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Die „Neue Klasse“ will nicht

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Der Verfassungsgerichtshof hat bekanntlich in seinem Erkenntnis vom 29. März 1958 die Gesamtveranlagung auf Grund des § 26 Absatz 3 des Einkommensteuergesetzes 1953 als verfassungswidrig beurteilt und vom Parlament gefordert, bis längstens 31. Dezember eine der Verfassung gemäße Besteuerung der Ehegatten herbeizuführen. Mit der Ausarbeitung eines Entwurfes für eine verfassungsgemäße Neuregelung wurde das Finanzministerium beauftragt, das im Sommer 1958 den ersten und im Herbst weitere Vorschläge unterbreitet hat, die vom Gleich- heitsgrundsätz der Verfassung geleitet und besonders MM äbgesteflf’ rhrM',DrMafiküfldig widersinnige Unterschiede bei der Besteuerung zu beseitigen; vor allem jene, daß zwar eine getrennte Veranlagung möglich war, wenn der Gatte selbständig erwerbstätig, seine Ehefrau jedoch Arbeitnehmerin war, während anderseits eine Gesamtveranlagung erfolgte, wenn die Ehefrau selbständig, also zum Beispiel Betriebsinhaberin. der Ehemann jedoch Angestellter odeT Arbeiter war.

Bei einer Lösung, die dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes entspricht, geht es also um mehrere Formen der Gleichheit vor dem Gesetz, einer Gleichheit zwischen den Geschlechtern und einer Gleichheit in bezug auf verschiedene Erwerbsquellen, vor allem selbständige und unselbständige Arbeit. Man muß daran erinnern, daß die getrennte Veranlagung für die „außerhalb“ unselbständig tätige Ehefrau und damit das Ausweichen aus der Steuerprogression, das mit Steuerersparnis für das Ehepaar verbunden ist, einer beschäftigungspolitischen Maßnahme der Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches entsprang, nämlich möglichst viele Frauen in den Wirtschafts- und Rüstungsprozeß einzugliedern.

Was hatte also das Finanzministerium zu tun und welchen Entwurf legte es vor?

Der Vorschlag der Finanzverwaltung konnte keiner wie immer gearteten wirtschaftspolitischen Aktivität entspringen, hatte also investi- tions- oder beschäftigungspolitische Interessen nicht wahrzunehmen. Lediglich dem Rechtsstandpunkt sollte in der Beurteilung Rechnung getragen werden, wobei freilich auf Grund des seinerzeit bestehenden bzw. in der Zwischenzeit wieder vom Parlament beschlossenen Finanzgesetzes (Budget) diese Regelung steuerpolitisch neutral sein sollte. Weder Steuermehreinnahmen noch Steuerausfälle sollten durch die neue gesetzliche Regelung möglich sein.

Der Entwurf des zuständigen Ministeriums sah eine lückenlose Haushaltsbesteuerung ohne Rücksicht auf die Quellen, aus denen die Einkünfte fließen, vr. Im besonderen sollte es möglich sein, die Einkommensteuer bis zur Höhe von 25.000 Schilling Jahreseinkommen getrennt zu entrichten. Damit wollte man bezwecken, daß die kleineren Verdienste, also etwa bis 2000 Schilling monatlich, nicht höher belastet würden als bisher. Anderseits wären nicht nur jene größeren Verdiener gemeinsam veranlagt worden, die ihr Einkommen aus selbständiger Arbeit (freie Berufe, Gewerbe- und Industriebetriebe usw.) beziehen, sondern auch die bisher einzeln besteuerten Unselbständigen (Ehemann, zum Beispiel Direktor einer Fabrik, und Gattin, Mittelschulprofessorin).

Die Sozialistische Partei hat diesen Entwurf abgelehnt, damit seine Gesetzwerdung verhindert und einen Zustand geschaffen, der zunächst einmal durch zwei Momente gekennzeichnet ist: Individualbesteuerung und Rechtsunsicherheit. Gegen die erstere gibt es an sich keine Einwendung. Gegen die Behauptung, daß eine Rechtsunsicherheit besteht, werden sich natürlich alle ernstlich verwahren. Man kann aber erzählen was man will. Sie ist doch gegeben, denn die hier ausgesprochene Meinung und die hier gemachten Feststellungen sind und werden auf die Dauer weder in ihrer Ursache noch in ihrer Wirkung Geheimnis bleiben.

Natürlich ergibt sich sofort die Frage, warum denn die Sozialisten gegen diese „finanzneutrale" und lediglich vom Rechtsstandpunkt her gesehene Regelung plädierten und eine Vorlage ablehnten, die mit Fug und Recht als konsequent, deni Gleichheitsgrundsatz der Verfassung entsprechend und — wenn man will — auch als für die kleineren Einkommensbezieher einer nicht unerheblichen Kategorie als günstig bezeichnet werden muß, während „Großverdiener“ teilweise drangekommen wären? Die Antwort ist so einfach wie frappant: Die von Tag zu Tag einflußreichere breite Schichte der sozialistischen Manager hat die Neuregelung aus (von ihrem Standpunkt aus) verständlichen Gründen abgelehnt. Die Krankenkassendirektoren und Genossenschaftsprokuristen, die von der Politik bestellten Aufsichtsratsmitglieder und Vorstände der SPOe, die Bankdirektoren, die in der verstaatlichten Industrie tätigen hohen Angestellten, kurzum, die gut dotierte SPOe-Bürokratie — und das sind ja alles Unselbständige, wiewohl sie oft ein Mehrfaches dessen verdienen, was der kleine Gewerbetreibende, der Landwirt oder der frei Schaffende je zu erreichen vermag — hat nein gesagt, weil sehr viele Gattinnen der Männer aus dieser Schicht auch irgendwo — und gar nicht so schlecht — verdienen. Daß dabei die Straßenbahner, Eisenbahner oder sonst unter 25.000 Jahresschilling liegenden Verdiener, deren Frau zufällig ein Milchgeschäft oder eine Bügelei hat, weniger gut wegkommen, stört wenig.

Den Neinsagern ist natürlich genau bekannt gewesen, daß eine Individualbesteuerung, also eine getrennte Steuerveranlagung, zwei Folgen hat:

1. Einen Steuerausfall von einigen hundert Millionen Schilling.

2. Die andere Folge ist natürlich, daß alle Verheirateten, die irgendwie können, eine Teilung ihrer Einkünfte anstreben werden. Wie sieht das in der Praxis aus? Die Gesellschaftsverträge bei den Personalgesellschaften werden ein wenig abgeändert, bei Einzelfirmen wird man vielleicht daran denken, die Gattin als Partnerin hereinzunehmen, kurzum, man wird versuchen, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse so zu gestalten, daß man der Steuerleistung möglichst ausweicht. Und — man wird das auf rechtlich völlig einwandfreier Grundlage tun können. Denn es gibt schließlich keine Möglichkeit, einem Unternehmer zu verwehren, seine Frau als Gesellschafterin zu beteiligen.

Diese Einkommensteilungen werden nur für höhere Einkommen entsprechende Steuerersparnisse gehen. Bei den kleinen Einkommen hingegen dürften solche Beteiligungsverhältnisse kaum die Kosten decken, die sich im Zuge der Abwicklung und der damit verbundenen Gebuhren erepbean. Die starre Haltung teil der Manager wird also unter den gegebenen Verhältnissen den „oberen Zehntausend“ zugute kommen.

Man wird natürlich versuchen, die Schuld daran anderen in die Schuhe zu schieben. Das wird aber diesmal schwerer fallen als sonst, denn das VerschleppungsmanöveT ist evident, und der Buckel der kleinen Leute, auf dem es ausgetragen wird, ist nicht endlos breit — und schmerzt.

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