6715774-1964_42_01.jpg
Digital In Arbeit

Die Probe bestanden

Werbung
Werbung
Werbung

Fingerübungen in direkter Demokratie: so bezeichneten Beobachter der Vorgänge in der österreichischen Innenpolitik den Ablauf und den — übrigens von vornherein erwarteten — durchschlagenden Erfolg der „Aktion Volksbegehren“ in Sachen Österreichischer Rundfunk. Es war eine Probe aufs Exempel, eine Übung zur Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten und Kräfte, ein Kraftakt, bei dem ausprobiert werden sollte, was alles, bisher nicht genug Beachtetes, in unserer Verfassung, in unserer Demokratie, in den Wahlbürgern dieses Staates „drin steckt“. Die Probe wurde, nach allem, was darüber kurz nachher zu vernehmen war, bestanden. Mehr noch: sie wurde glänzend bestanden. Die Initiatoren, ja, alle Beteiligten, können mit dem Ergebnis zufrieden sein. Mit Schwung und Begeisterung können eben Durchbrüche erzielt werden. Ein solcher einmaliger Durchbruch gelang jenen hunderttausenden Wählern, die mit ihren Unterschriften in einem konkreten Fall einmal die Initiative ergriffen haben, um ihren Mandataren zu zeigen, in welcher Richtung diese vorgehen sollten. Jetzt gilt es, mit kühlem Kopf alles noch einmal zu überdenken und das Ganze in die richtigen Relationen einzuordnen.

Die ältesten Leser dieses Blattes werden es bestätigen: In der „Furche“ wurde von den ersten Gehversuchen der Zweiten Republik an immer und beständig für die Wahrnehmung und Übung aller Möglichkeiten unserer Bundesverfassung plädiert. Volksbegehren, Volksbefragung wurden immer wieder aufs Tapet gebracht.

Und darin liegt schon Öie Antwort auf die Frage, die uns in diesen Wochen und Monaten mehrmals erreicht hat, warum die „Furche“ für die „Aktion Volksbegehren“ eingetreten ist. Wenn die österreichische Bundesverfassung seit 1920 das Volksbegehren vorsah, so war es hoch an der Zeit, es 1964 einmal durchzuführen. Seit mehr als 40 Jahren stand das Volksbegehren in der Bundesverfassung: Die Betonung liegt hier auf dem letzten Wort. Die österreichische Bundesverfassung, die auf dem Prinzip der parteienstaatlichen, parlamentarischen Demokratie basiert, wurde nicht über Nacht durch eine plebiszitäre Demokratie außer Kraft gesetzt. Auch das Volksbegehren vollzog sich im streng gezogenen Rahmen der österreichischen Bundesverfassung. Alle Teilnehmer dieser Aktion mußten und müssen wissen, daß darin das Volksbegehren seine Sinnerfüllung und seine Grenzen hat: Im Rahmen und im Sinn der Verfassung, die für Österreich die repräsentative Demokratie vorschreibt, kann ein Volksbegehren nur zu einer Regierungsvorlage führen, das allerdings unbedingt, wenn dem Gesetz Genüge getan worden ist. Die Regierung legt den Gesetzentwurf, den die Wähler, mindestens 200.000 an der Zahl, befürwortet haben, der Volksvertretung vor. Die Mandatare können diese Vorlage weiterbehandeln, in geänderter oder in unveränderter Form zum Gesetz erheben — sie können, theoretisch gesprochen, sie auch liegenlassen. Alles das streng im Rahmen der ihnen durch die Wähler am letzten Wahltag für die

Dauer der Legislaturperiode erteilten Vollmacht. An diesem Sachverhalt könnte selbst ein Volksbegehren nichts ändern, das eine überwiegende Mehrheit aller Wähler in Österreich unterstützen würde. Denn die Wähler haben nur am Wahltag das Recht und die Möglichkeit, in die Regierung des Landes direkt einzugreifen.

Es bleibt den Befürwortern eines Volksbegehrens selbstverständlich unbenommen, gegenüber jenen Mandataren, die das Ergebnis des Volksbegehrens mißachtet haben, die einzige Sanktion zu ergreifen, die in der Verfassung vorgesehen ist: sie am nächsten Wahltag nicht zu wählen, ihre Namen von der Liste zu streichen, sie zurückzureihen. So verstanden, ist ein Volksbegehren, und war auch das soeben stattgefundene, keine Alternative zur parlamentarischen Parteiendemokratie, sondern ein einmaliger, nicht oft zu wiederholender Ansporn, der die Mandatare an ihre Pflichten und ihre Rechte erinnern soll.

Die beiden Regierungsparteien haben im März vergangenen Jahres beschlossen, unter anderem eine sinnvolle Reorganisierung des Rundfunkwesens in Österreich bis Ende Juni 1963 vorzunehmen. Die Verhandlungen sind kurz darauf stek- kengeblieben; aus der von vielen erwarteten, längst fälligen Reform wurde nichts. Der Fall wurde bald zum Symbol einer latenten Krise der Koalition und Gegenstand eines Mißbehagens angesichts der Art und Weise, wie in Österreich offensichtlich eine an sich legitime Verantwortung der Regierungsparteien für die öffentlichen Dinge, zu denen auch der Rundfunk gehört, zur kleinlichen und schädlichen Kraftprobe von Parteieinflüssen werden kann. Das hat mit einer gewiß vorhandenen Unzufriedenheit über die Programmgestaltung des Hörfunks oder des Fernsehens nur sehr bedingt etwas zu tun. Denn, ob die Eindämmung des Parteieinflusses in diesen Domänen zu einer merklichen Verbesserung des Programms führen würde, muß noch bewiesen werden. Den Idealtyp des unpolitischen Fachmanns müßte man noch finden; aber man wird ihn nirgends finden, weil es ihn nicht gibt. Gewiß: im täglichen Betrieb des Hörfunks und des Fernsehens hätte der „Proporz“ nichts zu suchen, auch, wenn die Regierungspartei oder, wie in Österreich, die Regierungsparteien, ihre Rechte und Pflichten in Aufsichtsrat und Vorstand der Rundfunkgesellschaft gewissenhaft ausüben. Ja, im Gegenteil: ein kluger politischer Kopf, der weiß, daß weise Selbstbeschränkung, Delegierung der Macht und Streben nach Sachlichkeit nicht nur ihre Zinsen tragen, sondern auch der Moral einer die freie menschliche Persönlichkeit achtenden rechtsstaatlichen Demokratie entsprechen, wird auch wissen, was er im Fall des Rundfunks zum Beispiel —, aber man könnte ebenso noch brisantere, wenn auch weniger publikumswirksame „Fälle“ nennen, etwa die verstaatlichten Unternehmungen — zu tun hat. Und nicht zuletzt darauf kommt es ja an.

Jene österreichischen Zeitungen, die dieser Aktion Volksbegehren den Startschuß gegeben haben, kehren nun zu ihren „Leisten“ zurück. Sie haben die öffentliche Meinung dieses Landes — einen wichtigen, unentbehrlichen Bestandteil jeder freien Demokratie — einmal anders als es sonst ihrer Art und ihrer Aufgabe entspricht, mobilisiert, um der Sache des Rundfunks und der Demokratie in Österreich weiterzuhelfen. Beide, Rundfunk wie Demokratie, brauchen jetzt die tätige, verantwortungsbewußte Mithilfe der Mandatare. Ab nun haben, kraft des Auftrags, den sie am letzten Wahlsonntag, dem 18. November 1962, von den Wählern erhalten haben, die Abgeordneten das Wort.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung