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Die Nation und ihre Heiligen

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Der Kommunismus setzte auf Internationalismus. Die Kirche war Hort der Nation. Glaube und Nationalismus bildeten eine unheilige Allianz.

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Der Kommunismus setzte auf Internationalismus. Die Kirche war Hort der Nation. Glaube und Nationalismus bildeten eine unheilige Allianz.

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Die Propagandabilder von einem kroatischen Staatschef Franjo Tudjman, der in Soldatenmontur während eines katholischen Gottesdienstes das Wort ergreift und eine kroatisch-nationale Brand-Pseu- do-Predigt hält, befremden hierŽu- lande. Kroaten halten so etwas für normal; wird von ihnen der Nationalkatholizismus (welch ein Begriff, ein Gegensatzpaar, das sich eigentlich ausschließen sollte!) schon mit der Muttermilch eingesogen. Die Muttergottes, die Gospa Maria, wird selbstredend - wie von anderen Völkern mit anderen Titeln auch - als „Königin der Kroaten“ vereinnahmt und am kroatischen Marien „natio- nal“heiligtum Maria Bystrica mit Totalhingabe verehrt. Maria, die Mutter der Nation — eine mehr als merkwürdige Variante religiös eingefärbten Nationalismus. Dabei kann die Theologie nur wenig dafür, daß es zu dieser mariologischen Ausprägung kam - aber offenbar haben die Nationen das Bedürfnis, auch das Heilige, die Heiligen, für sich zu reklamieren, sie gegen andere Heilige auszuspielen, denen sich die Nachbarvölker verbunden fühlen.

Als Papst Johannes Paul II. im April 1990 nach Prag und Velehrad (mährisches „ N ationalheiligtum“)

auch Bratislava (Preßburg) besuchte, führte er als beispielgebendes Vorbild für die Slowaken nur den heiligen Adalbert (Vojtech) von Prag im Munde. Auf die Frage, warum denn der heilige Martin (in der alten ungarischen Krönungsstadt Preßburg ist die Hauptkirche der Martinsdom) keine Erwähnung finde, antwortete mir ein katholischer Preßburger Journalist: „Weil Martin nicht unser Heiliger ist, der gehört den Ungarn.“ Mittlerweile erhebt sich die Frage, ob die Slowaken nach der Trennung von Tschechien nicht auch Adalbert, Bischof von Prag und Apostel der Preußen, aus nationalistischen Gründen eine Absage erteilen sollten.

Der kroatische wie der slowakische Nationalismus fanden in kirchlichen Persönlichkeiten immer wieder ihre Unterstützung. Es ist eine selbstverschuldete Tragik, daß zur Zeit des Faschismus die unheilige Allianz zwischen Kirche und Nationalismus ihren Höhepunkt mit blutigen Folgen fand.

Die kroatische Ustascha-Bewe- gung unter dem katholischen „Po- glavnik“ (Führer) Ante Pavelic grenzte Kroatien von den „zivilisatorisch rückständigen byzantinischen Serben“ aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche deutlich ab. Christus konnte nur auf Seiten der Kroaten sein: „Christus und die Ustascha, Christus und die Kroaten marschieren zusammen durch die Geschichte“, hieß es in einer Propagandschrift des Jahres 1941. Und was taten die Ustaschi, die sich im Gefolge Christi wähnten? Mile Budak, der damalige kroatische Kultusminister, verordnete, daß ein Drittel der Serben vertrieben, ein Drittel durch katholische Taufe kroatisiert und das letzte Drittel umgebracht werden sollte. Kroatische Franziskaner aus Bosnien, wie der Obergespan von Sarajewo, Bozidar Bralo, oder der Kommandant des kroatischen Konzentrationslagers Ja- senovac (wäre der Papst gesundheitlich besser beisammen gewesen, hätte ein Besuch dort wohl zur Versöhnung yiit den Serben beitragen können), Filipovic, setzten in die Tat um, was Budak verlangt hatte.

Die katholischen Bischöfe verhielten sich äußerst zurückhaltend. Deutlich für die Ustascha trat nur der Erzbischof von Sarajewo, Saric, ein. Zaghaft bemühten sich die Bischöfe darauf hinzuweisen, daß eine katholische Taufe nur aus freien Stücken erteilt werden dürfe. Viele Serben versuchten sich damit jedoch vor dem sicheren Tode zu erretten. Erst als das Wüten der Ustascha unerträglich wurde, warnte der Zagreber Erzbischof Alojzije Ste- pinac Pavelic, solche Unmenschlichkeiten zu verhindern.

SLOWAKISCHER NATIONALISMUS

In der Slowakei marschierte Prälat Jozef Tiso mit Christus an der Spitze für eine „freie, selbständige“ Slowakei, die mit Hitlers Hilfe dann auch errichtet wurde. Slowaken beziehen sich heute noch auf den Tiso-Staat als erstes Modell eines slowakischen Nationalstaates. Die Unmenschlichkeiten des Tiso-Regimes, die Verschickung von Zehntausenden Juden in Konzentrationslager, werden damit entschuldigt, daß Tiso im Würgegriff Hitlers eben nicht anders gekonnt habe. Der Glaube, die Katho- lizität reichten nicht so weit und tief, daß sie eine machtpolitische Ausprägung (siehe Beitrag von Anton Pe- linka, Seite 10) hätten erfahren können. Tiso, der nicht wegen der von ihm veranlaßten Judenverschickung, sondern bezeichnenderweise wegen seines die Tschechoslowakei mitzerstörenden Nationalismus von den Nachkriegsmachthabern der wiedererstandenen Tschechoslowakei zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, gilt vielen Slowaken heute als neuer Nationalheiliger; vor allem in der Phase der immer deutlicher werdenden Abgrenzung von Prag, bis zur Selbständigwerdung 1993 standen Tiso-Bilder bei nationalisti schen Demonstrationen ständig im Mittelpunkt.

Im Zeitalter der kommunistischen Unterdrückung der östlichen Hälfte des europäischen Kontinents war es verpönt, daß Länder des realen Sozialismus ihre nationale Identität betonten. Der Kommunismus setzte auf Internationalität. Nach der Wende vor exakt fünf Jahren, brach sich das, WEIS vierzig und mehr Jahre verboten war, mächtig seine Bahn.

Wohin dieser überbordende Nationalismus, das Suchen nach der verbotenen Identität führen kann, zeigt der Extremfall Jugoslawien. Nationalistische Anliegen sind ernst zu nehmen. Das Europa des 20. Jahrhunderts zeigt dies vom Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, über Faschismus, Nationalsozialismus und wiederentdeckte nationale Identität in Mittelosteuropa überdeutlich. Es kann durchaus in Ordnung sein, wenn Kirchen die Identität eines Volkes stützen. Der vor kurzem als slowenischer Außenminister zurückgetretene Christdemokrat Lojze Peterle (vormals slowenischer Ministerpräsident) hat den Nationalismus mit dem christlichen Personalismus begründet: jedes Volk braucht Souveränität, um bestehen zu können, jedes Volk kann Souveränität nur abgeben (im Blick auf die Europäische Gemeinschaft hin gesprochen), wenn es diese zuvor auch besessen hat.

Für Peterle war und ist klar, daß jedes Volk im früheren kommunistischen Machtbereich erst zu seiner Identität, sprich: Nationalität, gefunden haben muß, um. freiwillig den Weg in eine übergeordnete Einheit gehen zu können.

Die historisch gewachsenen reli giös-nationalen Gegebenheiten bilden für die Umwälzungen in den Ländern des realen Sozialismus einen wesentlichen Hintergrund. Die Bedeutung der Kirchen für diese Entwicklung ist manifest. Die katholische Kirche in Ex-Jugoslawien ist die Nationalkirche zweier Völker, der schon erwähnten Kroaten und der Slowenen; für die Slowenen war sie sogar kulturstiftend. Religiöses Bekenntnis und Nationalität sind in Ex-Jugoslawien eng miteinander verbunden. In Bosnien-Herzegowina konstruierte Tito sogar eine eigene Nation auf der Grundlage des Reli- gionsbekenntisses: die der Moslems.

Der Nationalismus in Osteuropa ist eine Kraft, mit der - auch unter religiösen Vorzeichen - weiterhin gerechnet werden muß. Dieser Realität hat Westeuropa vorerst nichts entgegenzuhalten. Der Krieg in Bosnien-Herzegowina, der Krieg in Kroatien hat gezeigt und zeigt noch immer, daß ein gemeinsamer Glaube, daß sogenannte Ökumene nicht imstande sind, nationalistische Gegensätze zu überwinden.

BISCHÖFE HERAUSGEFORDERT

Ein serbisch-orthodoxer Patriarch Pavle kann beispielsweise noch so viele Friedensappelle unterzeichnen (gemeinsam mit katholischen Bischöfen, etwa dem Zagreber Kardinal Kuharic), wenn er vor seinen Landsleuten steht, redet er in eigener nationalistischer Sache - und das ist es, was verstanden und wonach gehandelt wird. Der kirchliche Segen gilt so gesehen nicht anonym „allen Menschen“, sondern nur dem eigenen Volk. Es wäre eine spannende und lohnende, zweifellos jede kirchliche Führungspersönlichkeit herausfordernde Aufgabe, im ökumenischen Gespräch diese Haltung einzusehen, zu bekennen. Damit könnte mehr für Frieden und Völkerverständigung getan werden als mit jedem noch so gut gemeinten Friedensaufruf.

Der Papst hat das in seinen dramatischen Worten Anfang September in Zagreb so ausgedrückt. „Um Vergebung bitten und vergeben — so könnte man die Verpflichtung zusammenfassen, die allen obliegt, wenn solide Fundamente für einen echten und dauerhaften Frieden geschaffen werden sollen.“ Vielleicht ist eine Interpretation dieser Worte erlaubt: Erst eine Absage an den überbordenden Nationalismus, der als Religionsersatz oder mit Religion verbündet die eigene Überlegenheit vor anderen zum Glaubensgrundsatz macht, kann dahin führen, daß auch der Nachbar von seinem vermeintlichen Sicherheitsgrund, dem eigenen Nationalismus, abläßt

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