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Die letzten Dinosaurier

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Die Sozialpartnerschaft, wie wir sie kennen, ist tot. Wenn die einstigen Partner nicht wieder zusammenarbeiten, droht auch ihnen das endgültige Aus.

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Die Sozialpartnerschaft, wie wir sie kennen, ist tot. Wenn die einstigen Partner nicht wieder zusammenarbeiten, droht auch ihnen das endgültige Aus.

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Dieses Zitat könnte in die Geschichte eingehen: „Ideal wär's, wenn sich gar nichts ändert.” So sprach ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch, als der Osterreichische Gewerkschaftsbund vorige AVoche seine Ablehnung des geplanten Pensionsreförmchens verkündete. Der Kollaps des österreichischen Pensionssystems ist absehbar und die jedem Gerechtigkeitssinn widersprechende Kluft zwischen den Beamtenpensionen und den übrigen Benten schreit zum Himmel. Doch da sagt einer: „Ideal wär's, wenn sich gar nichts ändert.” Welcher Satz könnte die Unbeweglichkeit der Gewerkschaft besser illustrieren, welche Aussage könnte klarer zum Ausdruck bringen, daß die Gewerkschaft die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre beharrlich ignoriert?

Die Krise der Gewerkschaft ist auch die Krise einer anderen österreichischen Institution, die über Jahrzehnte die Geschicke Österreichs bestimmt hat: der Sozialpartnerschaft.

Auf dem Papier scheint der Einfluß der Sozialpartnerschaft fast grenzenlos: Die Kooperation zwischen Arbeit, Kapital und Staat ist weder in der Verfassung verankert, noch per Gesetz irgendeiner demokratischen Kontrolle unterzogen. 1 )ie Spitzen der vier Verbände, welche die Sozialpartnerschaft tragen - ÖGB, Wirtschaftskammer

Österreich, Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte und Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern - sind massiv in Nationalrat und Begierung vertreten. Die vier Verbände entsenden Vertreter in den General -ratder Nationalbank und können so aktiv die Währungspolitik mitgestalten. Die Bichter der Arbeitsgerichte werden von Sozialpartnern bestellt und sprechen im Namen der Bepublik Becht. Doch das System der Sozialpartnerschaft vermag nur zu herrschen, wenn die einzelnen Trägerverbände auch zusammenarbeiten.

Bis vor wenigen Jahren konnten die Sozialpartner den Hang zu (faulen) Kompromissen und die jeglichen Konflikt zudeckende Harmoniesucht der Österreicher weitgehend ungestört praktizieren. Ein enges Geflecht von Gesetzen regelte bis ins kleinste Detail Bechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Solange Österreich nach außen hin abgeschottet war, gereichte dies allen zum Vorteil: Das Land wurde zur vielzitierten „Insel der Seligen”, wo für jeden gesorgt war und sozialer Frieden herrschte. Streiks, wie sie in anderen Ländern zur Tagesordnung gehören, waren in Österreich so gut wie unbekannt.

In den siebziger und achtziger Jahren mußte die Sozialpartnerschaft ihre ersten großen Niederlagen hinnehmen. Die Ökologiebewegung, die nicht mehr in die althergebrachten gesellschaftlichen Schemata der Sozialpartner paßte, verhinderte - gegen den erklärten Willen der Sozialpartner - den Bau der Kraftwerke Zwen-tendorf und Hainburg.'

Doch im Vergleich zu dem Wind, der den Sozialpartnern seit den letzten Jahren ins Gesicht bläst, war das nur ein laues Lüftchen:

■ Die Globalisierung fegt wie ein Wirbelwind durch Österreich. Wirtschaftliche Entscheidungen, die bisher im Lande getroffen wurden, werden plötzlich anderswo gefällt, jahrzehntelang eingespielte Mechanismen grei-fenauf einmal nicht mehr.

■ Die staatlichen Mittel werden immer knapper. Der in besseren Zeiten aufgebaute Wohlfahrtsstaat kann nicht mehr finanziert werden.

■ Die Menschen werden immer älter. Immer weniger junge Menschen müssen für die Pension der älteren Generation aufkommen.

■ Die Arbeitswelt hat sich grundlegend geändert. Kurzzeitjobs auf Werkvertragsbasis nehmen Uberhand. Der Unterschied zwischen Beschäftigten und selbständigen Unternehmern verschwimmt.

All das verlangt nach einem radikalen Umdenken und nach tiefgreifenden politischen Beformen. Statt sich jedoch gemeinsam über die für manche schmerzhaften, aber unumgänglichen Schritte zu verständigen, beginnen die einstigen Partner wie in die Enge getriebene Tiere einen Kampf jeder gegen jeden. Die Sozialpartnerschaft zerfällt.

•Als erstes kündigte die Wirtschaftskammer die Partnerschaft. Kx-AYirt-schaftsminister Johannes Ditz war noch zurückgetreten, weil die AVirtschafts-kämmerer (!) von Arbeitszeitflexibilisierung und Lockerung der Ladenschlußgesetze nichts hören wollten. Mittlerweile aber setzt die AVirt-schaftskammer rücksichtslos auf den Neoliberalismus. Der Markt wird zum Götzen erhoben, die global players zu seinen 1 Iohepriestern. AVie das soziale Netz in Österreich finanziert und den Umständen angepaßt werden könnte, darüber machen sich die im Globalisierungs-Taumel befindlichen Unternehmervertreter keine Gedanken mehr.

Die Arbeiterkammer beginnt, sich zu einer Interessensvertretung jener zu wandeln, die ziemlich weit unten auf auf der sozialen Leiter stehen, etwa alleinerziehende Frauen. Unter Bea-litätsverweigerung leiden die Arbeiterkämmerer aber ebenso wie die Gewerkschaftler. Mit einem Weltbild von gestern ist morgen jedoch kein Staat™ machen.

Nur eine Gruppe hat nicht nur jeglichen Bealitätssinn, sondern auch jeglichen Gemeinschaftssinn weit hinter sich gelassen: die Beamtengewerkschaft. Was Beamten-Chef Siegfried Dohr als wohlerworbene Bechte verteidigt, sind für Arbeiter und Angestellte Privilegien, von denen sie nur träumen können: 80 Prozent des Letztbezuges als Pension, Unkündbarkeit. Solidarität ist für die Be-wntenvertreter ein Fremdwort geworden.

All das zeigt: Die Sozialpartnerschaft, wie man sie bisher kannte, ist tot. Die ehemaligen Sozialpartner wären allerdings gut beraten, im Interesse Österreichs und seiner Bevölkerung gemeinsam ihren Beitrag dazu leisten, die knapper gewordenen Mittel gerecht zu verteilen und nicht nur für ihre jeweilige Klientel das größte Stück vom kargen Kuchen herausschlagen.

Gelingt ihnen jedoch der Anschluß an die Gegenwart nicht, so werden die Sozialpartner wie die Dinosaurier enden: Nach dem Einschlag eines Meteors oder Kometen vor 65 Millionen Jahren konnten sich die urzeitlichen Echsen den radikal veränderten Umweltbedingungen nicht anpassen. Sie sind ausgestorben.

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