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Die Politik um die Atomenergie

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Wie ein Alpdruck liegt über der Menschheit die Ungewißheit, wie sie mit der Entdeckung der Atomenergie fertig werden wird. Das Bangen darum stachelt die Phantasie von allerlei Sektenpredigern an, Weltuntergangspropheten, die schon die Posaunen des Jüngsten Gerichtes aus der Nähe schallen zu hören vermeinen, und wenn auch ihre verkündigten Termine bisher ereignislos verstrichen sind, so ist immer noch der amerikanische Prophet der „Adventisten vom siebenten Tage“ da, der für den 13. Dezember 1946 den letzten Tag der Menschheit ansagt. Aber fern von diesen wüsten Angstträumen beschäftigt doch auch das ernste Denken die Frage, wohin die noch unab-msßbaren, sich noch immer ergänzenden Entdeckungen um die Atomenergie führen werden. Der Erzbischof der anglikanischen Kirche Dr. Garbett von New York hiek kürzlich allen Berufenen in einer be-schwörenden Kundgebung vor, Bikini sei ein Fanal, wie es noch niemals vor der Menschheit aufgepflanzt worden ist, es bedrohte sie mit einer Katastrophe, wenn es nicht gelinge, eine internationale Verständigung über die Grenzen der Anwendung der Atomenergie herzustellen, also die Kräfte wieder zu fesseln, die man der Urwelt entlockt hat.

Das entscheidende Problem ist: Dürfen diese gigantischen Gewalten gegen Menschen, also im Kriege, losgelassen werden? Hier steht die Weiterbildung des Völkerrechtes vor einer unendlich schwierigeren Aufgabe als bei dem Verbot der Verwendung der Giftgase. Man hat dieses Verbot nicht festlegen können und nur aus Furcht, der Gegner könne diese schrecklichere Waffe mit größerem Erfolg anwenden, hat die Kriegführung Hi lers darauf verzichtet. Aber unendlich komplizierter ist die Beschränkung der Atomenergie auf Friedenszwecke.

Uber die Bildung der Atomenergie-Kommission innerhalb der UNO, die auf Grund der berühmten Acht-Punkte-Erklärung Amerikas, Englands und Kanadas vom 15. November 1945 zustande kam, ist man noch nicht weit hinausgekommen. Die Kommission, die sich vornehmlich aus Mitgliedern des Sicherheitsrates zusammensetzt, soll den Austausch der Atomforschungsergebnisse einleiten, die Verwendung der Atomenergie zu ausschließlich friedlichen Zwecken vorbereiten, ein Verbot der Atom- und ähnlicher Waffen für „Massenvernichtung“, wie auch eine wirksame Kontrolle mit Sanktionen herbeiführen. Es folgten monatelange Debatten, zunächst ohne konkrete Unterlage.

Am 16, Juni 1946 legte der USA-Vertreter Senator B. M. B a r u c h der Kommission einen Plan zur internationalen Regelung der Atomenergiefrage vor, der im wesentlichen folgende Vorschläge umfaßt:

Einrichtung einer vertraglichen Kontrolle der Atomenergie,

Vertraglicher Verzicht auf Verwendung von Atomenergiewaffen, sodann

Einstellung der Erzeugung und Vernichtung der vorhandenen Bomben,

Schaffung einer „Atomic Development Authority“ (ADA), die — dem Sicherheitsrat gleichgestellt — alle Atomenergiegeheimnisse erfahren und ein Sanktionsrecht, verbunden mit dem alleinigen Recht der Verwendung von Atombomben, besitzen soll. Das Sanktionsrecht soll ein ausschließliches der ADA sein und kein Vetorecht zulassen. Die Kontrolle ist im besonderen so gedacht„ daß sie sich auf die in Betracht kommenden Rohstoffe, auf die vorhandenen Er-z.ugungsstätten und auf die Überwachung der nur für friedliche Zwecke gestatteten Atomenergieverwendung erstreckt.

England gab dem amerikanischen Vorschlage seine Zustimmung, in USA unterstrich General Eisenhower die Forderung, daß die Atombombengeheimnisse erst dann preisgegeben werden dürfen, bis eine Garantie dafür bestünde, daß alle Staaten ihre einschlägigen Forschungen zur Verfügung stellen.

Wenige Tage später — am 20. Juni — brachte Sowjetrußland durch seinen Vertreter G r o m y k o ebenfalls einen Vorschlag zur

Regelung der Atomenergiefrage ein, und zwar mit folgenden Einzelheiten:

1. Sofortige Vernichtung der vorhandenen Atombomben und Erzeugungsverbot,

2. Verbot der Verwendung von Atomenergiewaffen, sodann

3. Abschluß eines internationalen Abkommens,

4. Sanktionen, unterstützt durch eine internationale Atom-Polizei,

5. Schaffung eines UNO-Ausschusses für friedliche Entwicklung der Atomenergie ohne jede Geheimhaltung,

6. Beibehaltung des Vetorechtes der Großen Fünf in allen Atomenergiefragen, die vom Sicherheitsrat zu kontrollieren sind.

Die beiden Pläne zeigen eine weitgehende Ähnlichkeit, trotzdem weichen sie stark voneinander ab, schon wenn man die Reihenfolge der durchzuführenden Maßnahmen beachtet. USA wollen Kontrolle vor Ausschaltung der Atomwaffen, Rußland aber umgekehrt. Ein zweiter wesentlicher Unterschied liegt darin, daß USA für die ADA unumschränkte Vollmachten, Rußland hingegen Wahrung des Vetorechtes der Großen Fünf verlangt. Ein von der Kommission eingesetzter Zwölferausschuß ist nunmehr mit der Ausarbeitung von Vorschlägen zur Vereinigung 'er gegensätzlichen — 2C! — . Auffassungen beschäftigt.

Es ergibt sich eine Fülle von Einzelfrägen, die das an sich so einfach anmutende Problem der Atomenergie zu einem ungemein schwierigen gestalten. Zunächst gilt die Atomenergiewaffe als „neue Waffe“ und dies mit vollem Recht. Wirklich neue Waffen sind verhältnismäßig selten und in neuerer Zeit kann man eigentlich bloß die Feuerwaffen, dann in langem Abstände Flugzeug, U-Boot und Gas und im letzten Kriege die V-Waffen und die Atombomben als solche bezeichnen. Neue Waffen benötigen oft eine sehr lange Entwicklungszeit; so währte es von Rutherfords grundlegenden Atomforschungen bis zum Abwurf der ersten Atombombe nicht weniger als 35 Jahre. Zum Hauptkennzeichen der neuen Waffe gehört eine ganz neuartige, die Taktik weitgehend beeinflussende Wirkungsweise. Fehlt es vorerst an Abwehrmöglichkeiten, und verfügen andere Staaten über nichts Ähnliches, dann wird die neue Waffe zur Vorsprungswaffe und zu einem so lange wirksamen Trumpf des alleinigen Besitzers, als die Abwehr oder gleichwertige Waffen nicht erfunden werden. Vorsprungswaffen schaffen ein Rüstungsgefälle und verleihen dadurch eine Vormachtstellung.

Jeder Vorsprung ist natürlich zeitlich begrenzt und so hat es noch nie ein dauerndes Waffenmonopol einzelner Staaten gegeben, höchstens auf dem Wege der Zwangsabrüstung anderer Staaten. Bei den Atomenergiewaffen könnte sich das Monopol — sollte es nicht anders gebrochen werden — lange behaupten, wenn die Uran- und Thoriumvorkommen der Erde nur wenigen Mächten zur Verfügung stünden, es müßte denn sein, daß sich mit der Zeit auch andere Rohstoffe als geeignet erweisen. Die Rohstoffkontrolle findet am Aufkommen gleichwirkender Stoffe ihre Grenzen.

Die alte Frage, ob es einmal eine Waffe geben werde, die allem Kriege automatisch ein Ende setzen könnte, steht auch jetzt wieder vor uns. Ist die Atombombe eine solche Waffe? Atomenergiewaffen könnten friedenerhaltend wirken, wenn sie tatsächlich in der Hand einer Einzelmacht oder einer Machtgruppe blieben. Ein solcher Zustand ist aber auf die Dauer für alle anderen Mächte unerträglich, weil er einer absoluten Diktatur gleichkommt und weil er dem Besitzer der Atomwaffen die Möglichkeit bietet, gegen jede andere Macht die Monopolwaffe einzusetzen. Sobald es aber wieder zu einem Rüstungsausgleich kommt, das heißt daß alle Staaten über Atomwaffen verfügen, dann muß natürlich die Kriegsgefahr wieder allgemein aufleben, denn Rüstungsausgleich führt leicht zum Krieg, weil die Erfolgchancen ausgeglichen sind.

'Die große Rolle spielt bei der Atomwaffe die Geheimhaltung, die iij“'anserei Tagen nicht mehr gutgeheißen wird. Bis jetw galt es als unveräußerliches Recht eines jeden

Staates, Bewaffnungsfragen aller Art geheimzuhalten und niemand fand etwas Unrechtes daran. Das Denken der Menschen hat sich aber auch hier gewandelt und voll Ernst wird heute das Recht auf Geheimhaltung von Kriegsgeheimnissen bestritten, ein solches Recht sogar vom moralischen Standpunkte aus bezweifelt. Nehmen wir nun an, man erzielte wirklich eine Preisgabepflicht der Atomwaffengeheimnisse — was geschieht aber, sobald die nächste „neue Waffe“ auf den Plan tritt, die nicht schon im voraus verboten sein und die noch viel furchtbarer sich erweisen kann als die Atombombe? Irgendeine Strahlungswaffe oder sonst etwas ganz Ungeahntes?

Die Versuche, die Atomenergie ausschließlich friedlichen Zwek-ken dienstbar, zu machen, müssen nicht unbedingt dazu führen, daß eine kriegerische Auswertung ausgeschlossen bleibt. Man bedenke, daß es Gewehre und Traktoren, Sprengmittel und Flugzeuge zu ausschließlich friedlichem Zwecken geben muß ... und was haben nicht die Menschen aus diesen friedlichen Werkzeugen für Jagd und Landwirtschaft, für Straßenbau und Verkehr gemacht? Es ist unschwer zu erkennen, daß auch von diesen Gesichtspunkten aus dem Atomwaffenproblem nicht restlos beigekommen werden kann.

Von französischer Seite kam ein Streik aller Atomforscher in Vorschlag, um ein mit Sanktionen ausgestattetes Atomwaffenverbot zu erzwingen. Gibt es aber eine geschlossene Einheitsfront aller Atomforscher aller Völker und ist es ganz und gar ausgeschlossen, daß nicht da und dort Staatstreue und Vaterlandsliebe über die in einem fatalen Streitfalle versagende Völkergemeinschaftsidee doch wieder obsiegen? Die größten Enttäuschungen hat bisher noch immer jener erlebt, der ideale Gesinnungen unter 2000 Millionen Menschen zu weit und zv voreilig verallgemeinert. Die unleugbare Fortentwicklung internationaler Gesinnung, wofür die UNO ein überzeugender Beweis ist, vermochte bisher dem nationalen Denken der Völker noch keinerlei Abbruch tun.

Sicher, die, Atomwaffen leiten ein neues Zeitalter ein, das Atomzeitalter — und schon die Tatsache, daß man zu solcher Wortprägung gelangt ist. zeigt die ganze Größe der vorliegenden kriegstechnischen Umwälzung, keinesfalls, ist aber zu erwarte, daß Heer, Luftstreitkräfte und Manne aus dem Rüstungsapparat der Staaten verschwinden werden. Mögen sie sich noch sosehr umgestalten, man wird immer wieder zu Land, in der Luft und zur See operieren müssen und sei es auch nur mehr eine Sanktion gegen einen ungehorsamen Mirgliedstaat.

So vorsichtig auch alle in die Öffentlichkeit dringenden Nachrichten von neuen Waffen sind, die wenig bekanntgewordenen zeigen, daß an der Atomwaffenabwehr fleißig gearbeitet Wird und daß es scheinbar schon Ansätze einer wirklichen Abwehr gibt, wie angeblich Metallraketen. Der immer wieder eintretende Ausgleich zwischen Angriff und Abwehr dürfte sich beim Stande der modernen Technik viel rascher einstellen als früher. Vielleicht deuten hierhin die geheimnisvollen Wahrnehmungen bisher u n-bekannter Raketenerscheinun-g e n, die eben jetzt in den skandinavischen L ä n d e r n gemacht werden, Ersehe.iiutcii.. zu deren Erkundung bisher nur schwache Anhaltspunkte vorliegen.

Es ist wohl das erste Mal. daß rein kriegstechnisch? Fragen zu unmittelbaren Problemen der Weltpolitik geworden sind, wie es im Falle der Atomwaffen eingetreten ist. Min spricht bereits von der „A t o m e n e r-g i e p o 1 i 11 k“ der Staaten und tatsächlich spielt die neue Waffe deutlich in viele zwischenstaatliche Verhandlungen hinein, da sie dem Besitzer der Waffe zweifellos eine den Partnern gegenüber unterschiedliche Stellung einräumt.

Umwittert von diesen in der Weltpolitik widerstreitenden Interessen, gehen die Beratungen über Atomenergie und ihre Ausschaltung für Kriegszwecke weiter, gehen aber auch weiter die militärischen Versuche im Stillen Ozean, mit einem ungeheuren Organisationsapparat und riesenhaften Kosten und Materialopfern durchgeführt; sie sollen 1947 fortgesetzt werden, daneben laufen V-2-Versuche in New-Mexiko und in entlegenen Wüstengebieten Australiens. Wenn auch gleichzeitig friedliche wissenschaftliche Einrichtungen und private Forscher mit großen Summen ausgestattet werden, um das neue Feld der Entdeckungen noch tiefer zu durchforschen, so besteht doch immer noch eine Zweigeleisigkeit, die noch keine optimistische Deutung zuläßt.

Soll man -deshalb befürchten, daß dieses unheimliche Schicksalsrätsel der Menschheit ungelöst bleibt? Man darf wohl erwarten, daß a m Ausgange der Friedenskonferenzen, deren Schwierigkeiten vorausgesehen werden mußten, als letzte Errungenschaft des Friedens auch eine Verständigung über die Atomwaffe, diese tödliche Bedrohung der Menschheit, stehen wird.

„Der Pessimismus als Weltanschauung Ist ebenso widersinnig wie der leere Optimismus, weil ebenfalls auf willkürlichen, unbewiesenen Anschauungen beruhend, aber nicht so harmlos wie dieser, sondern voll ätzenden Giftes, er ist der Sohn des Wahnsinns und der Verzweiflung der Vater des Verbrechens und des Selbstmordes, deren tief zu beklagende Anhäufung ihn wieder weiter Ter breitet. Er geht durchaus parallel mit der Zunahme des Lasters und mit der Entwicklung des sozialen Rückschrittes. Mit beiden steht er in ursächlicher Wechselwirkung.“

Di. Henno a m R h y n, Staatsarchiv in Sankt Gallen: / „Kulturgeschichte des deutschen Volkes“

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