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Die Memoiren des Panzergenerals

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Lange hat sich der letzte Chef des Generalstabes des deutschen Heeres, Generaloberst Guderian, gegen die Abfassung seiner Erinnerungen gesträubt, obgleich ihm sehr verlockende Angebote gemacht Worden waren. Guderian, der in ziemlicher Zurückgezogenheit und materieller Bedrängnis in Bayern wohnt, gehört nicht zum Typ des Gelehrten-Soldaten, wie etwa Dr, Speidel. Dieser General, der Abstammung nach Westpreuße, war wohl mit ganzem Herzen Offizier des wilhelminischen Deutschland und repräsentiert somit das Schicksal jener Generation, die 1918 nach dem Untergang der Hohenzollern-monarchie ihr Symbol verlor. Durch Zufall wird der in die Reichswehr übernommene ehemalige Jägeroffizier im Jahre 1922 sozusagen auf ein Nebengeleise geschoben und mit dem Kommando der Kraftfahrtruppen beauftragt, jener Einheit, die Zumindestens theoretisch das Problem der für Deutschland verbotenen Panzertruppen erörtern sollte, Mit aller Schärfe betont Guderian in seinen Erinnerungen, daß der Generalstab der Reichswehr entgegen mancher irrigen Auffassung die Bedeutung des Motors ebenso wie der Masse als neue Faktoren der modernen Kriegsführung von Anfang art Unterschätzte. Guderian wurde bald Von den einen alß Einzelgänger, von den anderen als Hoffnung moderner und fortschrittlicher Entwicklungen im Bewegungskrieg der Zukunft angesehen. Ehrend vermerkt er, wie sehr der österreichische Offizier Fritz Heigl schon 1923 die Bedeutung der Panzerwaffe ebenso wie der Engländer Füller hervorhob, während die Reichswehr eher der Kavallerie und den herkömmlichen Waffengattungen den Vorzug gab. Guderian, der mit einer Hartnäckigkeit sondergleichen seinen Plan der Aufstellung großer motorisierter Panzereinheiten, die im Zukunftskrieg die Schlachtentscheidung aus der Bewegung erzielen sollten, verfolgte, fand nach dem Jahre 1933 plötzlich Unterstützung seiner Pläne. Hitler, der sich grundsätzlich für militärische Fragen interessierte, förderte die Pläne dieses Generals, der bei dem Chef des

Generalstabes, Beck, aber auch beim Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Fritsch, manche Skepsis zu hören bekam. Die erste Erprobung der Panzerwaffe, die Guderian schuf, war der Einmarsch nach Österreich, Wobei sich übrigens Guderian interessanterweise in seinem ganzen Buch objektiv und ehrend über die taktischen und technischen Ausbildungen des Offizierskorps und der Mannschaften des Bunde6heeres ausspricht und sogar inmitten des Krieges österreichische Panzerspezialisten an entscheidende Stellen berief. Unverhohlen gibt Gudertan zu, daß Hitlers wachsende Macht über das Offizierskorps durch den tiefen Riß zwischen den konservativ-rückständigen und technisch-fortschrittlichen Gruppen bedingt war, wobei vornehmlich Kreise des Generälstabes den Gedanken einer einheitlichen Wehrmachtsführung, wie sie etwa in England verwirklicht wurde, ablehnten und überhaupt einen gewissen Widerstand gegen die ihnen unheimliche Macht der Technik nicht überwinden konnten. Die Panzerschlachten 1940, die Erfolge des Jahre6 1941 gaben GuderianS Schöpfung zunächst recht, und die Panzertruppe wurde die 6chlachtentscheidende Waffe der Blitzkriege.

Als aber der Ostkrieg Hitlers Phantasiestrategie und die Vielgeleisigkeit der deutschen Führung, ihre mangelnde Rüstungsvorbereitung und technische Zersplitterung offenbar werden ließ, geriet Guderian in Ungnade. Sein Werk zeigt in fast jedem Kapitel die heftigen Auseinandersetzungen mit Hitler, und erst im Frühjahr 1943 berief man ihn wieder an die Spitze der Generalinspektion der Panzertruppen, ohne daß es Guderian mehr möglich war, das Chaos von Führungsund Rüstungsdilettantismus zu steuern. Die historische Situation nach dem 20. Juli 1944 nötigte ihm noch fcü seinen sonstigen Aufgaben die Geschäfte des Chefs des General-fctabes de6 Heeres auf. Nicht aus politischen Gründen, sondern als gebürtiger Ostdeutscher glaubte er, durch Verhinderung sinnloser strategischer Experimente die Katastrophe hinausschieben zu können, Am Starrsinn Hitlers, der 6ich nicht scheute, Guderian, dem er größtes Mißtrauen entgegenbrachte, durch Kaltenbrunner vernehmen zu lassen Und dessen Generalstabsoffiziere In Haft zu nehmen, wurde diese letzte Aufgabe, welche längst durch die Erkenntnis des politischen

Zusammenbruches überschattet war, sinnlos und endete beim Beginn der Schlacht um Berlin, als Hitler in einem wahren Amoklauf Guderian und den Generalstab als die eigentlichen Saboteure seiner verstiegenen Ideen auszurotten bestrebt war. Guderians Erinnerungen sind oft von Bitterkeit gegenüber persönlichen und sachlichen Gegenspielern durchtränkt. Jedoch bilden sie gerade wegen der Aktenauszüge und der freimütigen und genauen Darlegung über die Fehlentscheidungen Hitlers eine wichtige Geschichtsquelle, die nicht mißverstanden werden darf. Dieser Hinweis ist um so entscheidender, als beim Erscheinen dieses Buches aus verlegerischen Gründen das Bekenntnis Guderians gewiesermaßen als Richtlinie über eine endgültige Trennung der Meinungen herausgestellt wurde. Für die in Vorbereitung befindliche österreichische Lizenzausgabe wäre zu wünschen, daß die „Scheidung der Geister“ im Sinne des Verfassers erfolgt, nämlich die Wahrheit als die einzige Grundlage für jede vernünftige Beurteilung des vergangenen Jahrzehnts zu finden. Wer also in Guderians Buch eine „Rechtfertigung“ sucht, wird bitter enttäuscht werden. Die Tatsachen sprechen für sich.

Die Wendepunkte des Krieges. Von Herbert A. Quint. Steingrüben-Verlag, Stuttgart. 224 Seiten.

Am 23. Oktober 1941, etwas vot Mitternacht, bat Montgomery die Kriegskorres'pon-denten in sein Zelt und eröffnete ihnen, daß mit dem bereits einige Stunden währenden Bombardement die Schlacht von El Alamein begonnen hätte. „Ich denke“, fügte er hinzu,

„diese Schlacht könnte den Wendepunkt dieses Krieges bedeuten.“ Halte der britische Feldherf — es wäre natürlich vorsichtiger gewesen, Wendepunkte zu sagen — grundsätzlich mit dieser Vermutung recht, und wie Verhält e« eich überhaupt mit jenen Augenblicken, in denen eich wie um verborgene Angeln die Pforten der Historie zu drehen beginnen? Eine recht interessante Frage, zu der Herbert A. Quint reichlichen Stoff für Meditationen liefert. Sein erstes Kapitel betitelt sich „Operation Seelöwe und ist der Planung jener deutschen Großlandung auf den britischen Inseln gewidmet, die bekanntlich nie stattfand. Bei näherer Analyse stellt eich indes bereits hier die Problematik der Auswahl ein. Denn Quint zieht hier sehr geschickt zwei „Wendepunkte* in einem Essay zusammen: die Rettung von Dünkirchen, will sagen die erfolgreiche Evakuierung des BEF, Und die Ereignisse nachher, die schließlich dazu führten, daß die Invasion aufgegeben wurde. Sicherlich kann aber nur einer der beiden Augenblicke die „Wendepunktqualität“ besessen haben. Die Schlacht von Moskau und El Alamein folgen, dann wird die Schlachtenszenerie durch einen technischen Exkurs über die Radartechnik unterbrochen, die Landung im Süden Italiens und die Operation „Overlord“, also die Invasion In der Ndr-rnandie, runden das nüchtern und zugleich elegant geschriebene Buch ab. — Auffallend ist das Fehlen der Schlacht um Stalingrad, das auf russischer Seite als der Wendepunkt schlechthin angesehen wird. Wie uns Scheinen Will, wurde Stalingrad hier mit Recht ausgelassen, die deutsche Armee wurde zum erstenmal und entscheidend vor Moskau geschwächt, Wobei allerdings wieder die wenigen Wochen, die das englische Balkaneplel den Russen einräumte, eine sehr wesentliche Rolle spielten. Heinrich Maria Waasen

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