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Die neue Zeit bei Bata

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Das System Bata, das seinen Erfinder zum reichsten Industriellen der Tschechoslowakei und zum größten Schuhfabrikanten des Kontinents machte, beruhte auf einer einfachen, in gewissem Sinne genialen Idee. Die Industrie, so argumentierte Bata, hatte während des ersten Weltkrieges deshalb so floriert, weil das Geld ständig gerollt war. Und dies geschah, weil die Zeitspanne zwischen Produktion einer Ware und Untergang derselben Ware ein ganz geringer war, die Beschaffung der Ware also in kurzen Fristen immer wieder erneut werden mußte. Auf die Friedensproduktion einer Schuhfabrik übertragen, hieß dies: billige Schuhe in solcher Qualität erzeugen, die nicht lange getragen werden und leicht durch neue ersetzt werden können. Und die Produktion mußte so billig werden, daß eine Reparatur beinahe teurer war als die Anschaffung neuer. Die Überlegungen Batas erwiesen sich als richtig. In kürzester Zeit konnte er ein ungeheures Industrieunternehmen in seiner Heimatstadt Zlin aus der Erde stampfen, dem er Unternehmungen in der ganzen Welt folgen ließ. Für seine Arbeiter baute er Einfamilienhäuser, Sportplätze, Kinos, Erholungsheime. Allerdings, diese Erleichterungen erhielten sie nicht als Geschenk, sie mußten bezahlen dafür. Für die Wohnhäuschen mußten sie Zins entriditen, in den Kinos mußten sie die Eintrittskarten bezahlen, die Zeitungen, die er für sie druckte, konnten sie nui käuflich erwerben.

Das System Bata hatte viele, wenn auch nicht ehr laute Gegner. Den Vorwurf, daß er 60.000 Sdiuster zugrunde gerichtet habe, hielt er entgegen, daß er ebenso viele Leute wieder angestellt habe, die zu weit besseren Bedingungen arbeiten. Er verschwieg freilich, daß es selbständige Existenzen gewesen -waren, die durch seine Großindustrie aufgesaugt .worden waren. Außerdem berief er sich darauf, daß er täglich 100.000 Paar Schuhe erzeuge, die zu einem großen Teil ins Ausland gingen und dem Staat viel Geld einbradnen. hundertmal mehr, als die 60.000 zugrunde gerichteten Schustermeister. Der größte Vorwurf, der gegen sein Unternehmen gerichtet wurde, war, daß er ein raffiniert hartes Lohnsystem eingeführt hatte. Seine Arbeiter mußten im Akkord arbeiten, noch dazu in einer besonderen Spezies von Akkord: im Gruppenakkord. Der Lohn des einzelnen richtete sich nicht nadi seiner persönlichen Leistung allein, sondern nach der Leistung der ganzen Gruppe, der er angehörte. Das bringt ein gegenseitiges Aufpassen der Arbeiter mit sich und ein ständiges gegenseitiges Antreiben. Die berechtigten Anklagen gegen dieses Lohnsystem verhallten wirkungslos. Bata war der größte Steuerzahler des Landes und keine Regierung wollte es sich mit ihm verderben. Und die Zeitungen empfingen von ihm Rieseninserate.

Als die Deutschen ins Land kamen, floh der Chef der Firma nach England. Heute ist sein R ies en 11n:ernehrnen verstaatlicht. Kürzlich besuchte ein Mitarbeiter der Sdiweizer

Wochenschrift „Der Weg“ Zlin, sozusagen die Hauptstadt des ehemaligen Bata-Reidies, in der wöchentlich allein 500.000 Herrenhalbschuhe erzeugt und aus der 2200 Pili den des Inlandes und viele des Auslandes beliefert wurden. Dem Schweizer Besucher fielen unter den Arbeitern die vielen bleichen und müden Gesichter' auf und einer der Grüncfe dafür sei wohl „die ziemlich schwere abstumpfende und aufreibende Arbeit am laufenden Band, ein Faktor, der durch das 1\kkordsystem noch versdiärft wird. Die Löhne seien niedrig, audi dem langjährigen Betriebsangenörigen sei es verwehrt, sein der Fabrik gehöriges Miethäus-dien zu erwerben. Der Scnv/eizer Besucher kommt zu dem Schlüsse:

„Bcdenklidier als der nicht eben hohe Reallohn erscheint uns, daß der Arbeiter trotz der äußerlich so fortschrittlichen sozialen Ein-riditungen viel zu wenig von ihnen profitieren kann, daß mit anderen Worten das Prinzip des Soziallohns scheinbar überhaupt kaum berücksichtigt wird, und dies in einem nationalisierten Betrieb, der, solange er in privaten Händen war, als kapitalistisch verschrien war und dessen Verstaatlichung ja nicht zuletzt als im sozialen Interesse liegend durchgeführt worden ist.“

Daß sich an der sozialen Lage des Arbeiters des Bata-Werkes heute nichts gebessert hat, daran trägt schwerlich Unverständnis der staatlichen Stellen die Schuld. Aber die tschechoslowakische Republik ist heute finanziell nicht auf Rosen gebettet, sie muß ihre Stcuerquellen schonen und muß sparen. Sie hat es viel schwerer als ein reicher Privatunternehmer, cfcn auch der Gesetzgeber im Notfalle zu sozialen Reformen zwingen kann. Woraus sich ergibt, was man schon lange weiß, aber manche noch nicht glauben wollen: Verstaatlichung ist eben nicht ein absolut gültiges soziales Allheilmittel.

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