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Die persische Krankheit

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Als im überfüllten provisorischen Saal des Sicherheitsrates in Flushing Meadow das als Sensation erwartete Erscheinen Mossadeghs wie ein feuchtes Feuerwerk verpuffte, mußte sich mancher fragen: dazu hat nun ein armes Land einen kranken Greis um die halbe Welt geschickt, damit er mit matter Stimme zwanzig Minuten lang wohlbekannte Schlagworte zum besten gibt und dann zuhört, wie ein Angestellter seiner Gesandtschaft stundenlang ein Memorandum verliest. Wäre es nicht besser gewesen, für die Kosten dieser Reise Traktoren anzuschaffen oder ein paar hundert Hektar Wüstenboden zu bewässern? Es war ein allzu kostspieliger Aufwand, gemessen an dem bescheidenen Effekt.

Das ist aber nur ein Symptom der sehr ansteckenden Krankheit, die im Iran einen virulenten Ausbruch erfuhr. Ihre Untersuchung umfaßt nationale und Internationale, rechtliche und wirtschaftliche Probleme grundlegender Art. Es handelt sich nicht nur um die Frage der Nationalisierung, sondern um Grundpfeiler des Rechts, um den sich darin manifestierenden Widerstand des orientalischen Feudalismus gegen den wirtschaftlichen Fortschritt seiner eigenen Bevölkerung und um die Voraussetzung der wirtschaftlichen Hilfe zwischen den Völkern — einen Grundgedanken der Vereinten Nationen.

Jede einzelne der Thesen Mossadeghs war falsch. Zunächst, daß Nationalisierung das unveräußerliche Recht jedes unabhängigen Staates sei. Das Recht zur Verstaatlichung ist vom Vorliegen eines wirklichen öffentlichen Interesses und von der Leistung voller, gleichzeitig mit dem erzwungenen Eigentumswechsel auszuzahlender Entschädigung abhängig. Alle Beteuerungen über den Entschädigungswillen Irans werden durch den Inhalt der Vorschläge und durch die Klage über die Armut des Landes widerlegt. Denn woher soll der Iran die zwei Milliarden Dollar nehmen, die im Vertrauen auf Verträge investiert wurden, wenn nicht aus dem Ertrag des zu enteignenden

Gutes, so daß der „Enteignete“ sich also selbst entschädigen müßte. Es kann auch keine Regierung autonom und endgültig entscheiden, ob die Bedingungen für eine rechtmäßige Nationalisierung vorliegen, weil niemand letzter Richter in eigener Sache sein kann. Ein Angriff auf ausländisches Vermögen ist zudem immer eine internationale Frage, überdies hat Iran vertraglich für eine bestimmte Zeit auf die Nationalisierung verzichtet. Zu ihrer Durchführung hat Persien Gewalt und Drohungen angewendet. Und schließlich hat es den Auftrag der höchsten richterlichen Instanz im Haag mißachtet.

Die These Irans von dem unveräußerlichen, durch keinen Vertrag einschränkbaren und jeder Überprüfung entzogenen Recht jedes Landes, unter von ihm zu diktierenden Bedingungen Enteignungen vorzunehmen, ist mit den modernen Rechtsbegriffen unvereinbar. Sie scheint manchen Regierungen verlockend — darin liegt eben ihre Gefahr —, aber sie untergräbt jede Rechtssicherheit und macht dadurch ausländische Investitionen, die diese Staaten bitter benötigen, unmöglich. Sie ist so der Todesstoß für die Entwicklung wirtschaftlich zurückgebliebener Länder.

Das zweite beklemmende Krankheitssymptom war die Achtlosigkeit gegenüber der von den Vereinten Nationen eingesetzten höchsten richterlichen Instanz. Nicht nur Iran hat deren Entscheidung, die ein vernünftiges provisorisches Kompromiß darstellt, mißachtet und offen erklärt, daß es keine Entscheidung anerkennen werde, die ihm nicht recht gebe. Statt einer Strafe oder, wenigstens eines Tadels für einen solchen nicht einmal verschleierten „comtempt of court“ haben die meisten Mitglieder des Sicherheitsrates ihren eigenen Gerichtshof verleugnet. Der brasilianische Präsident tat die Bemerkung, daß der Sicherheitsrat ein politisches Organ sei, das sich um Rechtsfragen nicht kümmere und durch Gerichtsentscheidungen nicht beeinflußbar sei. Ekuador und Nationalchina bemühten sich, aus dem Beschlüsse jeden Hinweis auf die Haager Entscheidung auszumerzen. Nur der Vertreter der Vereinigten Staaten fand ein energisches Wort für den Respekt vor Recht und Gericht. Kurz, es kam zu einer allgemeinen Verbeugung vor der Empfindlichkeit des Rechtsbrechers, der durchblicken ließ, daß er sich sonst aus den Beratungen entfernen würde. Es schien, als habe der Iran völlig vergessen, daß er vor nicht langer Zeit durch denselben Sicherheitsrat gegen eine Invasion von Norden geschützt worden war.

Die Abwegigkeit der Behauptung, daß die anglo-iranische ölgesellschaft an dem Elend Persiens schuld sei, ergibt sich durch eine Untersuchung, was mit ihren jährlichen Zahlungen geschieht und was mit ihnen geschehen könnte *. Mit den Steuerleistungen der Anglo-Iranian hätte das Verkehrs- und Schulwesen des Landes reformiert, lokale Industrien gegründet, die landwirtschaftlichen Bebauungsmethoden revolutioniert werden können. Oder es hätte durch eine auf diesen Zahlungen basierte internationale Anleihe die Produktion jedes Persers in fünf Jahren auf das Doppelte, in zehn Jahren auf das Vierfache gesteigert werden können. Der wirtschaftliche und damit Hand in Hand der kulturelle Aufstieg des Landes wäre gesichert. Allerdings hätte dies eine Erhöhung des Lohnniveaus nach sich gezogen. Die persischen Latifundienbesitzer hätten dann nicht mehr ein Arbeitsheer zur Verfügung, das ihnen vier Fünftel seines Arbeitsproduktes (ein Fünftel für Landpacht, ein Fünftel für Wasser, ein Fünftel für Saatgut und ein Fünftel für die primitiven Werkzeuge) abliefern muß. Ihre wirtschaftliche Einsicht ist zu gering, als daß sie zu erkennen vermöchten, daß sie durch die Schaffung einer zahlungsfähigeren Konsumentenmasse selbst ihr Einkommen vervielfältigen könnten.

Statt dessen erreicht die Befruchtung durch den Goldstrom der Anglo-Iranian nur die oberste Schichte, ermöglicht es ihnen, ein Heer von Beamten und Soldaten zu halten, ohne daß sie selbst Steuern zahlen müßten, erlaubt ihnen, am Luxus des Westens teilzunehmen, ohne dessen die Allgemeinheit fördernde Voraussetzungen ins Land hereinzulassen, und schließlich eine Propaganda zu bezahlen, die die Energie der Massen von den inländischen Fronherren weg gegen die ausländischen Lehrmeister ablenkt.

Die Raffinerie von Abadan ist eine Oase in der Wüste der persischen Wirtschaft, die einst als Ganzes blühend war, aber durch die Mißwirtschaft der Inländer, nicht durch die Ausbeutung des Auslands, verdorrt ist. Am Rande eines Staatsgebietes, das neben 18 Millionen verelendeten Land- und Handarbeitern 50.000 Feudalherren beherbergt, erhebt sich eine Stadt des 20. Jahrhunderts mit hunderttausenden wohlbezahlten, modern behausten, durch Alters- und Krankenpflege und Versicherung geschützten Arbeitern. Sie wird allerdings von einem Gürtel von hunderttausend Bettlern umgeben, die von der Hoffnung angelockt wurden, in die Märchenstadt aufgenommen zu werden, und die, als dies nur mehr für hunderte im Jahre möglich war, in primitivsten Elendsvierteln auf das Glück warteteten, in Abadan Aufnahme zu finden. Ein solcher Niveauunterschied zeigte zu deutlich die grundlegenden Mißstände auf. So muß die fremde Oase verschwinden, und die Nationalisierung ist ein einfaches Mittel dazu. Sie wird eine radikale Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, eine einseitige Verlagerung der Einnahmen nach sich ziehen. Für die Förderung selbst wird die Verstaatlichung nur von Nachteil sein. Während die Produktion in der freien öl-wirtschaft der Vereinigten Staaten in einer Generation auf das Vierfache gestiegen ist, ist jene Boliviens seit der Verstaatlichung der ölgruben versiegt, die Mexikos auf ein Drittel gesunken.

Ähnliche Motive bestimmen die unversöhnliche Feindschaft gegen eine andere Enklave des 20. Jahrhunderts an der Peripherie der arabischen Welt, gegen Israel, wenn auch hier der Kontrast nicht so groß ist wie zwischen der englischen Oase und dem persischen Elend.

Das bolivianische, das mexikanische und das iranische Erdöl werden in nicht allzuferner Zeit durch die Entwicklung der Atom- und Sonnenenergie an Bedeutung verlieren. Die Kernfrage bleibt, daß die dringend nötige wirtschaftliche Entwicklung zurückgebliebener Länder ohne fremde Hilfe und fremdes Kapital unmöglich ist. Wer könnte aber beide leihen, wenn die dadurch geschaffenen Werte und Entwicklungen vogelfrei sind? Die gegenseitige Hilfe, die das wirtschaftliche und soziale Niveau der verschiedenen Länder angleichen und so Spannungen ausgleichen soll, ein Kardinalpunkt des Programms der Vereinten Nationen, wird so unmöglich gemacht. In diesem Sinne ist ein solcher Angriff gleichzeitig ein Kampf gegen die Interessengemeinschaft der Länder, er erschüttert den Boden, auf dem die konstruktive Arbeit der Vereinten Nationen steht. Werden diese klug genug sein, das zu sehen, und stark genug, es zu verhindern?

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