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Die politische Vorbereitung des Staatsvertrages

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Die österreichische Oeffentlichkeit ist über den Ablauf einer sich über annähernd zwei Jahre erstreckenden Entspannungsperiode im österreichisch-sowjetischen Verhältnis so unzulänglich informiert gewesen, daß ihr die Ereignisse der letzten zwei Monate, die schließlich zur Unterzeichnung des Staatsvertrages führten, durchaus unerwartet kamen und weitgehend unverständlich bleiben mußten. Es mag daher am Platze sein, die wesentlichsten Marksteine jenes Weges der Entspannung und der politischen Vorbereitung des historischen Ereignisses vom 15. Mai 1955 ins Gedächtnis zu rufen.

Bekanntlich hat die Sowjetregierung seit etwa März 1950 unter Berufung auf Veränderungen in der politischen Situation in Europa, die in den Jahren 1946 und 1947, als man den Vertragsentwurf verfaßt hatte, noch nicht vorausgesehen wurden, ihre Unterschrift unter den Staatsvertrag von zusätzlichen politischen Sicherheitsgarantien im österreichischen Raum abhängig gemacht. Die Westmächte sahen sich nicht in der Lage, über diese Forderung die Diskussion zu eröffnen. So fand sich die Staatsvertragsfrage etwa seit Frühjahr 1950 völlig blockiert.

Dieser Zustand der totalen Blockierung dauerte etwa drei Jahre lang. Es waren dies jene drei Jahre, in denen der „kalte Krieg“ im Zusammenhang mit den Ereignissen in Korea und in Deutschland neue Höhepunkte erreicht hatte und in denen daher weder vom Osten noch vom Westen ein ernsthafter Versuch zur Deblockie-rung der österreichischen Frage unternommen werden konnte.

Die erste Möglichkeit einer Auflockerung zeichnete sich im Frühjahr 1953 ab, als in Moskau wie in Wien neue Regierungen gebildet worden waren; dort infolge des Todes Stalins, hier infolge der Neuwahlen im Februar. Es erfolgten die bekannten Entspannungsgesten der Sowjetregierung. Aufhebung der Zonenkontrolle, Austausch von Botschaftern, Amnestierung einer großen Gruppe strafverurteilter österreichischer Kriegsgefangener und Zivilpersonen usw.

Die österreichische Reaktion auf diese Schritte der Sowjetregierung kulminierte in dem Memorandum vom 30. Juni 195 3, in dem die Bundesregierung nicht nur ihrem Wunsch nach Herstellung von vertrauensvollen und fruchtbaren Beziehungen zur Sowjetunion Ausdruck gab, sondern auch den von Moskau vorgeschlagenen „diplomatischen Weg“ zur Flottmachung der Verhandlungen über den Staatsvertrag als „gangbar“ bezeichnete, das heißt für Oesterreich annahm.

Dieses in der österreichischen Oeffentlichkeit wenig beachtete Memorandum ist in Wirklichkeit ein Schritt von fundamentaler Bedeutung gewesen. Oesterreich trat damit aus eigenem Recht in ein politisches Gespräch mit der Sowjetunion über die Möglichkeiten der Verwirklichung des Staatsvertrages ein, während bisher die Verhandlungen über den Vertrag ausschließlich zwischen den Stellvertretern der Außenminister der vier Großmächte geführt worden waren, die bekanntlich unter den Gegebenheiten des „Cold War“ die totale Blockierung der Staatsvertragsfrage nicht zu beseitigen vermochten.

Die nächste Etappe des nunmehr eingeleiteten direkten österreichisch-sowjetischen Gespräches war das Fallenlassen des „Kurzvertrages“ durch Oesterreich im Herbst 1953, was eine analoge Haltung der Westmächte nach sich ziehen mußte. Damit hat die Bundesregierung, und zwar sie allein, den so lange völlig verschütteten Weg zur Neubehandlung des Staatsvertrages wieder geöffnet. Tatsächlich wurde sogleich die Frage des Staatsvertrages auf die Tagesordnung der in Vorbereitung befindlichen Berliner Konferenz gesetzt und Oesterreich eingeladen, eine Delegation nach Berlin zu entsenden.

Die Berliner Konferenz brachte noch keine volle Einigung. Aber sie bezeichnete eine überaus wichtige und bedeutungsvolle Station auf dem Wege zum Staatsvertrag: zum ersten Male hat Oesterreich als gleichberechtigter, neben den vier Großmächten fünfter Partner an den Beratungen über sein Schicksal teilgenommen; zum ersten Male gab die Sowjetdelegation konkrete Sicherheitswünsche bekannt, bei deren Erfüllung sie zur sofortigen Unterzeichnung des Staatsvertrages bereit war; zum ersten Male wurde über die von den Russen seit vier Jahren geforderten Sicherheitsgarantien konkret verhandelt und über eine dieser beiden Garantien — Militärbündnis- und Basenfreiheit — konnte eine sofortige grundsätzliche Einigung erzielt werden.

Die zweite Garantie allerdings, die Belassung von Militärkontingenten der vier Mächte in Oesterreich bis zum Abschluß des deutschen Friedensvertrages, wurde von uns abgelehnt. Zur Ausfindigmachung einer Ersatzlösung blieb in Berlin keine Zeit mehr, aber trotzdem schien schon damals die Hoffnung durchaus real, daß es bei allseitigem gutem Willen in Bälde gelingen müsse, jene Ersatzlösung auf diplomatischem Wege zu finden.

Vieles also und Wichtiges war in Berlin erreicht worden, als Ergebnis jener Politik der Bundesregierung, die ihren ersten Ausdruck im Juni-Memorandum des Jahres 195 3 gefunden hatte, als Ergebnis des direkten österreichischsowjetischen Gesprächs.

Die letzte Aufgabe, die noch zu bewältigen blieb: die Findung einer Ersatzlösung für jene zweite, von uns abgelehnte Berliner Klausel, war der Gegenstand weiterer Gespräche zwischen Wien und Moskau. Besonders intensivierten sich diese nach der Rede Molotows vom 8. Februar 1955 vor dem Obersten Sowjet. Und als der Schreiber dieser Zeilen dem sowjetischen Außenminister am 14. März ein Memorandum überreichen konnte, in dem stand, daß die Bundesregierung „jede wirkungsvolle Sicherung und Garantie der österreichischen Unabhängigkeit und Freiheit nach allen Seiten, somit auch gegen die Gefahr eines Anschlusses“, begrüßt, da war jene Ersatzlösung im grundsätzlichen gefunden, waren die politischen Vorbedingungen zur Unterzeichnung des Vertrages geschaffen.

Einen Monat später, am 15. April, wurde im Moskauer Kreml die österreichisch-sowjetische Einigung abgeschlossen, und wieder einen Monat später, am 15. Mai 1955, wurde im Wiener Belvedere der österreichische Staatsvertrag von den Ministern und Hochkommissaren der vier Großmächte und dem Außenminister Oesterreichs unterschrieben.

Selbstverständlich bleibt keine politische Entwicklung unberührt von den übrigen sie umgebenden und einrahmenden Weltereignissen. Selbstverständlich werden wohl stets diese letzteren einen erheblichen Einfluß auf die Fixierung des Zeitpunktes ausüben, zu dem dieser oder jener Schritt von dieser oder jener Macht unternommen wird. Das ist, wie über die ganze Länge des Ringens um den österreichischen Staatsvertrag, so auch in der letzten Phase dieses Ringens der Fall gewesen.

Aber völlig irrig wäre es, das glückliche Schlußergebnis im wesentlichen als den Effekt außerhalb des österreichischen Problemes verlaufener Ereignisabfolgen anzusprechen. Dieses Ergebnis ist vielmehr heraufgeführt worden durch eine zielbewußte, gradlinige, realistische Politik, die die österreichische und die Sowjetregierung seit dem Frühjahr 195 3, mit dem Wunsche, zu einer ehrlichen Verständigung zu gelangen, geführt haben, eine Politik, in der sie seit jener Zeit Schritt für Schritt vorangekommen sind und die schließlich auch von den Westmächten als Beitrag zur allgemeinen Entspannung verstanden, begrüßt und unterstützt wurd-

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