränenlosen Blickes in die Nachtschwärze hinaus, das Lächeln überwundenen Schmerzes auf der bräutlichen Stirn. Ich weiß nicht mehr, wie lange Stephan sie noch angeblickt, plötzlich schlief er ein, das blasse Lächeln floh, da war es sechs Uhr in der Frühe.

Ich sah all dem zu, ohne Trauer, von einem unnennbaren Gefühl glücklichen Wandels erhoben. Als seine Augen erloschen waren, stieg, eine leuchtende Kulisse, unser Kap aus dem Nebel. Schwester Claudia drückte Stephan die Augen zu und holte den Oberarzt. Der untersuchte ihn nochmals, gab ihm dann einen kräftigen Backenstreich und sagte: „Nun, hast du's ja geschafft, mein Junge!...“ Als er gegangen war, kam Schwester Claudia, die Herbe, mit raschen Schritten an mein Bett gelaufen und stürzte in meine Arme. „Ich habe ihn lieb gehabt, verstehst du, ich habe ihn doch lieb gehabt“, rief sie und weinte, weinte immerzu, bis uns der erste Strahl der Sonne traf.

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