6538266-1946_27_03.jpg
Digital In Arbeit

Die neuen Wege Japans

Werbung
Werbung
Werbung

„Wird es Ihnen gelingen, Japan vollständig zu unterwerfen, Herr General?“ fragte der Kriegskorrespondent Mac Arthur, den Btsieger Japans, jetzigen obersten Befehlshaber der amerikanischen Besatzungstruppen in Japan „Ja', antwortete der General. „Wird es Ihnen auch gelingen, Japan in einen demokratischen Staat nach westlichen Begriffen zu verwandeln?“ „Das wird mir nicht gelingen“, lautete die Antwort.

Das ist in der Tat die große Frage: Inwieweit wird die Katastrophe, die über Japan ganz ähnlich jener Deutschlands hereingebrochen ist, und inwieweit werden die Reformen, welche die Siegermächte nicht nur dem Staat, sondern auch der Begriffswelt des japanischen 70-Millionen-Volkes auferlegen, die Zukunft des Inselreiches in andere Bahnen lenken? Ein guter Kenner Japans hat die Japaner als „die Preußen des Ostens“ bezeichnet, als ein Volk auf überhebliche Herrschaftsansprüche und militärische Aggression großen Stils eingestellt. Werden die Japaner aufhören, die Preußen des Ostens zu sein? Sie, die Kaiser Wilhelm II. als „die gelbe Gefahr'' erschienen, gegen die er die ganze Welt aufrufen zu müssen glaubte?

In einem aufschlußreichen Artikel, den die Londoner Wochenschrift „The Tablet“ veröffentlicht, gibt H. van Straelen, S. V. D„ ein gründlicher Kenner Japans, interessante Auskünfte. Im Mittelpunkt der letzten Ereignisse, die an der Gestaltung des neuen Japans mitwirken sollen, stehen die Veränderungen, die der nationalen Auffassung der Stellung des Herrschers, der Vergöttlichung des Kaisers und der kaiserlichen Gewalt auferlegt werden In der Verlautbarung des amerikanischen Hauptquartiers vom 20. Dezember 1945 heißt es: „Die Vernichtung des traditionellen japanischen kaiserlichen Systems ist eine vollzogene Tatsache. Das Ende der iapanisdien Armee nnd Flotte bedeutet, daß der Monarch seines Schwertes beraubt ist.“

Einige Tage später legte Tokio Trauer an und der Vorhang des Shintotempels wurde in Fetzen gerissen Dies geschah am 31. Dezember, am Tage, an dem Kaiser Hirohito, „der Tenno“ das kaiserliche Edikt unterzeichnete, das am Neuiahrstage, dem größten Festtag in Japan' publiziert wurde und erklärte: „Die Bande zwischen uns und unseren Untertanen beruhen immer auf gegenseitigem Vertrauen und auf gegenseitiger Liebe. Sie sind nicht von bloßen Legenden und Mythen abhängig. Sie beruhen nicht auf einer falschen Vorstellung, daß der Kaiser göttlichen Wesens sei und daß das japanische Volk anderen Rassen überlegen und bestimmt sei, die Welt zu beherrschen. Der Tenno ist nicht ein lebender Got t.“

Das war schon die Konzession an die neue Zeit, der Bruch mit der uralten religiösen und nationalen Tradition, die wie eine mystische Wolke die japanischen Herrscher seit mehr als 2000 Jahren umgibt. Vier Monate war es jetzt her, daß noch Hundertausenden von japanischen Kindern in ihrem nationalen Geschichtsbuch „Jinjo Shogaku Kokushi“ gelehrt wurde: „Du, kaiserlicher Enkel, gehe hin und herrsche! Möge die Blume der kaiserlichen Würde ebenso ewig sein, wie Himmel und Erde ewig sind.“ Und einige Sätze später: „Wir Untertanen, die unter einer solch erhabenen kaiserlichen Familie wohnen, wir stammen zum größten Teil von den Göttern ab und es ist klar, daß das uralte Fundament unseres Staates dem aller anderen Länder überlegen ist.“

Nun scheint der kaiserliche Erlaß vom 31. Dezember 1945 mit einem Federstrich alles das auszulöschen. In einer neuen Ausgabe der Verfassung der berühmten Konstitution von 1898 ist nunmehr der Artikel 3, der sagte: „Der Kaiser ist g eheiligt und unverletzlich“, abgeändert in: „Der Kaiser ist an höchster Stelle stehend (supreme) und unverletzlich“. Von Regierungsseite soll betont worden sein, daß der Austausch des Wortes „geheiligt“ in „an höchster Stelle stehend“ einen überaus bedeutsamen Wandel in der Verfassungsgesetzgebung darstelle. Aber man muß doch wohl warten, sagt van Straelen, ob in Zukunft diese Änderung in der Tat eine überaus namhafte Entwicklung darstellen wird. Das Verschwinden der falschen Auffassung, daß der Kaiser göttlich sei, würde nach dem Urteil des hervorragendsten lebenden Kenners des Shinto, Daniel C. H o 11 h o m, bedeuten die Zerstörung der ganz besonderen Terminologie, die auf die Person und die Handlungen des Kaisers angewandt wird und Formen gebraucht, die anderwärts nur in Beziehung auf Objekte der religiösen Andacht angewandt werden. Es wird in dieser Verbindung also der Gebrauch des Ausdruckes Kami, ist gleidi „geheiligtes“, „göttliches Wesen“, wenn von dem lebenden Mikado gesprochen wird, abgeschafft.

Die Schwierigkeiten in der Umstellung der gesamten nationalen Begriffe über die Stellung und Autorität des Kaisers lagen, wie van Straelen darlegt, nicht beim Kaiser Hirohito, einer Persönlichkeit von hohem sittlichem Charakter, sondern vielmehr bei der übermächtigen Militärpartei. Katholische Japaner, die in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers lebten, bezeugten nachdrücklich immer wieder: Der Tenno wünschte den Krieg nicht, aber er war der Gefangene der Militärpartei, solange der Krieg dauerte. Als er die Potsdamer Kapitulationsbedingungen annahm, begab er sich damit selbst in physische Gefahr. Eine Gruppe von Hitzköpfen unter den jüngeren Offizieren, die von der Kapitulationsabsicht des Kaisers erfahren hatten, versuchte den Kommandanten der kaiserlichen Garde zu überreden, daß er den Herrscher an dem Gang zur Sendestation und der öffentlichen Publikation der Waffenruhe behindere. Als sich der Gardekommandant weigerte, ermordeten sie ihn auf der Stelle. Durch die Fälschung von Befehlen and indem sie andere in die Verschwörung hineinlockten, gelang es ihnen, an dem schicksalsschweren Morgen des Entscheidungstages den kaiserlichen Palast zu umzingeln. Erst um acht Uhr früh, nach sechs Stunden, brach der Kommandant der Ostarmee, der Nachrichten über das Komplott erhalten hatte, die gewaltsame Abschließung des Kaisers. Die Geschehnisse trugen dazu bei, dem Volk zu zeigen, daß der Kaiser auf der Seite des Friedens gewesen war, 'im Gegensatz zu der Militärkoterie, die den Krieg angezettelt, hatte.

Nun sind die Dinge im Fluß. Kurz nach der Promulgation des kaiserlichen Erlasses, der den Herrscherbegriff umschrieb, verkündete Radio Tokio, daß der Shintoismus aufgehört habe, die Staatsreligion Japans zu sein, man hörte, daß wieder europäische Missionäre willkommen sein werden und General Mac Arthur eine Reihe von günstigen Reformen durchführen konnte.

Was ist aus alldem zu schließen? Van Straelen widerspricht mit heiterer Ironie den Überschwenglichkeiten der Zeitungen, die wissen wollen, daß von nun an Japan „den Weg des Westens“ verfolgen werde, von nun an sei die Shintoreligion „eine Sache der Vergangenheit“ usw. Eine Religion, welche durch viele Jahrhunderte Macht gehabt hat, kann aus dem Herzen eines Volkes nicht auf Befehl eines Besiegers ausgerottet werden und ist imstande, wie ein Kornfeld, dessen Ähren sich im Winde niederbeugen, sich wieder zu erheben, wenn der Sturm vorüber ist. Wenn Orientalen sich überhaupt ändern, dann ändern sie sich sehr langsam. Sie mögen irgendwelche äußere Formen annehmen; aber das ist alles. „Ich konnte“ — sagt van Straelen — „kürzlich einige Stunden mit dem Kardinal T i e n mich über dieses Thema unterhalten un3 neuerlich wurde ich in meiner tiefen Überzeugung bestärkt, daß es nicht anders ist. Charakteristisch ist die Tatsache, daß eine der größten politischen Parteien Japans jetzt als ihr Motto erklärt hat: .Zurück zum Kimono!', was so viel sagen will, wie: Japan hat seine Seele verloren, also zurück zum Kimono, den alten nationalen Lebensgewohnheiten des Japaners! Denn wenn Mac Arthur und die Amerikaner denken, daß sie für ihre Aufgabe vollen Erfolg errungen haben und wenn einst alle die Reformen mit der Präzision einer Uhr durchgeführt sein werden, dann werde ich Worte eines angesehenen Historikers ia Erinnerung rufen können: ,Die Japaner haben 70 Mittel, uns zu täuschen: durch ihre Diplomatie, ihre Sitten, ihre Etiquette, ihre gewinnende Höflichkeit' usw. Ich möchte noch ein 71. Mittel hinzufügen: Durch die beispielhafte Art, wie sie der Tatsache der Niederlage gegenübergetreten sind.“

Immerhin kann man sagen, daß Japan a n der Schwelle einer völlig neuen Ära seiner Geschichte steht, einer Periode, die viel neue Möglichkeiten umschließt. Vielleicht gibt der Shintoismus seine gröbsten und übertriebensten Formen auf und das wäre schon viel. Japan wird auch aufnahmsfähiger sein für die Kirche. Nun, da diese sich immer mehr und mehr den östlichen Sitten und Anschauungen anpaßt, so können wir hoffnungsvoll der Zukunft entgegensehen. Wenn der Westen in seinem politischen und kulturellen Leben sich wahrhaft mehr christlich zeigen würde, dann würden schon viel Hindernisse für die Bekehrung des Fernen Ostens beseitigt sein. Gegenwärtig sind die Zeichen dafür in Japan nicht ungünstig. Viel wird auch von dem Verhalten der Besatzungsarmee abhängen. Die Amerikaner haben bisher einen recht guten Eindruck auf die Japaner gemacht. Irregeführt von ihren japanischen Führern, hatten die Japaner die schlimmsten Exzesse der einmarschierenden Armee erwartet, indessen fanden sie sich“ dann in Händen von Männern, die in den Straßen der Städte ohne Waffen umgingen, gütig waren zu den Kindern und in ihrem Verhalten zumeist gebührend Rücksicht auf die Gefühle der Bevölkerung nahmen. Miß Michi Kawai, eine Führerin der japanischen Frauenwelt und große pädagogische Autorität, erklärte gegenüber einer amerikanischen christlichen Deputation: „Eure Leute sind oft komisch, aber sie sind wundervoll. Sie sind Gentlemen. Wir sind froh, daß wir sie da haben. Ich sage den japanischen Frauen, wir müssen unsere Buben in dieser Art erziehen.“ Und diese Worte sind nicht orientalische Höflichkeit gewesen. „Ich kann versichern“, sagte van Straelen, „daß diese wortkarge Michi Kawai nicht viel zu schmeicheln pflegt. Ich möchte wünschen, daß jeder Amerikaner in Japan erfüllt sei von der außerordentlichen Verantwortlichkeit in bezug auf Verhalten vor der Öffentlichkeit und daß die Japaner auf ihn sehen als auf ein Mitglied einer christlichen demokratischen Nation.“

Ein günstiges Zeichen ist es, daß das Gesetz über die Religionskörperschaften abgeschafft worden ist und die Missionäre nunmehr die Organisationsfreiheit besitzen. Die Schulerziehung hat jetzt eine große, neue günstige Gelegenheit. Es wäre zu wünschen, daß wir zwei oder drei andere katholische Universitäten in Japan errichten würden, jede mit einem hohen Standard erzieherischer Leistung. Gegenwärtig sind die Protestanten außerordentlich rührig in dieser Hinsicht. Es ist nicht unmöglich, daß die Stunde der Gnade für die Japaner schlagen wird. Der alte japaniche Missionär schließt mit der sehr ernsten Frage: „Sind wir Katholiken darauf vorbereitet, dieser Situation gebührend zu begegnen?“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung