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Die Partei absterben lassen

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Vor fünfundzwanzig Jahren wurde der Grundstein für das heutige Jugoslawien gelegt. Mitten im Krieg, am 29. November 1943, trat der „Antifaschistische Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens” (Avnoj) zum zweitenmal zusammen. Diesmal im bosnischen Jajce, der von der alten Königsburg überragten Kleinstadt an der Pliva. Zwei heldenhafte Schlachten waren dieser Tagung vorausgegangen: an der Ne- retva war es den Befreiungstruppen gelungen, 4000 verwundete Kämpfer zu retten und über eine improvisierte Hängebrücke aus dem Kessel auszubrechen; an der Sutjeska durchbrachen 20.000 Kämpfer den 120.000 Mann zählenden Ring feindlicher Elitetruppen.

Im Zeichen dieser Siege billigte die Tagung in Jajce eine Deklaration, womit die „Avnoj” als oberste legislative und exekutive Vertre- tungskörperschaft der Völker Jugoslawiens konstituiert wurde. Und das Nationalkomitee der Befreiung Jugoslawiens amtierte fortan als pravjsorįsęto, obegteą, Volksmacht. Die Exilregierung wurde. ihrer Vorrechte verlustig erfcläft und dem König die Rückkehr ins Land bis zu einem freien Volksentscheid verboten. Wenige Tage später traten in Teheran Churchill, Roosevelt und Stalin zusammen und beschlossen, dem jugoslawischen Volksbefireiungs- heer „in höchstmöglichem Maße” Unterstützung zu leisten. Wie diese militärische Hilfe aussah, schilderte Mosche Pijade, einer der engsten Waffengefährten Titos und späterer Präsident der Nationalversammlung, mit den Worten: „Ende 1943 begann eine bedeutende amerikanische und englische Hilfe, aber keine russische Hilfe, einzutreffen. Erst im April 1944 erschienen über jugoslawischem Gebiet zwei oder drei sowjetische Flugzeuge aus der Ukraine, die etwas Material abwarfen.”

Stalin für König Peter

Die Auseinandersetzung um alliierte Hilfe war aber nicht etwa der Anfang der russisch-jugoslawischen Spannungen, es war im Gegenteil bereits die Folge. Stalin war in seinem politischen Konzept stets davon ausgegangen, daß Jugoslawien nicht unbedingt zur sowjetischen Einflußsphäre gehöre. Stalin wollte alles vermeiden, was die Verbundenheit der Sowjetunion mit den USA und Großbritannien gefährden konnte. Tito schrieb schon am 11. März 1942 über den „Großvater”, also über Stalin, seinem Freund Mosche Pijade: „Die um den Großvater herum sind, legen einen großen Wert auf alles, was die Verbindung mit England und Amerika anbelangt. Heute bekam ich wieder einen dringenden Brief, in dem sie verlangten, einige Korrekturen im Aufruf vorzunehmen, den ich vor zwei Tagen für die europäische Öffentlichkeit hinaufsandte. Diese Korrekturen bestehen darin, daß man an ein oder zwei Stellen das feste Bündnis Englands, Amerikas und der UdSSR im Kampf gegen Hitler erwähnt, während ich dieses Bündnis nur an einer Stelle erwähnte.” Auch die Hochrufe „Es lebe die heroische Rote Armee, es lebe Genosse Stalin, es lebe die Sowjetunion” mußten auf Wunsch des Kremls gestrichen werden.

In jener Epoche ging Stalin aber sogar noch einen entscheidenden Schritt weiter: er verlangte die Wiedereinführung der Monarchie in Jugoslawien. Aus außenpolitischen Überlegungen war er also bereit, seinen Parteifreund Tito zu opfern. Tito war aber aus eigener Kraft bereits stark genug, um nicht ausländischen Protektoren ausgeliefert zu sein.

Es wird immer kühler

Auf jeden Fall wandte sich der engere Freundschaftskreis um Tito sogleich gegen die Art des kommunistischen Internationalismus, wie sie vom Kreml gepredigt wurde, und von hier zieht sich eine konsequente Linie zur heutigen Situation. Der erste Höhepunkt war der Bruch mit Stalin im Jahre 1948, was gleichzeitig der Kominform, die ja ihren Sitz damals noch in Belgrad hatte, das Genick brach. Der zweite Höhepunkt war Chruschtschows Canossagang vom Jahre 1955, kurz nach der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages. „Teurer Genosse Tito, wir bedauern aufrichtig, was geschehen ist”, so sagte Chrusch- tschow in Belgrad. Und + tilgte hinzu: „Das Streben Jugoslawiens, die Beziehungen zu allen Staaten, sowohl im Westen als auch im Osten, zu entwickeln, findet unser volles Verständnis.”

Noch unter Chruschtschow, viel mehr aber dann unter seinen Nachfolgern Breschnjew und Kossygin kühlte sich das jugoslawisch-russische Verhältnis zusehends ab.

Mängel der Selbstverwaltung

Schon 1950 erließ das jugoslawische Bundesparlament auf Vorschlag Titos, der damals Regierungschef war, ein Gesetz über die Einführung der Arbeiterselbstverwaltung. Es zielte darauf ab, die direkte Demokratie auf dem Sektor der Wirtschaft einzuführen. Die später parallel dazu verfügte Dezentralisierung und teilweise sogar Entstaatlichung ließen diese Reform erst wirksam werden. Allerdings wunden nun auch Mängel sichtbar, die vorher durch den zentralistischen Überbau verdeckt waren. Niemand nimmt heute ein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, das mangelhafte Funktionieren dieser Selbstverwaltung zu kritisieren.

Den Einwand, daß auch die jetzige „menschlichere Spielart” des Kommunismus gewisse Freiheiten unterdrücke, vermag man in Belgrad mit oder ohne Hinweis auf die tschechoslowakischen Ereignisse vom vergangenen August leicht zu parieren. Vor allem die Pressefreiheit, wie sie vor dem sowjetischen Gewaltakt in Prag praktiziert worden ist, muß auf die jugoslawischen Führer eher abschreckend wirken. Der tschechoslowakische Scherbenhaufen ist Mahnung genug!

Im Gegensatz zur Tschechoslowakei — so wird in Belgrad immer weiter argumentiert — mußte die jugoslawische Führung anfänglich die Zügel außerordentlich straff in die Hände nehmen. Tatsächlich hatten die ersten Jahre nach dem Bruch zwischen Belgrad und Moskau in Jugoslawien immer noch ein diktatorisches Regime gesehen. Erst nachdem auch die Völker selbst sich in das verbindende Staatsganze eingefügt hatten, nachdem dank der Persönlichkeit Titos die Einheit einiger maßen gesichert war, ließ man allmählich Freiheiten gewähren.

Die eine große Unbekannte in diesem Spiel ist die Partei — in Jugoslawiens heißt sie „Liga der Kommunisten”. Titos Traum geht dahin, die Partei absterben zu lassen — immerhin in einem gewissen Gegensatz zu Marx, der ja bekanntlich den Staat absterben lassen wollte. Tatsächlich hat Tito die Trennung von Partei und Staat schon weitgehend realisiert — nur in der Spitze, in seiner eigenen Person, ist die Vereinigung noch völlig gegeben.

Die zweite große Unbekannte aber ist die Nachfolge Titos. Kommunisten und Nicht-Kommunisten sind heute einig im Wunsch, Tito möge noch recht lange leben, und die alte Kaiserhymne — „Gott erhalte…” — erwacht hier auf voksdemokratisch zu einem ehrlichen Stoßgebet. Niemand zweifelt daran, daß im Land selbst, aber auch von außen gewisse Kräfte versuchen könnten mitzumischen, sobald die Nachfolgefrage akut wird. Die Kräfte im Innern sind selbstverständlich die immer noch bestehenden Divergenzen zwischen den Nationalitäten. Allerdings dürfte über deren Scheidegrenze hinweg noch nie ein so gutes Verhältnis geherrscht haben, wie gerade heute, was aber das Wiedererstehen nationalistisch extremer Gruppierungen zur Zeit des Machtvakuums nicht ausschließt. Die Kräfte von außen: das sind nicht zuletzt jene, die in Moskau polarisiert sind. Die Gefahr, daß der Kreml sich bemühen könnte, einen moskau- hörigen Mann auf den Thron Titos zu setzen, ist nicht von der Hand zu weisen. In Jugoslawien sieht man dieser Gefahr zwar realistisch entgegen, aber ein ganz kleiner Schimmer liegt aus dieser Befürchtung heraus doch über dem silbernen Jubiläum, das der Staatschef jetzt feiern kann.

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