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Die Quadratur mit Milch

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„Geht zum Teufel mit eurer Milch; eßt euren Butterberg selber auf! Wenn sie mehr erzeugen, als wir brauchen: tut uns leid. — Einen höheren Preis wollen sie? Damit alles andere noch teurer wird, und sie noch mehr Milch erzeugen?“

Will man nicht erkennen, daß das Milchproblem unlösbar bleiben muß wie die Quadratur des Kreises —, wenn man diesem wichtigsten Erzeugnis des alpenländischen Bauern einerseits einen politisch begründeten, nicht kostendeckenden und während alle anderen Preise irgendwie dynamisch sind — adyna- mischen Preis aufdiktiert, seine Abnahme aber garantiert und sich dann wundert, daß es zu Milchschwemmen und Butterbergen kommt? Man wird so nicht weiter manipulieren dürfen, sondern sich entscheiden, entweder einen echten und dann auch dynamischen Milchpreis zu zahlen oder die Milcherzeugung planen zu müssen.

Geänderte Voraussetzungen

Wir gehen nicht mehr mit der Kanne um die Ecke zum Milchmeier. Die Milchversorgung mußte, von der durch die Kriege erzwungenen Bewirtschaftung gar nicht zu reden, gesichert und daher gelenkt werden. Die bäuerliche Landwirtschaft, vom Selbstversorger zum Produzenten für den Markt geworden, schuf auf genossenschaftlichem Wege die Voraussetzungen. Mehr und mehr Betriebe stellten sich auf die Produktion der Ware Milch für den Markt ein, sie spezialisierten sich darauf. Damit der Milchstrom in genügender Menge jederzeit fließt, war ein einigermaßen kostendeckender Preis, und da man eine Milchproduktion nicht von heute auf morgen aufziehen konnte und auch in Zukunft nicht kann, auch eine Abnahmegarantie erforderlich.

Es stiegen die Produktionskosten, und es hätte der Milchpreis dementsprechend angehoben werden müssen. Aber das „Volksnahrungsmittel“ mußte billig bleiben. Der Milchproduzent suchte den zu geringen Milchpreis durch ein Mehr an Milch auszugleichen. Das aber ließ die Abnahmegarantie problematisch werden. Jetzt hätte man auch ohne Garantie erzeugt; jetzt mußte man Milch erzeugen. Die Abnahmegaran- bie hatte ihr Gesicht gewandelt, und spielte für die milcherzeugenden bäuerlichen Landwirte jetzt etwa die Rolle jener Garantie, wie sie mit dem Slogan „Recht auf Arbeit“ seit langem zum Leitwort arbeiterlicher Sozialpolitik geworden ist.

Der Milch- und Milchproduktenkonsum mußte gesteigert und der Weg in den Export gesucht werden.

1969 1 Miloh konsumiert der Österreicher, er ißt 3,4 kg Butter und genehmigt sich 120 1 Bier im Jahr; der Schweizer trinkt nur 72 1 Bier, konsumiert dafür aber 196 1 Milch und Ißt 5,5 kg Butter. — 60 dkg Butter müßte jeder Österreicher im Jahr mehr essen, dann wäre der Butterberg weg.

Wie steht es eigentlich mit der Werbung?

Armselig geradezu nimmt sie sich aus vor ihren großen Brüdern: Margarine, Coca Cola, Alkoholika. Ist es etwa Werbung gewesen, daß man die Butter an die Pensionisten „verschenkte“? Was verschenkt man schon? War es eine Werbung, daß man Lagerware verbilligt abstieß? Oder gar, daß man nach der neuen Milchmarktordnung die Bauern und ihre Milch in „Qualität“ und „Zweitklassig“ unterscheidet, was den Konsumenten nachdenklich werden läßt: habe ich also bis jetzt Milch zweiter Güte getrunken? Hat man von einer solchen Art Werbung schon einmal bei Margarine oder Coca Cola gehört?

17 Prozent unserer Nahrung dek- ken wir nicht aus eigener Erzeugung, darunter sehr wichtige Futtermittel als Voraussetzung unserer Versorgung mit Fleisch. Wenn, was über Nacht geschehen kann, diese Importe versiegen? Einer von 10 Liter Milch wird zuviel erzeugt, gerade dieser eine Liter könnte es sein, der uns über eine Krise hinweghilft.

Ausweichen in die Mast

Drei Viertel der Milch wird von bäuerlichen Betrieben mit Mengen von 5000 bis 40.000 Litern im Jahr geliefert. Der Großbetrieb — 9 Prozent der Milch — hört mehr und mehr mit der Milcherzeugung auf. Vor allem aber die vielen Kleinstund Nebenerwerbsbetriebe —15 Prozent der Milch — sind laufend dabei, die Milcherzeugung einzustellen. Milchfabriken, wie sie da und dort entstanden, sind nur Beispiele dafür, was sich alles machen läßt. Die USA (Durchschnittsfarmgröße 130 ha, Weizenerträge von 13 Zentner pro Hektar gegenüber 29 Zentner in Österreich) müssen Milch einführen, und die Kolchosen der UdSSR haben es noch zu keiner Milchschwemme und zu keinem Butterberg gebracht.

Es ist also der bäuerliche Familienbetrieb, der sich der sehr anspruchsvollen Milchviehhaltung widmet, die mit Futtergewinnung, Fütterung, Tierhaltung, Melken und Milch 365 Tage im Jahr beansprucht, und meist überfordert; der bäuerliche Familienbetrieb, der — sofeme er aufgeschlossen, spezialisiert, rationalisiert und im Verbünde (gemeinsame Maschinenverwendung) mechanisiert wirtschaftet, genügend gesunde Nahrung nachhaltig erzeugen kann. Dabei ist diese Erzeugung nur der eine Teil seiner Leistung; denn wie der Arbeiter durch seinen Zugriff die materiellen Voraussetzungen unserer modernen Industriegesellschaft erarbeitet, so ist es wohl die Nahrung, die der bäuerliche Landwirt schafft, darüber hinaus aber er selbst und die von ihm in Jahrhunderten gestaltete und erhaltene liebenswerte Landschaft, die Agrofabriken und Kolchosen nicht zu schaffen in der Lage sind, die aber gerade die moderne Industriegesellschaft heute — ferne allem unechten Mythos um „Blut und Boden“ — bereits allseits anerkannt, dringend braucht.

Die Leistungen stiegen mächtig; waren 3000 1 Jahresdurchschnitt einer Viehherde vor wenigen Jahren noch das Ziel, so sind 4000 I heute eine selbstverständliche Forderung geworden, und 5000, wenn nicht gar 6000 1 keine Utopie mehr. Aber diese Leistung wird nicht belohnt. Durch steigende Produktions- und Lebenshaltungskosten wird die Milch schlechter und schlechter bezahlt.

Seit Jahren versucht man das Problem zu lösen, versucht vergeblich die „Quadratur“ der Milch. Man versucht es nach der, vor allem von Industriekreisen als Zeichen „gesunden marktwirtschaftlichen Denkens“ sehr gelobten novellierten Milchmarktordnung, Indem man die Quali tätsansprüche verschärft und die Mast fördert. Sicher werden Milchproduzenten auf geben; da aber die viel größere Zahl der fortschrittlichen Betriebe schon bisher selbstverständlich um Qualität bemüht war, wird sich außer dem erhöhten Krisengroschen kaum viel ändern. Das Weniger an Milch wird nicht sehr bedeutend sein und jedenfalls allzusehr dem Zufall überlassen bleiben. Bleibt der Appell zur Mast; wobei man nur bedauern kann, daß dieser Anreiz, da wir und die EWG bekanntlich Fleisch brauchen, nicht schon viel früher gegeben wurde und immer noch neue Milcherzeugungs gebiete auch in entlegensten Gegenden „erschlossen“ wurden.

Im Gegenteil: bei nach wie vor nicht kostendeckendem und jedenfalls nicht dynamischem, ja angesichts des erhöhten Krisengroschens geringerem Preis werden diese Betriebe noch und noch Milch erzeugen müssen; und es werden so und so viele, die bisher säumig waren, zur Qualität aufrücken, wenn sie keine Ausweichmöglichkeiten auf andere Produktion haben.

Nicht ohne Grund hat sich daher, zuerst langsam, durch die neue Milchmarktordnung aber nun sehr rasch in weiten Kreisen die Ansicht herumgesprochen, die Milcherzeugung zu regionalisieren, zu kontingentieren. Auch wenn Planwirtschaft und Kontingentierung — angeblich — Instrumente sozialistischer Denkweise sind, dürften sie der Grünen Front kein rotes Tuch sein. Welcher

Familienvater, und erst recht welcher Landwirt müßte nicht jahraus, jahrein planen; wo käme er sonst hin. Nur mit der Milcherzeugung bedarf es jener Planung nicht, die es selbstverständlich seit Jahrzehnten bei der Zuckerrübe und beim Weinbau gibt und die zuletzt — mit der Steuerung der Qualitätsweizenanbauflächen durch Kontrakte — ja auch beim Weizen üblich ist.

Man kontingentiere also; die westlichen Bundesländer sehen darin einen Weg, und in der Schweiz steht die Kontingentierung mit Beginn am 1. XI. 1968 in Erwägung. Man stelle fest, wer absoluter Milchbauer ist und garantiere ihm den Milchabsatz.

Sicher ist die Einführung einer Kontingentierung nicht über den Daumen zu peilen, mit dem Intelligenzaufwand unserer sonstigen Lenkungsmaßnahmen aber gewiß zu verkraften.

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