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Die neue Wunderwaffe...

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Kriegsgeschichte ist zu einem guten Teil Waffenkunde: die Geschichte des Wettstreits der Waffen. Nun veralten ja Waffen nicht so eindeutig, wie sich das der Leitartikler vorstellt. Ich kann sehr wohl einen Menschen nicht nur mit dem Säbel meines Vaters, sondern auch mit dem Knüppel meines Neandertaler Urahnen totschlagen. Dennoch hat schon das karolingische Dienstreglement dem Reserve-heermann verboten, mit letzterer obsoleten Waffe auszurücken: er hatte sich bei der Heerschau mit einem modernen, eisenbeschlagenen Speer auszuweisen. Als dann die konventionellen Waffen durch Feuerwaffen ersetzt wurden, betrachtete man auch die Lanze immer mehr als obsolet — obwohl die Lanzen der Gardekosaken noch zur Wende der Schlacht bei Leipzig wesentlich beigetragen haben. Die Wirkung einer Waffe liegt nicht in ihr selbst, sondern in der Art der feindlichen Waffen. Daraus aber ergibt sich, daß jede Waffe und Waffengattung dann am stärksten wirkt, wenn sie neu erfunden ist. Das gilt auch für die geistige (wenn das Wort hier zutrifft ...) Waffe — die Propaganda.

Im ersten Weltkrieg war Propaganda die neue, unverbrauchte, unwiderstehliche Wunderwaffe, die noch mehr als die andere Wunderwaffe — der Panzerwagen — der Entente den Sieg gebracht hat. Es ist denn auch bezeichnend, daß die Führung Deutschlands ihre Hauptschläge zu Beginn des zweiten Weltkriegs eben mit diesen Waffen führte: mit Panzern und Propaganda.

„Eine Untersuchung der Bildung öffentlicher Meinung“ im ersten Weltkrieg ist daher von größtem Interesse, besonders da, wo die solcherart gebildete öffentliche Meinung beträchtlich zur Zerstörung der österreichisch-ungarischen Monarchie beigetragen hat. Als wir die Arbeit von Kann über Werden und Zerfall der Monarchie zu besprechen hatten („Die Furche“ Nr. 51/52/1962) kamen wir auch auf die Frage: war dieser Zerfall unabwendbar? Wäre die Monarchie zerfallen, wenn es die Entente nicht gewollt hätte? Und nun liefert das Buch von Hanak einen Beitrag zur weiteren Frage: mußte die Entente das wollen? So wichtig allerdings die gegen das Bestehen Österreichs gerichtete Agitation war, steht es noch immer nicht fest, daß ohne die Ernest Denis, Seton Watson und Wickhan, Steed — „Trojaque adhuc staret, Priamique arx alta maneret“ — die Monarchie noch bestünde. Das wäre nur dann der Fall, wenn England ihre Zerstörung nur darum gewollt hätte, weil seine Regierung von der Gerechtigkeit der jugoslawischen, tschechoslowakischen usw. Sache überzeugt war. Das war sie aber durchaus nicht vorbehaltlos, wie sich nachher sattsam zeigen sollte; es waren realpolitisch gemeinte Rücksichten auf Frankreich, auf Italien, auf Serbien, die da entschieden. Und Hanak weist mit vollem Recht darauf hin: weil das offizielle England die Neuordnung von 1918 nur mit halbem Herzen gewollt hatte, nur darum war es 193S so leicht bereit, sie wieder zu demolieren.

Nun war es 1938 so, daß — im ganzen und mit Ausnahmen — in England und anderswo die Rechte die Zerschlagung der Tschechoslowakei hinnahm oder auch begrüßte, die Linke sie lärmend bedauerte. Intra muros, in innertschechischen Auseinandersetzungen, trachtete man, diesen Tatbestand ins Unendliche in die Vergangenheit zu projizieren. Dadurch nämlich rechtfertigte man Benesch, der seine Außenpolitik und Außenpropaganda eben auf die Linke aller Länder aufgebaut hatte. Da ist es ein Verdienst von Hanak, nachzuweisen, daß wenigstens in England im ersten Weltkrieg die Dinge ganz anders standen. Einerseits waren es so prononcierte, allerdings leidenschaftlich frankophile Katholiken wie Chesterton und Belloc, die sich für die antiösterreichischen Emigranten einsetzten. Diese selbst standen übrigens erst recht nicht alle bewußt links: Hanak erinnert daran, daß das Lokal der Londoner Tschechen „Königreich Böhmen“ beschriftet war. Und T. G. Masaryk war ja gerade darum so unermüdlich tätig, weil er meinte, sonst könnte Böhmen zu einem monarchischen, reaktionären Appendix des russischen Kaisertums werden.

Anderseits aber waren maßgebende liberale und linke Kreise durchaus gegen die Zerschlagung der Monarchie. Das hatte mehrere Gründe, auf die Hanak in sehr aufschlußreicher Weise hindeutet. Erstens waren die Liberalen zuerst gegen den Krieg als solchen: das war die von Belloc verspottete „Kakao-Presse“ der Quäker. Zweitens gibt es einen alten Anti-Slawismus der Linken, von dem die bekannten antirussischen Abschnitte bei Marx nur eine Kostprobe sind. Drittens darf man nicht, geblendet von späteren Entwicklungen, darauf vergessen, daß es zwischen dem englischen Fortschritt und Preußen-Deutschland alte Sympathien gab. Bismarck wäre 1866 und 1871 anders dagestanden ohne die antiösterreichische Orientierung des Prinzgemahls von England, und sein Geschimpfe auf die Koburger war wahrlich undankbar...! Es gab also in England ganz bedeutende Kräfte, die sich auch in öffentlicher Diskussion für baldigen Frieden, folglich für Verhandlungen, gegen einen harten Siegfrieden, und folglich gegen die Absicht einer Radikallösung, wie es die völlige Zertrümmerung des einen Feindstaates war, aussprachen.

Wir sind Hanak Dank schuldig für die Art, wie er das ganz klar macht und die Verantwortung für die (wenigsten relativ) austrophile und (oftmals rabiate) antiösterreichische Haltung objektiv, nach deutlichen Belegen verteilt. Wir können an Hand seiner Darlegungen verfolgen, wie die nachmaligen Regierenden der kleinen Entente es verstanden, mit sicherer Hand einerseits mehr und mehr Förderer für ihre Ziele zu werben, anderseits die eigenen Landsleute — in der Emigration und schließlich daheim — sich zu unterordnen. (Masaryk freilich hatte in England keine Gegner; das Duell mit Dürich wurde in Rußland ausgefochten und wird hier nicht erwähnt.) Man ersieht auch — im Gegensatz zu manchen allzu einfachen Ansichten —, daß hierbei nicht etwa nur die Engländer, sondern auch die eigenen Landsleute gelegentlich falsch informiert wurden.

Haben wir nun die informativen Verdienste von Hanaks Buch hervorgehoben, so müssen wir uns auch mit seiner Einstellung beschäftigen. An manchen Stellen erklärt er die austrophile Richtung gewisser Engländer mit deren Unkenntnis mitteleuropäischer Dinge. Diese Unkenntnis war ja freilich vorhanden. Gewöhnlich wird (von österreichischer oder deutscher Seite) mit dieser Unkenntnis vielmehr die Bereitwilligkeit zur Zerschlagung der Monarchie erklärt... Wir unserenteils sind überzeugt, daß Kenntnis und Unkenntnis in dieser Frage wenig ausmachten. Wer Großösterreich aus geopolitischen Gründen für unentbehrlich hielt, würde diese Überzeugung nicht darum abgelegt haben, weil ihm wahlgeometrische Beschwerden der Slawen bewiesen worden wären.

Wir hätten auch etwas über Hanak«» Urteile über Ungarn zu sagen. Wohl war die Politik Transleithaniens zwischen 1867 und 1918 ein ständiger Quell von Sorgen und Klagen für alle treuen Großösterreicher, und daran kann das Mitgefühl nichts ändern, das Ungarns heutiges Schicksal verdient. Jedoch meinen wir, daß man nach 50 jähren auch über- die triftigen Ursachen der ungarischen Entwicklung mehr sagen könnte — zu diesen gehören beispielsweise auch die psychologischen Fehlgriffe von Felix Schwarzenberg... Auffallend ist auch folgendes. Auf deutschösterreichischer Seite hat man oftmals Masaryk dahingehend recht gegeben, daß alle Tschechen während des ersten Weltkriegs Hochverrat getrieben und ihre Legionen die Monarchie bitter bekämpft hätten. Es wurde nötig, der Wahrheit zur Steuer an die böhmischen Regimenter zu erinnern, die noch Ende Oktober 1918 an der italienischen Front standen. Hanak nun drückt sich in dem Sinne aus. die Tschechen hätten nur so getan, als ob sie die Monarchie bekämpften — ein Argument, das wir schon öfter gehört haben: Die Legionäre wären so wenige gewesen, daß sie eigentlich einen selbständigen Staat gar nicht verdienten. Es wäre gut, wenn sich die Historiker darüber einig würden, ob den Tschechen nun Hochverrat oder dessen Mangel zum Vorwurf zn machen sei. — Daß Hanak, bei seiner Kritik an der deutsch-ungarisch geführten Doppelmonarchie, für die austroslawisti-schen feudalen Autonomisten erst recht nichts übrig hat, mag verständlich sein.

Wir haben noch das reichliche VcrzeicK-nis der benützten Literatur (heutige kommunistische Historiographie mit inbegriffen) zu rühmen. Es versteht sich, daß die einschlägige Literatur in Wirklichkeit uferlos ist, zumal es an erbitterten Polemiken zwischen den Politikern und ihren Gefolgsleuten nicht gefehlt hat.

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