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Die Partisanen treten ab

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Die Erhebungen der jugoslawischen Soziologen, die Gutachten der Parteiführer des Bundes der Kommunisten zum Generationsproblem haben durch die Ereignisse des 20. August 1968 eine ganz entscheidende Bereicherung erfahren: Unrast der Studenten, Kritik an sozialen und nafionalpolitischen Verhältnissen der Föderativen Sozialistischen Republik Jugoslawiens, die Sorge um entsprechende Arbeitsplätze für den akademischen Nachwuchs — all diese Probleme waren wie weggewischt, als Staats- und Parielchef Josip TITO-BROZ noch am Tage nach der Invasion der Warschauer-Pakt- Truppen in der Tschechoslowakei eine klare uftd ablehnende Stellung bezog und am 23. August 1968 das Zentralkomitee des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens sich zu demokratischen und freiheilswilligen Lösungen innerhalb des sozialistischen Lagers bekannte. Die Tatsache, dalj sozialistische Länder gegeneinander mobilisierten, wurde von der Jugend Jugoslawiens mit eindeutiger Bejahung des eigenen Vaterlandes, der nationalen Unabhängigkeit, des eigenen Weges zur Kenntnis genommen. Unser Beitrag analysiert die Entwicklung Innerhalb der jungen Generation Jugoslawiens bis zur Jahresmitte 1968:

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Die Erhebungen der jugoslawischen Soziologen, die Gutachten der Parteiführer des Bundes der Kommunisten zum Generationsproblem haben durch die Ereignisse des 20. August 1968 eine ganz entscheidende Bereicherung erfahren: Unrast der Studenten, Kritik an sozialen und nafionalpolitischen Verhältnissen der Föderativen Sozialistischen Republik Jugoslawiens, die Sorge um entsprechende Arbeitsplätze für den akademischen Nachwuchs — all diese Probleme waren wie weggewischt, als Staats- und Parielchef Josip TITO-BROZ noch am Tage nach der Invasion der Warschauer-Pakt- Truppen in der Tschechoslowakei eine klare uftd ablehnende Stellung bezog und am 23. August 1968 das Zentralkomitee des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens sich zu demokratischen und freiheilswilligen Lösungen innerhalb des sozialistischen Lagers bekannte. Die Tatsache, dalj sozialistische Länder gegeneinander mobilisierten, wurde von der Jugend Jugoslawiens mit eindeutiger Bejahung des eigenen Vaterlandes, der nationalen Unabhängigkeit, des eigenen Weges zur Kenntnis genommen. Unser Beitrag analysiert die Entwicklung Innerhalb der jungen Generation Jugoslawiens bis zur Jahresmitte 1968:

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Tomislav Badovinac fungierte bis zum VIII. Kongreß der Jugendliga Jugoslawiens (8. bis 10. Februar 1968) als Vorsitzender dieser Organisation. An sich sind Jugendführer — im Blick auf die beschleunigte „Rotation“ der Kader — nicht gerade bedeutsam oder denkwürdig. Auch der Genosse Badovinac hört im vierund- dreißigsten Lebensjahr doch einmal auf, Jugendlicher zu sein, und wird nach zehnjähriger Vernachlässigung seines Fachgebietes, der Politökonomie, einen Posten im Wirtschaftsapparat finden. Dennoch kommt ihm eine Ausnahmestellung zu, weil sein Name zum Begriff für eine bestimmte Schichte der „jungen Löwen“ innerhalb der Nachwuchsgeneration geworden ist.

Was sind die sogenannten „Bado- vinci“? Es sind Jugendliche, die die Revolution und den Kampf der titoistischen Pioniere nur noch dem Hörensagen nach kennen. Sie wurden gefördert, begönnert und stellen Ansprüche an die Gesellschaft, ohne im entferntesten an entsprechende Leistungen, an mühseliges Studium, an einen fristgerechten Abschluß der Berufsbildung usw. zu denken. Wozu auch? „Ihr Lebensweg ist mit Rosen bestreut“, wie die Belgrader „Borba“ im Jänner 1968 vermerkte, sie erlebten Ferienfreizeiten, Unterstützungsaktionen jeder Art, erhielten und erhalten Stipendien, und die Funktionäre unter ihnen wissen nur eines genau: Sie wollen sich so lange wie möglich an den Fach- und Hochschulen als politische Jugendführer behaupten, weil die dem Stu- dienabschluß folgenden Jahre ihnen keineswegs ein so bequemes Leben bereiten werden — wie es 'imi Universitätsbetrieb, im Rahmen der

Jugend- und Parteiorganisation möglich ist.

Titos Juni-Rede

Diese Kennzeichnung eines bestimmten Jugendtyps erscheint auch für westliche Breiten nicht ungewohnt und unbekannt. Der gut orientierte Werktätige in Jugoslawien meint also mit „Badovinci“ ein überhebliches Schnorrertum, eine Übersteigerung der Ansprüche für die eigene Lebenshaltung und überbetonte Forderungen an die Gesellschaft. Natürlich handelt es sich auch bei diesem Typ nicht um die Regel, sondern eher um die Ausnahme.

Die Belgrader Studentenunruhen zwischen dem 2. und 10. Juni 1968 begannen ohne Initiative und Segnung der Parteiorganisation an der

Universität. Doch dann koordinierte man sich sehr rasch mit den Aktivisten und der Öffentlichkeit und legte ein Aktionsprogramm vor, das innerhalb der tito-sozialistischen Gegebenheiten Jugoslawiens, Verbesserungen und Wegkehren an-

strebte. Die Wünsche der studentischen Jugend bezogen sich ebenso auf die Beseitigung ungerechtfertigter Privilegien und Monopole innerhalb der gesamten Gesellschaft der Völker Jugoslawiens wie auf das Problem der akademischen Arbeitslosigkeit, der Demokratisierung und ungerechtfertigten Bereicherung und Nutznießung von Bürokraten und Managern innerhalb einer sozialistischen Staatsordnung. Diese Forderungen wurden in die große Radioerklärung des Staatsführers Josip Tito-Broz am 9. Juni 1968 aufgenommen, in wesentlichen Punkten anerkannt und Reformprogramme der Regierung der Republik Serbien und anderer Teilrepubliken der Föderation Jugoslawien waren die Folgen.

Wie weit prägt der „Jugoslawismus?“

Die Kritik an der eigenen Gesellschaft wird die jungen Menschen Jugoslawiens allerdings kaum abhalten dürfen, die eigenen Reihen zu reformieren, die Bürokratisierung in der Jugendorganisation selbst abzubauen, konstruktive Ideen zu entwickeln, aus demokratischen Ansätzen in der Selbstverwaltung, in den Arbeiterräten usw. ein Konzept für die fernere Zukunft gestalten. Dabei wird dieser Jugend häufig gar nicht bewußt, daß ihre Manövrierfähigkeit, ihr freier Bewegungsraum größer ist als vergleichsweise in einigen anderen Volksdemokratien, zu schweigen von der Sowjetunion selbst.

Richteten sich auch während des Gewerkschaftskongresses im Juni 1968 Kritiken gegen die „neue Klasse“, gegen Staatsautos, Auslandsreisen und Auslandsstudien des „prominenten“ Nachwuchses, so gibt es daneben selbstverständlich auch das Problem des nationalen Zusammenlebens mehrer Völker innerhalb der Föderativen Sozialistischen Republik Jugoslawien. Der „Jugoslawismus“ hat bis zur Stunde zwar ein gewisses Staatsbewußtsein geprägt, einige Unterschiede ausgeglichen, trotzdem fällt besonders auf,

daß auch die nachwachsende Jugend, die von den nationalitätenpolitischen Auseinandersetzungen bis 1945 nur dem Hörensagen nach erfährt, einen manchmal sehr deutlichen Akzent auf das Kroatentum, Serbentum, Albanertum usw. legt.

Die Gammler von Dubrovnik

Einer der maßgeblichen Zagreber (Agramer) Philosophen und Mitarbeiter der nach den Studentenunruhen 1968 etwas gemaßregelten Zeitschrift „Praksis“, Prof. Slobodan Budar, formulierte den heutigen Jugendtyp etwa so: Den zunehmenden privaten Neigungen, der Erfüllung persönlicher Lebens- und Berufswünsche entspricht heute erstaunlicherweise nicht ein Apolitis- mus, eine Nivellierung des Denkens. Vielmehr kennt der heutige junge Mensch in Jugoslawien aus Vergleichen sehr wohl manche Vorzüge und Nachteile des eigenen Systems; er ist in seiner eigenen politischen Auffassung oft sehr scharf und Mar profiliert, in vielen Fällen zu großen Opfern für seine Auffassung und seine Ideale bereit. Das dolce vita läßt sich allenthalben nur als Symptom und in Ansätzen beobachten. Denn auch die Gammler und Hip-

pies, die in Dubrovnik vor den alten schönen Palästen und Brunnen lüm- meln, sind „Zugereiste“, deren lange Haare, ungewaschene Gesichter und schmutzige Füße im Sommer 1968 nur zeitweilig das Bild der Plätze und Straßen dieser herrlichen Stadt

verunstalten könnten. Ähnlich wie vor Jahresfrist in Griechenland, griff und greift man zur Selbsthilfe: Die Langhaarigen und Rauschebärte waren vor „Partisanengruppen“ resoluter Friseurtätigkeit nicht mehr sicher.

Zum Zuschauen verdammt

Jugoslawien, wo Proteste und Debatten der Jugend seit Jahren ohne nachhaltige Vergeltungsmaßnahmen möglich waren, bietet sowohl hinsichtlich des Studiums wie für die spätere Berufslaufbahn des Nachwuchses in einem wirtschaftlich geplanten Land tatsächlich den besten Anschauungsunterricht: Die Jugend hat erst vor zwei Jahren beträchtliche Begünstigungen bei Stipendien zugebilligt erhalten, bis zu einer gewissen Grenze ist Kritik möglich — soferne sie sich nicht gegen die Grundlagen der Führung und Gesellschaftsordnung selbst wendet.

Was bewegt nun Mittelschüler, Fachschüler und Studenten in besonderer Weise? Die Jugend will mittun, beteiligt sein an den Maßnahmen und Ereignissen der Gesellschaft, sie wünscht aktiv hineinzuwachsen. Der Literaturprofessor vom IX. Belgrader Gymnasium formulierte es Ende 1967, anläßlich einer Enquete des Belgrader Organs „Kommunist“,- so: „Alle jungen Leute wollen Akteure sein, wir jedoch haben ihnen lediglich die Rolle von Zuschauern zugebilligt.“

Die Jugend ist anderseits heute in Jugoslawien (aber ebenso anderwärts im Osten und Westen) nicht überzeugt, daß sich alle Funktionäre an der Macht um das Volk kümmern und anderen dienen möchten — vielmehr hegen sie Mißtrauen und meinen, daß die Bürokraten des Apparates, eben des „Establishment“, diesen zum Selbstzweck und zum eigenen Nutzen ausbauen, ohne Rücksicht auf diejenigen, die „außerhalb“ des Apparates stehen. Der obenerwähnte Jugendführer Badovinac erläuterte vor dem VIII. Kongreß des Jugendbundes in seinem kritischselbstkritischen Schwanengesang unter anderem:

„Der einzige Ausweg aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind höhere wirtschaftliche Aktivität, Vermehrung der Erzeugung, Akkumulation und verbesserte Leistungs-

fähigkeit der Wirtschaft. Die Arbeiterorganisationen treiben keine solide Kaderpolitik und halten sich mehr an die primitive, bereits im türkischen Esnaf vorhandene Zunftauffassung, die keine Rücksicht auf Fachleute nimmt. Jeder gehobene Arbeitsplatz muß Fähigen und fachlich Gebildeten offen stehen.“

Modell für die Ostblockländer

In Jugoslawien wird man ferner festzustellen haben, daß der Westen für die junge Generation keine terra incognita ist, wie in einigen anderen kommunistische!! Staatswesen. Diese Tatsache ergibt sich schon aus der „Öffnung“, die seit fast anderthalb Jahrzehnten zu beobachten ist: Junge Gelehrte und

Manager haben ihre Studien absolviert oder fortgesetzt: in den USA, in England, Frankreich usw. Westliche Wirtschaftsverflechtungen der Firmen, der alljährliche Touristenstrom halben Anregungen gebracht. Gegenwärtig befinden sich über eine Viertelmillion jugoslawischer Arbeiter und qualifizierter Fachleute in westeuropäischen Ländern zum Arbeitseinsatz.

Alle diese Momente der Konfrontation, der Gegenüberstellung, der praktischen Erprobung alter und neuer Ideen, haben Jugoslawiens

Selbstverwaltung, sein Erziehungswesen, zu einem Experiment und Modellfall für alle übrigen Ostblockländer werden lassen. Nicht nur die Führung der Föderativen Sozialistischen Republik Jugoslawiens steht bereits inmitten des Generationswechsels von den Altpartisanen und Pionieren der ersten Nachkriegszeit über die Parteibuchinhäber zu den Nur- Fachleuten und der geistig technischen Intelligenz mit einer neuen größeren Weitsicht. Auch innerhalb der jungen Generation selbst vollzieht sich über Landflucht, erhöhte Anforderungen der Leitungsgremien der Industrie, über den verschärften Wettbewerb um Arbeitsplätze ein sehr wesentlicher Wandel: Die Besten dieser jungen Generation wünschen, inmitten einer heute aufgespaltenen Welt, neue Wege zu beschreiten und ihre europäische Stellung im Heraufdämmern des dritten Jahrtausends abendländischer Geschichtsschreibung zu behaupten.

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