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Die Macht moralischer Autorität

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Nur 0,44 Quadratkilo-meter, oder leichter verständlich 44 Hek-tar, bilden das eigentli-^1 che Staatsgebiet des ^ kleinsten, aber bei weitem nicht des unbedeutendsten Staates der Welt, des Vatikanstaates. Zu diesem Gebiet kommen etwa 27 Kilometer südöstlich von Rom noch 40 Hektar, die päpstliche Sommerresidenz Castel Gandolfo, und 25 Kilometer nordöstlich seit dem 8. Oktober 1951 die Sendestation von Radio Vatikan, Santa Maria di Galeria, hinzu. Doch zurück zu dem „eigentlichen“ Staatsgebiet. Es ist kurz beschrieben: Je ein Drittel sind Gebäude, Gärten, Straßen und Plätze.

Wie aber kann ein solcher Zwergstaat einen solchen Einfluß in der Welt haben, wie dieses „Gebilde“ in Nachfolge des einst mächtigen und bedeutenden Kirchenstaates? Hier ist sicherlich die moralische Autorität des Papstes ausschlaggebend. Allerdings, und auch dies muß angemerkt werden, hatte der Vorgänger des heutigen „Kirchenstaates“ diesen Einfluß und diese Bedeutung nicht. Wie kam es dazu?

Die päpstliche Macht im „alten Kirchenstaat“ endete am 20. September 1870. Bis zu diesem Tag hatte er über Jahrhunderte weite Teile Mittelitaliens beherrscht. Das Ende dieses Staates, der seine Macht in den letzten Jahrzehnten nur mit fremder Hilfe aufrecht erhalten konnte, wurde durch den deutschfranzösischen Krieg eiiigeleitet. Die Franzosen zogen ihre Truppen aus Itahen zurück. Die papsttreuen Truppen leisteten den Truppen Garibaldis nur symbolischen Wider-

Der kleinste Staat der Welt, der Vatikan, könnte mit Einnahmen aus Museen, Post, Apotheke und zwei Geschäften gut leben – aber es geht um mehr, stand, dann ergaben sie sich. Eine Volksabstimmung erklärte die päpst-hche Herrschaft für erloschen. Der Kirchenstaat wurde Teil des neuen Italien. Der Papst erklärte sich mit dieser Lage aber nicht einverstanden. Er bezeichnete sich selbst als Gefangener des Vatikans.

Die Börner, zu dieser Zeit nicht besonders papstfreundlich, „zementierten“ ihrerseits den Vatikan zu. Der Blick auf St. Peter wurde durch Bauten versperrt. Heute erinnert nichts mehr daran. Nur die Prachtstraße „Via Conciliazione“ läßt noch erahnen, wie es einst aussah. Sie ist eine „künstliche“ Straße, die am Tiber endet und keinen direkten Zugang zur Stadt hat. 59 Jahre hielt die Situation des sich selbst Abschließens an. Der Papst war nicht zu erweichen, er wollte kein itaheni-scher Staatsbürger werden. Bereits Pius IX. hatte 1871 ein italienisches Garantiegesetz abgelehnt. Er setzte auf eine internationale Lösung. Die „römische Frage“ sollte keine inner-italienische Angelegenheit werden. Die Spannungen wuchsen.

Dies änderte sich erst nach der Jahrhundertwende und 1929 konnten zwischen Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri und Benito Mussolini die Lateranverträge abgeschlossen werden. In drei Verträgen wurde der Vatikanstaat besiegelt. Hinzu kamen ein Konkordat, in dem die Beziehungen zwischen Staat und Kirche geregelt wurden und eine einmalige

Entschädigungszahlung in Höhe von 1,75 Milliarden Lire. Damit war nicht nur der neue Staat besiegelt, es war auch die „Selbstgefangenschaft“ beendet.

Doch nicht nur das bisher beschriebene Gebiet gehörte von nun an zu dem neuen Staat. Ihm vrarden auch die großen Patriarchalbasili-ken, St. Johannes im Lateran, St. Paul vor den Mauern, S. Maria Mag-giore sowie San Callisto, die Gianico-lo-Zone, die Cancelleria, Propaganda und die Glaubenskongregation hinzugegeben. Nun aber hieß es aufzubauen. Nach 59 Jahren mußte von vorne begonnen werden. Zunächst ging es um den inneren Ausbau. Als Staat hatte der Vatikan Münz- und Posthoheit. Es \vurde eine eigene Münze und eine eigene Post gegründet. Beides erweist sich noch heute als eine gute Einnahmequelle für den Staat. Wenn auch oft über ein vatikanisches Finanzdefizit berichtet wird, Münze und Post sind nicht defizitär, auch nicht die Vatikanischen Museen, die Besteigung von St. Peter und die Besichtigung der Ausgrabungen unter der größten Kirche der Welt.

ALLES KOSTET GELD

So wichtig dies auch ist, entscheidend ist es nicht. Ausschlaggebend für die Welt von heute sind die Beziehungen, die die Wahlmonarchie Vatikanstaat zu den Völkern der Welt hat. Inzwischen sind es 140 Staaten, zu denen der Vatikan diplomatische Beziehungen unterhält. Auf diesen Wegen kann und wird sehr viel für den Frieden in der Welt getan. Und, die katholische Kirche wird von vielen anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften beneidet. Es vergeht keine Weltkonferenz des Ökumenischen Rates, wo dies nicht anklingt.

Als Souverän besitzt der Papst auch Bildungs- und Kulturhoheit. Diese manifestiert sich vor allem in den alten und weltweit in hohem wissenschaftlichen Ansehen stehenden Päpstlichen Universitäten wie der des Lateran oder der Gregoriana, die vor allem von den Studenten des Kollegs Germanicum et Hungari-cum besucht wird. Aber nicht nur diese, sondern auch die Urbaniana und die Ordenshochschulen, alle päpstlichen Rechts und können akademische Grade verleihen, sind Belege wissenschaftlicher Forschung und Lehre im Auftrag des Papstes.

Natürlich kostet dies alles Geld, Geld, das der Vatikan-alleine nicht aufbringen kann. Für den reinen Staat und die dort anfallenden Kosten, reichen sicherlich die Gewinne aus Post, Münze und Museum sowie aus der Apotheke, den beiden Geschäften und der Turmbesteigung aus. Hinzu kommen auch noch Einnahmen aus der Anlage der Entschädigungssumme. Die „Weltaufgaben“ des Vatikans jedoch sind es, die ein Loch in die Kasse reißen. Die Aufgaben aber müssen geleistet werden, weil sie der wesentliche Auftrag der Kirche sind: die Verkündigung des Evangeliums und die Ausbreitung des Glaubens. Hier ist die katholische Kirche als Weltgemeinschaft herausgefordert, für diese Kosten und damit für die Deckung des Defizits zu sorgen. Dies geschieht einmal durch den Peterspfennig, dann aber auch durch Zahlungen der Diözesen. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Defizite von Radio Vatikan und der päpstlichen Zeitung L'Osservatore Romano ebenfalls auf diese Weise ausgeglichen werden müssen. Diesbezügliche kritische Anfragen wurden bereits von der entsprechenden Kardinalskommission laut eingebracht.

DIE VORTEILE FÜR ROM

Heute leben etwa 800 Personen auf dem Staatsgelände des Vatikans. Aber nur die Hälfte von ihnen besitzt die vatikanische Staatsbürgerschaft. Sie alle haben, wie in jedem anderen Staat, auch einen Staatsfeiertag. Dies ist jeweils der Tag, an dem der. regierende Papst gewählt wurde. Momentan ist es der 22. Oktober. Dann wird, wie an allen hohen Feiertagen, die Staatsflagge gehißt. Sie ist gelb-weiß. Das weiße Feld zieren die Schlüssel Petri. Und nicht zu vergessen: eine eigene Polizei und eine Schutztruppe, die etwa 100 Mann zählende „Schweizergarde“, unterhält der kleinste Staat der Welt auch. Leider, zum Verdruß vieler älterer Pilger, gibt es die beiden prächtig aussehenden Garden nicht mehr. Sie fielen der Reform durch Papst Paul VI. zum Opfer. Es waren die Nobel- und die Palatin-garde.

Rom hat schheßlich durch den Vatikan erhebliche Vorteile. Diese wurden vor allem während des Zweiten Weltkriegs deutlich. Deutsche und alliierte Besatzer beachteten weitgehend die Neutralität des Vatikanstaates und seiner exterritorialen Enklaven. Hievon profitierte die Stadt. Aber auch davon, daß Pius XII. mit Generalfeldmarschall Kesselring verhandelte und Rom zur offenen Stadt erklärt vmrde. Dies war ein Sieg der VOernunft, ein Sieg für Rom und die Menschheit.

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