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Die Marseillaise im Vatikan

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Rom, 19. Mai. Der französische Staatspräsident Coty begab sich heute, nach Beendigung seinei offiziellen Besuchet bei der italienischen Regierung, in die Vatikanstadt, wo er von Papst Piui XII. ln feierlicher Audienz empfangen wurde. Der heutige Staatibeiuch Cotya fiel mit dem 40. lahrestag der Bischofiweihe des Papstes zusammen. Žum erstenmal wurden Fernsehaufnahmen in den vatikanischen Gemächern erlaubt. Nachdem der Heilige Vater der Besuchergruppe, der auch der französische Auficnminister P i n e a u angehörte, den apostolischen Segen erteilt hatte, begaben zieh die Gäste in die Peterskirche.

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Rom, 19. Mai. Der französische Staatspräsident Coty begab sich heute, nach Beendigung seinei offiziellen Besuchet bei der italienischen Regierung, in die Vatikanstadt, wo er von Papst Piui XII. ln feierlicher Audienz empfangen wurde. Der heutige Staatibeiuch Cotya fiel mit dem 40. lahrestag der Bischofiweihe des Papstes zusammen. Žum erstenmal wurden Fernsehaufnahmen in den vatikanischen Gemächern erlaubt. Nachdem der Heilige Vater der Besuchergruppe, der auch der französische Auficnminister P i n e a u angehörte, den apostolischen Segen erteilt hatte, begaben zieh die Gäste in die Peterskirche.

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Rom, im Mai

Im April 1904 kam der französische Staatspräsident Emile Loubet, ein Mann der liberalen Linken, nach Rom. um König Viktor Emanuel III. einen Besuch abzustatten. Vergeblich hatte ihn seine fromme Gattin beschworen, davon abzusehen und dem ‘ Papst nfchf hefäus-1 zufofdem. Denn noch galt die ernste Mahnung an alle katholischen Staatsoberhäupter, die Auflösung des Kirchenstaates durch das Königreich Italien nicht durch einen Besuch in Rom anzuerkennen, ein Veto, das erst ein Vierteljahrhundert später durch den Entschluß Pius’ XI. zu einer Wiederversöhnung mit dem italienischen Staat seine Wirkung verlieren sollte. Aber

Loubet kam gedrängt von dem Ministerpräsidenten Emile Combes, „le petit abbė Combes”, wie der ehemalige Seminarist spöttisch genannt wurde, weil er gerne mit seinen theologischen Kenntnissen prunkte. Combes suchte einen Casus bell” mit dem Papst, in dem er einen für die nationalen Interessen Frankreichs gefährlichen Gegner sah. Außenminister Theophile D e 1 c a s s e, sonst nicht abgeneigt, auf die „Klerikalen” Rücksicht zu nehmen, unterstützte die Reise, denn sie sollte dazu helfen, den Dreibund zu lockern und womöglich Italien als Verbündeten gegen Deutschland zu gewinnen. Die Politik der Einkreisung war bereits im Gange, und Delcasse verfolgte sie mit der ganzen Hartnäckigkeit seines pyrenäischen Bauerngeschlechtes.

Der Heilige Stuhl protestierte in einer geheimgehaltenen Note bei allen katholischen Regierungen gegen den Besuch im Quirinalpalast, unter anderein auch beim Fürsten von Monako, dem Großvater Rainiers 111, der vor wenigen Tagen erst Pius XII. einen offiziellen Staatsbesuch machte. Der Fürst spielte die Note den französischen Sozialisten in die Hände und löste damit eine Kette von Reaktionen aus, (lie er wohl selbst nicht vorbedacht haben mochte. Der milde Papst Pius X. wurde der Oeffentlichkeit als ein Feind Frankreichs gezeichnet, die Kirche beschuldigt, die Handlungsfreiheit der Regierung beschränken, die Sicherheit des Staates untergraben zu wollen. Es folgte die Trennung von Kirche und Staat, die Kündigung des Konkordats, die Auflösung von Orden und Kongregationen, die Aufhebung des Religionsunterrichtes in den Schulen. Der Bruch zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl war vollständig.

Inzwischen sind 53 Jahre vergangen; jener junge Priester, der als Minutant im Staatssekretariat auf der ersten Stufe seiner diplomatischen Karriere stand und die dramatischen Ereignisse aus nächster Nähe mitbeobachten konnte, hat inzwischen Petri Thron bestiegen; Er erlebte jetzt die Befriedigung, einen anderen Stäatsftfä-’’ sidtnten Frankreichs, den Katholiken Rėiii Coty, bei seinem offiziellen Besuch im Vatikan empfangen zu können. Die Befriedigung rührt von den geänderten Verhältnissen her, 2u denen ein halbes Jahrhundert voll Irrtttmern und später Einsicht in Frankreich geführt hat. Die Marseillaise, die am 13. Mai zum erstenmal im Hofe des Papstes Damasus erklungen ist, war keine aufreizende Kampfansage mehr, sondern die Ankündigung einer hoffnungsreicheren Zukunft.

In einem Regime parlamentarischer Demokratie, wie es Frankreich ist, 1st dem Staatspräsidenten nicht die Möglichkeit gegeben, entscheidende politische Wendungen herbeizufüh- ren. Daran ändert auch nichts di Tatsache, daß der Präsident von seinem Außenminister Pineau begleitet ist. Vergeblich wird man daher gewisse sensationelle Vorankündigungen der italienischen und französischen Presse, wie etwa die Einleitung von Verhandlungen über ein neues Konkordat, bestätigt erhalten. Der Besuch leitet gewiß eine neue Aera in den Beziehungen zwischen dem Vatikan und Frankreich ein, die in fernerer Zukunft auch auf andere zwischenstaatliche Beziehungen des Heiligen Stuhls ausstrahlen könnten.

In zwei furchtbaren Kriegen haben die französischen Katholiken ihre patriotische Pflicht erfüllt, zum Teil sogar in führender Stellung, wenn man sich an die Marschälle F o c h und F r a n c h e y d’E s p e r a y, an die Rolle eines B i d a u 11 und d’A r g e n 1 i e u in der Resistance erinnern will. Die Katholiken sind mit der Republik und die Republik ist mit den Katholiken ausgesöhnt. Der aktive Katholizismus ist in Frankreich wesentlich weniger parteigebunden als in anderen Ländern, sicherlich ist er stärker, als die Wählerschaft des MRP erkennen lassen würde. Die kulturelle Tätigkeit und die Originalität des französischen Katholizismus haben ihm auch im Ausland so viel Ansehen eingebracht, daß die Pariser Regierung gut zu tun glaubt, ihm Rechnung zu tragen. Auf dem Gebiete des Unterrichtes und in den Missionen haben die Katholiken ein solches Gewicht, daß ihre Unterstützung für die Regierung geradezu ein Gebot der Klugheit ist. Würden die katholischen Schulen und Institute, um einen rein theoretischen Fall zu konstruieren, plötzlich geschlossen werden, so bliebe ein Viertel aller Volksschüler und drei Fünftel aller Mittelschüler ohne Unterricht. Diese Schulen sind bis vor kurzem ausschließlich rus privaten Mitteln erhalten worden, jetzt steuert der Staat mit eher bescheidenen Zu- Schüssen bei, wobei die Linke im Parlament immer wieder den Versuch unternimmt, diese Subventionen zu streichen. Auch die staatlichen Beiträge für die Missionsschulen und -spitäler sind wesentlich niedriger als in England und Belgien. Dabei sind 25 Prozent aller Missionäre Franzosen, und die französischen Kolonien und Besitzungen blieben praktisch ohne jene sozialen Einrichtungen, wenn sie von den katholischen Organisationen aufgegeben werden müßten. Sie in Frankreich wie in Uebersee durch staatliche zu ersetzen, ist unmöglich, denn es würde sowohl an den Mitteln als auch am Personal fehlen, besonders wenn man bedenkt, daß der Aufwand für das Laienpersonal ungleich höher sein müßte.

Es ist nicht ausgeschlossen, sogar wahrscheinlich, daß der Wunsch nach einer weiteren Subventionierung des katholischen Schulwesens und der Missionen bei den Gesprächen im Staatssekretariat angeschnitten werden wird. Vermutlich sind es diese gewesen, die den Ge r ü c h- ten über neue Konkordatsverhandlungen Nahrung gegeben und die ebenso heftige wie unverständliche Reaktion gewisser laizistischer Kreise Frankreichs hervorgerufen haben. Im Vatikan würde ein Konkordat gewiß begrüßt werden, aber er beabsichtigt keinen Druck in dieser Richtung auszuüben, da das Verhältnis zwischen Kirche und Staat nunmehr genügend geklärt ist. Die diplomatischen Beziehungen sind seit 1921 — übrigens durch den Liberalen H e r r i o t — wieder aufgenommen, und der Quai d’Orsay hat durch die Auswahl seiner Botschafter gezeigt, welche Wichtigkeit er diesem Posten beimißt. Noch ist im Vatikan die Erinnerung an Charlesroux, dem späteren Präsidenten der Suezgesellschaft, lebendig, wie auch an dessen Nachfolger, den Philosophen M a r i t a i n, den Journalisten und Schriftsteller d’O rme’sson. DeMargerie, welcher derzeit Frankreich beim Heiligen Stuhl vertritt, ist Jahre hindurch Chef der politischen Abteilung des Außenministeriums gewesen. Anderseits ist der Heilige Stuhl Frankreich in vieler Hinsicht entgegengekommen, durch das Pränotifikationsrecht bei Bischofsernennungen, durch die Errichtung einer ständigen Vertretung bei dem damals noch in Algier residierenden Komitee des Generals De Gaulle, zu einer Zeit also, da fast ganz Frankreich noch von deutschen Truppen besetzt war, und nach Beendigung des Krieges durch die Entfernung von sechs wegen ihrer Zusammenarbeit mit der Vichy- Regierung kompromittierten Bischöfen. Alles das müßte auch von den genannten laizistischen Kreisen anerkannt werden, wenn sie sich schon der Einsicht verschließen wollten, daß die finanzielle Unterstützung der katholischen Missionen in den französischen Kolonien eine nicht zu verachtende Garantie gegen die immer stärker werdende Islampropaganda der arabischen Staaten bedeutet. Islampropaganda bedeutet aber hier immer auch die Propagierung des arabischen Nationalismus.

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