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Die Nacht der armen Wellen

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I.

Am 11. Dezember 1957 wurde die Oesterreichische Rundfunk-Ges. m. b. H. mit einem Stammkapital von 82,2 Millionen Schilling gegründet. 80 Millionen brachte der Bund, 2,2 Millionen brachten die Länder ein. Auf Grund des Kompetenzgesetzes (BGBl. Nr. 134/56) wurde ein viergliedriges Ministerkomitee, bestehend aus Bundeskanzler, Vizekanzler und den Bundesministern für Unterricht, für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft, eingesetzt. „Mit der Gründung der neuen Rundfunk-Gesellschaft wurde ein langjähriges Provisorium beendet und ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Oesterreichischen Rundfunks eingeleitet“, hieß es in der Erklärung der neuen Geschäftsführung am 12. Dezember 1957. Was erwartete man vor Jahresfrist von der administrativen und finanziellen Neuordnung? Der Generaldirektor gab damals, sowohl was die Pläne der Gesellschaft anging als auch hinsichtlich der Erwartungen der Hörerschaft, an: „Beide Fragen haben eine gemeinsame Antwort: eine Verbesserung des Programms.“ Er sagte weiter: „Die Tages- und Wochenprogramme sollen nicht dem Einheitsmenü einer Gaststätte entsprechen, sondern eine Folge darstellen, aus der der Hörer selbst wählen kann. Diesen Umstand zu beachten und darüber hinaus Kulturträger für In- und Ausland zu sein und ein qualitativ hochstehendes, reichhaltiges und vielfältiges Programm zu bieten, ist eine der ersten Aufgaben der neuen Gesellschaft.“ Und ferner: „Lieberhaupt betrachten •fltfr jfBbsffo vornehmste, Pflicht des Rundfunk, :,Ö,9t;eireichische Autoren, Komponisten und Wissenschaftler wieder in dem Maße zu fördern . .. das Oesterreichs kulturelle Sendung verlangt.“ In jenen Stunden hat man die Vertreter der Presse gebeten, Geduld zu haben, nicht im vorhinein abzuurteilen, an der Leistung der folgenden Monate das Bemühen abzulesen und nach einem Jahre etwa zu vergleichen. In gleichem Atem aber gestand man zu, daß die Arbeit des Rundfunks der Kritik unterzogen werden muß. Sachliche Kritik nach unten und, wenn es sein muß, nach oben hat noch nie geschadet; wohl aber Schweigen und Verschweigen.

II.

Es war im Dezember vorigen Jahres längst offenkundig, daß die finanzielle Situation des Rundfunks schwierig war und noch schwieriger werden mußte, wenn es nicht gelang, das Finanzierungsprogramm zu lösen. Man kann nicht leugnen, daß seit dem Jahre 1951 der Rundfunk, 'alle Kostensteigerungen ausgabenmäßig mitmachen mußte, eingangsmäßig aber in der Luft hing. Im Jahre 1951 betrug der Rundfunkbeitrag 7 S. Gemessen am Durch-schnitssindex, hätte er damals bereits 13 S betragen müssen. Als die neue G. m. b. H. gegründet wurde, stand der Index gegenüber 1951 um 200 Punkte höher, also bei 8 50, der Rundfunk lag nach wie vor bei 350. Mitte 1957 bereits hätte verhältnismäßig der Rundfunkbeitrag 17 S betragen müssen. Man brauchte zu diesem Zeitpunkt kein Bankfachmann zu sein, um vorauszusagen, daß es über kurz oder larig zu einem Debakel kommen müsse. Das Oeffnen der Defizitschere hat wie bei einer Nähschere eben seine Grenzen. Wir haben uns bei einer Pressekonferenz im Pressehaus und nachher in der Argentinierstraße wiederholt über das Thema „Rundfunkgebühr“ unterhalten und vor einem Jahr — freilich nicht offiziell — gehört, daß die Mindestgrenze der Monatsgebühr 14 S sein müsse. Dann könne man mit einiger Hoffnung an eine würdige Programmgestaltung herangehen; dann könne man die Autoren anständig bezahlen (die erst ab 1. September 1958 eine sehr bescheidene Erhöhung ihrer Honorare zugestanden erhielten); dann könne man sich — vielleicht — Sonderaufgaben widmen, wie Preisausschreiben für zeitgenössische Musik, für moderne Dichtung, Uebertragung von Opernaufführungen usw. Wir haben die Spesenrechnungen eines Hörspiels in der Dauer von etwa 100 Minuten eingesehen, das man im November 1951 mit 16 Sprechern und 5 Musikern gab. Die Kosten beliefen sich für das Buch auf 2300, für die Mitwirkenden auf 5000 S. Im vorigen Jahr hat ein Stück, wie Bahrs „Konzert“, mit 13 Stimmen und 7 Musikern bereits Buchkosten von 4150 S, für die Mitwirkenden einen Aufwand von 9000 S erfordert. Derartige Stücke dürften zukünftig als Luxus angesehen werden. Ansonst wäre es unerklärlich, daß man noch vor kurzem an die Mitarbeiter des Rundfunks ein Memorandum hinausgehen ließ, in dem es hieß: „Wie Ihnen aus Zeitungsnotizen bekannt sein dürfte, ist zur Zeit eine endgültige Regelung der Rundfunkfrage nicht zu erwarten. In Anbetracht des stark gekürzten Budgets bitten wir Sie, namentlich bei Dramatisierungen darauf Rücksicht zu nehmen, daß nicht mehr als maximal fünf bis sechs Personen im Manuskript aufscheinen.“ Gut, daß dieses Verlangen an derzeit noch Lebende gestellt wird. Von Grillparzer kann man nicht mehr erwarten, daß er von den 28 Namensrollen seines „Ottokar“ vier Fünftel streicht. Von einem etwaigen Bearbeiter (sprich: Dramaturgen) aber auch nicht, sofern sich besagter Sprechstückfriseur auch nur ein wenig als das hält, womit er vor Jahresfrist angesprochen wurde: als Kulturträger, der für Oesterreichs kultuelle Sendung verantwortlich sein muß.

III.

Der Generaldirektorstellvertreter hat nunmehr im Aufsichtsrat sein Bedauern ausgedrückt, daß es zu keiner einstimmigen Auffassung in der Sitzung kam. Der Finanzierungsvorschlag .(der an das Ministerkomitee geht und kaum große Aenderungen erfahren wird) sieht also, das haben wir breit ausgetreten in den Tageszeitungen gelesen, eine Erhöhung der monatlichen Hörergebühr von 7 auf 9 S und einen einmaligen „Investitionsbeitrag“ von 20 S vor. Damit, so wird behauptet, wären die vom Rundfunk benötigten zusätzlichen 70 Millionen für die Verbesserung und die Erhaltung der Länderstudios gesichert. Die zweite Regierungspartei, welche bei der Abstimmung in der Minderheit blieb, hatte vorgeschlagen: Rationalisierungsmaßnahmen im Betrieb; Erhöhung der Einnahmen durch, den Werbefunk; völlige Zuwendung der Anerkennungsgebühr und des Kunstförderungsbeitrages für den Funk; Rückzahlung eines Darlehens, das der Rundfunk dem Fernsehen gewährte, durch den Bund; Subventionierung des Funks (ähnlich jener der Bundestheater) durch den Bund; Aufnahme eines Investitionskredits; und zuletzt Erhöhung der Hörergebühren. Hierzu ist zu sagen: die Rationalisierung hat in einem technisch ausgerichteten Betrieb ihre Grenzen; auf Kosten der Länderinteressen, die mehrfach beeinträchtigt wurden, darf nicht mehr geknausert werden. Oesterreich ist nicht Wien allein. Das Budget, ist viel zu sehr überfordert, als daß man von dort etwas abzweigen könnte. Ob eine Anleihe (und damit ist wohl der Kredit gemeint) bei dem gegenwärtigen Anleihehochwasser auf dem Kapitalsmarkt Anklang findet, darf bezweifelt werden.

IV.

Die Schwierigkeiten des Rundfunks werden sich kaum vermindern. Selbst bei der ursprünglich geplanten Hörergebühr von 12 S wären nur 50 Groschen für die /.Verbesserung“ des Programms je Hörer und Monat übriggeblieben. Die nunmehr vorgeschlagenen 9 S dürften jährlich mindestens ein Manko von 5,4 Millionen belassen. Solange von den gegenwärtig je Hörer bezahlten 98 S im Jahr nur 46.20 S dem Rundfunkbetrieb verbleiben; solange ein wirklich kulturelles Konzept mangels materieller Grundlagen ausbleibt; solange wir keine Rechenschaft gelegt bekommen von der Verwendung der Gelder in den letzten Jahren; solange der Programmbeirat ein Schattendasein führt und die Presse vor vollendete Tatsachen gestellt wird; solange landschaftseigener Kunstwille zurücktreten muß vor „Glashaus-Kulturspinat“: so lange werden die Tauben auf den Gesimsen der Argentinierstraße an Auszehrung leiden oder davonfliegen wie prominente Autoren, Orchester und Wissenschaftler aus dem Lande„ das sich als Brücke zwischen den Völkern, als Leuchtturm, als Wahrer der Kultur hochtönend bezeichne und, wenn es zu Taten kommen soll, miß gestimmt fortwurstelt.“ S.

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