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Die Probleme der österreichischen Papierindustrie im Hinblick auf die europäische Entwicklung

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Mehr als jede andere steht die österreichische Papierindustrie im Blickfeld der Oeffentlichkeit, da Papier in seiner ungeheuren Vielfalt für jeden von persönlichem Interesse ist. Daher wird alles in erster Linie vom Standpunkt des Inlandspreises beurteilt und darüber vergessen, in welch außerordentlichem Ausmaß die wirtschaftliche Lage der rund 100 Betriebe dieser Gruppe mit der gesamtösterreichischen verknüpft ist.

Es scheint dahet gut, dies durch einige Zahlen klarzumachen. Rund 21.000 Menschen haben im Jahre 1953 Güter im Werte von 2359 Millionen Schilling erzeugt — davon mehr als die Hälfte für den Export, womit die Papierindustrie der drittgrößte Devisenbringer innerhalb Oesterreichs Industrie wurde. Indirekt — als Holzarbeiter, im graphischen Gewerbe und der Verarbeitung — hängen weitere rund 80.000 Menschen von ihr ab. Die direkten Steuerleistungen übersteigen 300 Millionen. Es ist daher ohne weiteres klar, welche Stellung diese Industrie in Oesterreichs Wirtschaft hat.

Dem wurde in den letzten Jahren weitgehend dadurch Rechnung getragen, daß man gewaltige Mittel aus ERP für den Ausbau zur Verfügung stellte. Die Industrie hatte mit dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie neun Zehntel ihres Inlandsmarktes verloren — sie stellte sich in den Zwischenkriegsjahren auf die Belieferung der Nachfolgestaaten um. Mit zunehmender Industrialisierung dieser Länder verlor sie diese Märkte wieder großteils, um sie nach dem zweiten Krieg durch die Zweiteilung der Welt völlig einzubüßen. Vor 1938 machte der Export in diese Länder noch 25,7 Prozent (mengenmäßig) und 26,2 Prozent (wertmäßig) des Gesamtexportes aus, während er heute fast null ist. Zur Modernisierung fehlten immer die Mittel; der Erholung, die 1935 begonnen hatte, machte der Krieg ein Ende.

So mußte sich die österreichische Papierindustrie nach 1945 nach völlig neuen Märkten orientieren

— und zwar auf solche, die vielfach nur unter Hinnahme großer Vorfrachten und in Konkurrenz mit der hochmodernen skandinavischen Industrie ru erreichen waren. Jeder kennt zudem die ungeheuren Schwierigkeiten, die der jahrelang gehaltene Zwangskurs dem Export machte. Da gleichzeitig der europäische Wiederaufbau den Bau- und Grubenholzbedarf so hektisch steigerte, daß der inländische Holzpreis mitgerissen wurde, kam die Papierindustrie in eine Schere zwischen Kosten und Erlös, die durch die aus Stabilisierungsgründen niedrig gehaltenen Inlandspreise tödlich zu werden drohte. Erst der Korea-Boom mit seinen Folgen und die rasant vorgetriebenen Rationalisierungsmaßnahmen brachten Entspannung.

Um das. Ihvestitionsprogramm und seine Auswirkungen beurteilen zu können, muß die heute gegebene Absatzlage untersucht werden.

Ich sprach schon von der Umstellung auf West- und Uebersee-Export. Diese bedingte, daß man die alten Maschinen, die für weniger scharf konkurrenzierte Märkte noch ausgereicht hätten, durch neue, schnellere, breitere, rationellere ersetzte oder zumindest solche neu anschaffte, sofern man die langsamen, schmalen für gewisse Spezialpapiere, deren Güte noch erheblich handwerklich bedingt ist, weiter beließ. Ohne wesentliche Steigerung der Kapazität ging dies nicht; und damit mußte das im kleinen Inlandsmarkt bedingte Mißverhältnis Inland : Export (derzeit 2irka 40 : 60 Prozent!) bei jeder Exportdepression unerträglich werden. Man konnte aber mit einer Steigerung des Inlandsverbrauches bei fortschreitender Konsolidierung rechnen. Die Kopfquote ist seit 1937 von rund 19 auf 25 Kilogramm pro Jahr

— also mehr als ein Viertel — gestiegen und wird es wahrscheinlich weiter tun (zum Vergleich: Deutschland 36, Schweden 46, England 59, USA 178!). Gleichzeitig gelang die erstaunliche Leistung, trotz ungünstigster Konkurrenzverhältnisse parallel mit der Ausweitung der Kapazitäten den Papierexport gewaltig zu steigern — zum Großteil auf neuen Märkten. Er stieg von 1937 mit rund 117.000 Tonnen auf rund 166.000 Tonnen im Jahre 1953. Leider war aber die mengenmäßige Steigerung mit 27 Prozent von 1952 auf 1953 doppelt so hoch wie die erlösmäßige, worin ich deutlich die großen Belastungen ausdrücken, die die Industrie zu überwinden hat. Da zudem —

bei dem früher erwähnten Mißverhältnis Inland zum

Export — der Durchschnitts-Jahresexporterlös um zirka acht Prozent unter dem Inlandserlös war, der nicht die Kosten deckte, und gleichzeitig letztere durch eine gewaltige Holzpreissteigerung erhöht wurden, kann man sich die schwierige Lage vorstellen.

Jeder Vergleich der österreichischen Inlandspreise mit denen des Auslandes zeigt, daß dort der weltweiten Holzpreissteigerung Rechnung getragen wurde. Es sind auch heute — nach der zuletzt durchgeführten Preiserhöhung — die österreichischen Inlandspreise wesentlich unter dem sonstigen Preisniveau. (Der Index liegt bei 769

gegen Holz über 1400.) Allein Skandinavien liegt knapp unter dem unseren- Alle Länder aber, in die wir exportieren, haben zollgeschützte Inlandspreise, die bei den wichtigsten Konsumsorten um 20 bis 30 Prozent über unseren liegen. Und alle diese Länder haben einen minimalen Export bei überwiegendem Inlandsabsatz.

Unter diesen Voraussetzungen wird es ohne weiteres verständlich, daß Papier in Oesterreich liberalisiert werden konnte, ohne daß Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß aus einem anderen Lande hierher geliefert wird. Dabei liegt Oester-

triefc nach einem genauen Zollbelastungsvergleich des Gesamtimportes von neun der wichtigsten europäischen Länder statt wie im Jahre 1937 an fünfter Stelle, nunmehr an letzter Stelle mit nur drei Prozent des Importwertes, ohne daß sich dieser in seiner Warenzusammensetzung wesentlich geändert hätte. Speziell bei Papier sind die derzeitigen Zollsätze tief unter jedem Vergleichsniveau.

Wir sehen also, daß es wohl gelungen ist, Ab satz bis zur Vollausnützung der Kapazität zu schaffen, daß aber alles davon abhängt, die Ergebnisse der investitionsbedingten Rationalisierungraschest zu realisieren, worauf das Investitionsprogramm in allen Punkten ausgerichtet wurde.. Abgesehen vom Kernpunkt des Programmes, das neben der Aufstellung von 14 neuen Papiermaschinen den völligen Umbau von 22 alten vor- sah, wurde folgerichtig alles getan, was weiterhin zur Rationalisierung führt. Der Kraft- und Dampfhaushalt wurde auf neue Basis gestellt — 32 Dampfkessel, 34 Dampf- und Wasserturbinen, 38 Generatoren wurden neu erstellt, Gefällsstufen ausgebaut usw. In der Zelluloseindustrie ging parallel mit der Aufstellung neuer Kocher die vielfach totale Umstellung des chemisch-technischen Betriebes. Besonderes Gewicht wurde auf Roh- toffersparungen, also Stoffaufbereitung und Faserrückgewinnung, gelegt. Praktisch gibt es keine Papier- oder Zellstoffabrik, die nicht weitgehend modernisiert wurde.

Naturgemäß waren die aufgewendeten Mittel enorm. Bis heute wurden aus ERP-Geldern fast 900 Millionen Schilling investiert, zu denen neben’ den an die Marshali-Plan-Zuteilungen gebundenen Eigenfinanzierungsmittel von rund 250 Millionen noch außerordentlich hohe Aufwendungen für jene Neukonstruktionen kamen, die unabhängig von der Marshall-Plan-Hilfe aus eigenem geleistet wurden. Der Gesamtaufwand dürfte bei eineinhalb Milliarden Schilling liegen.

Es wird vielfach von Außenstehenden die Milchmädchenrechnung angestellt, daß die zu Rationalisierungszwecken angestellten Investitionen schon heute, bevor sie noch gänzlich vollendet sind, zu wesentlichen Kosten- and damit Preissenkungen fuhren müßten, ohne daß die auf allen Rohstoff- •ektoren eingetretenen erheblichen Kostensteige- tungen und vor allem der Zinsen- und Amorti- •ationsaufwand berücksichtigt werden. Vorsichtig beurteilt, hat die Industrie in den nächsten zehn

Jahren 90 bis 100 Millionen Schilling pro Jahr ierfür aufzubringen; das sind vom gegenwärtigen Gesamtumsatz zirka vier Prozent. Hierzu kommen noch die Aufwendungen für die Eigenfinanzie- iungssummen und vor allem die Kosten des um 0 bis 60 Prozent größer gewordenen Betriebsmittelbedarfs: alles in allem eine gewaltige Belastung, die bei der scharfen Konkurrenz auf dem Weltmarkt sehr ins Gewicht fallen wird.

Von wesentlichem Interesse ist aber vor allem die vieldiskutierte Frage, ob bei den Investitionen auf die vorhandenen Rohstoffgrundlagen Rücksicht genommen wurde.

Damit komme ich zum Angelpunkt Her ganzen Untersuchungen um die heutige und zukünftige Lage der Papierindustrie. Da der Anteil des Hol- es am Fertigwert bei Zellstoff 38 bis 44 Prozent, bei Papier je nach Sorte bis zu 38 Prozent ausmacht, steht und fällt unsere Industrie mit einer gesunden Entwicklung von Preis und Aufkommen des Holzes. Es wäre sinnlos, zu übersehen, daß das Holzproblem als Ganzes für Oesterreichs Volkswirtschaft von einer weit über die Papierinteressen hinausgehenden Bedeutung ist. Man muß •her bedenken, daß der Vercdlungsfaktor vom verarbeiteten Holz auf den Durchschnittswert der Erzeugnisse der Papier-Zeüstoff-Industrie mehr als drei ist, oder, anders ausgedrückt, daß z. B. gegenwärtig 100.000 Festmeter Grubenholz im Export rund 36 Millionen, die daraus zu erzeugenden zirka 22.000 Tonnen Papier aber rund 106 Millionen erbringen. Es ist klar, daß daher die Tendenz der Investitionen dahin gehen mußte, den Grundstoff mit Bindung an möglichst große Lohnanteil u veredeln.

Dem trug der Investitionsplan voll Rechnung. Im Jahre 1937 wurden — nur Fichte und Tanne — 1,890.000 Festmeter verarbeitet. Im Endausbau — 1954 — werden planmäßig nur 1,800.000 Festmeter an Fichte und Tanne, daneben aber 300.000 an Kiefer und Buche sowie 400.000 an Spreißelholz, zusammen also 2,500.000 Festmeter verarbeitet werden. Dies wird erreicht durch Erweiterung und Neubauten aut dem Sektor der Sulfat-Zellstoff- Industrie, die die Verarbeitung von Kiefer und Spreißel ermöglicht, und durch Umstellung und Ausbau einer Fabrik für Kunstseidenzellstoff auf Buchenholzbasis. Es ist dies keine Zukunftsmusik: schon 1953 wurden zirka 460.000 Festmeter dieser Sorten verarbeitet. Naturgemäß ist es ein großes Örganisätionsproblem, für wenige Fabriken dfee Holzsorten, verteilt flber ganz Oesterreich,

aufzubringen. Es wird aber gelöst werden, wenn der Spreißelexport (1953 noch zirka 95.000 Festmeter!) aufhört und wenn die Abwanderung zum Brennholz — insbesondere bei Buche — durch zweckdienliche Maßnahmen und Propaganda auf Holzsorten beschränkt wird, die nicht veredelt werden können. 1953 gingen noch 29,6 Prozent des Holzeinschlages in die Oefen!

Die Abgrenzung zwischen Papierholzinteressen und Holzexportnotwendigkeiten im allgemeinen ist sehr schwierig; die handelsvertraglichen Bindungen und der internationale Trend nach höheren Holzpreisen, der aus dem forcierten Bedarf entsteht, zusammen mit den für Oesterreich gegebenen forstwirtschaftlichen Interessen, sind nicht zu übersehen. Trotzdem muß im Grundsatz zumindest der Export von sogenanntem Rohholz im Interesse echter Veredlungsmaßnahmen scharf begrenzt werden. Auf jeden Fall sieht man, daß eine Bedarfssteigerung bei den Mangelhölzern Fichte und Tanne vermieden und in das Gebiet bisher nicht oder falsch genutzter Sorten ausgewichen wurde.

Auch innerhalb der Papier-Zellstoff-Indu- strie wurde der Weg zur höchsten Veredlungsstufe konsequent verfolgt. Die Papiererzeugung steigt von 230.000 (1937) auf 350.000 Tonnen (1955), während die Steigerung innerhalb der Zellstofferzeugung von 265.000 auf 350.000 Tonnen sich ausschließlich auf Buchen- und Sulfatzellstoff bezieht und die aus Fichte und Tanne hergestellte Sulfatzellstoffmenge gleichbleibt. Insgesamt wird gegenüber 1937 im Jahre 1955 mehr als doppelt soviel Zellstoff im Lande verarbeitet werden, während der Zellstoffexport um 25 Prozent von 1937 zurückgehen wird.

So richtig dies volkswirtschaftlich ist, wirft es doch im Inland ein ernste Problem auf. Papto-

fabriken, die über keine eigene Zellstoffbasis verfügen, sehen sich einem scharfen Rückgang im mengenmäßigen Anbot gegenüber, das bei steigenden Holzpreisen zu einer Preisentwicklung führt, die ihre Konkurrenzfähigkeit gefährdet. Ihr eigener Bedarf ist ebenfalls durch Ausbau auf das Doppelte gestiegen, so daß nach Abzug des gesteigerten Eigenbedarfes der gemischten Papier-Zellstoff-Be- triebe nur noch zwei Drittel der 1937 für ihren Bedarf plus Zellstoffexport vorhandenen Mengen zum Verkaufe stehen. Da anderseits die gemischten Betriebe für ihre angestammten Zellstoffexportmärkte viel geringere Mengen zur Verfügung haben, als zu deren Befriedigung notwendig ist, wird es zu Schwierigkeiten kommen, die nur mit Hinblick auf gemeinsame Interessen zu überwinden sein werden.

Abschließend glaube ich verständlich gemacht zu haben, welches die wichtigsten Probleme der österreichischen Papierindustrie sind. Wenn es gelingt, in einer dringend zu wünschenden engeren Zusammenarbeit mit allen am Hoiz interessierten Kreisen eine richtige und gerechte Aufteilung und Verwendung des Holzes zu erreichen und den durchschnittlichen Holzpreis für die Papiererzeugung in Einklang mit den hier umrissenen österreichischen und internationalen Gegebenheiten zu halten, wird in einiger Zeit die absolute Konkurrenzfähigkeit der Papierindustrie auf dem Weltmarkt stabilisiert sein. Dann wird auch — bei sukzessiver Aufsaugung der außerordentlichen Investitionsbelastungen und bei einer durch das Steigen des allgemeinen Lebensstandards bedingten Erhöhung der Inlandsquote — die Steigerung der Produktivität auf Basis der neuen Anlagen wirksam werden, was im Endeffekt zu einer dauernden Krisenfestigkeit dieser Industrie führen muß.

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