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Die Partei hatte immer recht

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Der 1909 geborene Moskauer Schriftsteller Jurij Ossipo-witsch Dombrowskij war früher dran als der um neun Jahre jüngere Solschenizyn, wurde schon 1933 nach Kasachstan verbannt, und er war zwei entscheidende Jahre später dran mit der Veröffentlichung seines unterschwellig satirischen Lebensromans als der Nobelpreisträger: Das heute in Rußland hochgeachtete Romanwerk „Der Hüter der Altertümer” erschien ebenfalls (so wie 1962 Solschenizyns „Denisso-witsch”) zunächst in der tonangebenden Literaturzeitschrift „Nowjj mir”, aber erst 1964, und wurde von der wieder argwöhnisch gewordenen Parteikritik - zum Glück - so wenig beachtet, daß der Text zwei Jahre nachher noch in Buchform herauskommen konnte, allerdings stark „redigiert”, das heißt gekürzt und ohne den vehement anklagenden Epilog „Aus den Aufzeichnungen Sybins”. Der Autor starb 1978, und ein Pariser Emigrantenverlag brachte die unzen-sierte Originalfassung des „Hüters” heraus, welche - endlich auch samt dem brisanten „Epilog” - erst in der fortgeschrittenen Glasnost-Ara 1992/93 auch in Moskau herauskam und den halb vergessenen Romancier Dombrowskij auch in Rußland zu einem der anerkannt großen Kritiker des Sowjetzeitalters machte.

Das erste Kapitel beginnt harmlos und vorsichtig getarnt: „Zum ersten Mal sah ich diese ungewöhnliche Stadt, die so wenig irgendeiner anderen Stadt in der Welt gleicht, im Jahr 1933, und ich erinnere mfch, wie sie mich damals erstaunt hat.” Es geht um Alma Ata, also - ungesagt - um seinen ersten Verbannungsort, wohin er dann einige Jahre später (1936/37) als Archivar geschickt wurde: „Der Hüter der Altertümer”, eine relativ ruhige Position, freilich so unsicher wie jede damals und dortzulande.

Das furchtbare Lagerleben auch in dieser sibirischen Gegend machte er zehn Jahre später mit, nach dem Krieg, und als er 1957 rehabilitiert wurde, hatte er sämtliche Stadien sowjetischen Unterdrückungsdaseins hinter sich: Verbannung, Lager und Gefängnis.

Das zahlreiche Romanpersonal in unterschiedlichsten Funktionen erlaubt es, alle gesellschaftlichen und psychologischen Nuancen von Unterwürfigkeit, verstecktem oder offen brutalem Machtstreben zu demonstrieren, aber auch schlaue oder unvorsichtige Gegenwehr und in den leidenschaftlich geführten Diskussionen die gefährlichen Schlagworte als Wink mit dem Zaunpfahl literarisch zu denunzieren.

Die weltbekannte Kathedrale (in jedem modernen Lexikon ist eine Abbildung ihrer imponierenden Gestalt überprüfbar) war zu einem Museum säkularisiert. Unmengen mehr oder minder kostbarer Altertümer lagerten dort in solcher Menge, daß der größte Teil noch nicht inventarisiert war. „Der Hüter der Altertümer” sollte auswählen, bewerten und das echt Museale vom bloßen Bodenkram scheiden, alles eingepfercht in die ehemalige Kathedrale.

Natürlich gab es Führungen, und die „Massenerzieherin” (so betitelt: als Erzieherin der Massen) hatte ganz andere Wertvorstellungen als der archäologisch gebildete „Hüter”. Große Kunstwerke zaristischer Epochen oder klerikalen Mäzenatentums hatten keinen volkserzieherischen Wert in ihren Augen; sie säuberte ganze Wände von großen Gemälden, zum Beispiel wegen der Prunkuniform eines historischen Würdenträgers, dessen Andenken inzwischen gemäß Parteidiktat entwürdigt war. Sie bewertete nur nach dem aktuellen politischen Wert.

„Der Hüter der Altertümer” ist eine Gesamtdarstellung des Zeitalters dortzulande. Natur-, Kunst- und Menschenschilderung gehen ineinander über, und nur so ist es erklärlich, daß die historisch belegte Geschichte auch geistiger Willkür noch herauskommen konnte, obwohl die sogenannte 'Tauwetterperiode bereits vorüber war. Zwischen den zwei Teilen des Romans und dem erst seit wenigen Jahren bekannten „Epilog” liegt ein harter Schnitt: Der Vorgang des Absturzes jenes „Hüters” - der sich überhaupt nicht gehütet hatte -vom Archivar zum Lageropfer wird nicht erzählt.

Das Romanende gibt die furchtbare Antwort indirekt: daß man mit Verstand und Mut manche geistige Untat zeitweilig verhindern konnte; doch das Ende beweist, daß das auf die Dauer nicht ging und daß man dabei untergehen mußte, weil die Partei immer recht hatte. Makaber in den Schlußzeilen: Mitten im Lagerelend verfechten pathologisch indoktri-nierte Opfer leidenschaftlich den Glauben, daß sie zurecht bestraft wurden, weil der Sowjetstaat kein Unrecht begehen kann: Hirnwäsche total.

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