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Die Rechnung ging nicht auf

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Där so enthusiastische österreichische Delegierte ist der löwenhäuptige Wiener Buchdrucker Karl Steinhardt gewesen. Als er 1945, nach dem Einmarsch der Russen in Wien, kurze Zeit mit dem Amt des Vizebürgermeisters betraut wurde, mochte er vielleicht angenommen haben, daß seine Insistenz damals in Moskau doch kein Irrtum gewesen sei, obwohl nachher, nach 1919, alles so ganz anders gekommen war, als er es sich erhofft hatte. Steinhardt lebte allerdings lange genug, um zu der Erkenntnis zu gelangen, daß auch der Einmarsch der Roten Armee nicht zur Errichtung eines kommunistischen Regimes in Österreich geführt hatte.

Totalitäre ohne Totale

Das Schauspiel der ideologischen und politischen Aufspaltung des Kommunismus, das wir heute miterleben, ist nichts anderes als die für die meisten Akteure peinvolle, weil zumeist immer noch unbewußte Korrektur jenes großen historischen Irrtums. Zu dieser Korrektur kam es nicht etwa, weil der Kommunismus eingesehen hätte, daß die Entwicklung in der westlichen Welt andere Wege gegangen ist, als er angestrebt hatte. Die Korrektur wurde und wird bewirkt durch die innere Entwicklung in den Ländern, in denen die Kommunisten die Macht erlangt haben. Entsprechend der Verschiedenheit der natürlichen Voraussetzungen dieser Länder gingen nach der Konsolidierung der kommunistischen Regime deren respektive innen- und außenpolitische Erfordernisse immer weiter auseinander, so daß die führende Macht, die Sowjetunion selbst, den Anspruch auf difc Geschlossenheit des Kommunismus aufzugeben gezwungen war. Vom chinesischen Kommunismus, der am wenigsten gefestigten kommunistischen Macht, kommt denn auch der heftigste Widerstand gegen das Aufgeben des gemeinsamen revolutionären Vorgehens des Weltkommunismus. Für jene kommunistischen Parteien aber, welche die Erringung der Macht versäumt haben, ist eine höchst peinliche Situation entstanden. Sie sind nun gewissermaßen eingeklemmt zwischen den verschiedenartigen Vorgehen und eigenständigen Auslegungen der kommunistischen Regierungen, den Trümmern der alten kommunistischen Vorstellungen und Traditionen und zusätzlich der sich nun für sie vollends und überdeutlich manifestierenden Realität der Entwicklung im eigenen „kapitalistischen“ Land. Dieser Realität und ihren sozialen Gegebenheiten konnten sie sich vordem als Agenten des revolutionären Weltkonzentrums entziehen. Können sie es weiterhin? Es geht, das merkt man deutlich, immer schwerer.

Nichtkommunistische Beobachter und Publizisten jubeln schon und sprechen — bei uns — von der Aufspaltung der KPÖ in so und so viele Gruppierungen — in eine stalinistisch-chine- sisch-revolutionäre, eine chruschtscho- wistisch-russisch-zentristische, eine titoistisch-österreichischnationale. Ein prominenter Sozialist hat in einer der ietzten Nummern der „Zukunft“ eine Bemerkung gemacht, die leicht als „staatspolitisches Unbedenklichkeitszeugnis“ für die KPÖ gewertet werden konnte und auch wurde. Das dürfte wohl nicht den Intentionen des Schreibers entsprochen haben, der doch kritisch genug ist, um zu wissen, daß solche Erwartungen zumindest verfrüht sind. Zunächst geht die Spaltung viel mehr durch das Herz eines jeden Parteimitglieds als durch die Organisation. Die Verwirrung und Depression, in der sich die gesamte Mitgliederschaft befindet, ist unvorstellbar; die Auswirkungen entziehen sich der Kenntnis der Umwelt nur infolge der Isoliertheit, in welcher sich der durchschnittliche Kommunist in Österreich befindet.

Staatserhaltend m. b. H. Was aber die Spaltung und das Aufgeben der bisherigen Agentenrolle und die Qualifikation für eine staatserhaltende Rolle in Österreich betrifft, so verkennen die Optimisten die Schwierigkeit der Entstehung von Selbständigkeit in einer Partei, die ihre besten Funktionäre jahrzehntelang zum von der Spitzengruppe ordinierten Denken erzogen hat. Hierzu kommt, daß in der KPÖ jene Gruppe vorherrscht, welche den durch die permanent zurückgehende Mitgliederschaft (letzte Schätzung: rund 45.000) schon lange nicht mehr aufbringbaren finanziellen Aufwand von ungefähr zwölf Millionen Schilling im Jahr organisatorisch und politisch sichert. Das geschieht vor allem durch rund dreihundert der KPÖ tributpflichtige Firmen, welche durch die Partei für die Durchführung der Osthandelsgeschäfte legitimiert sind. Die Hälfte des österreichischen Kohlengroßhandels ist in der Hand solcher Firmen. Hiermit ist aber die ausschlaggebende Gruppe in der KPÖ jene, welche auf die Gunst der „haves", der wohlhabendsten unter den kommunistischen Ländern, und das sind die Sowjetunion und die von ihr kontrollierten Länder, am wenigsten zu verzichten bereit ist.

Es hieße jedoch in die von Kommunisten so gerne geübte kriminalistische Geschichtsauffassung zu verfallen, wenn man die Motive und die ganze heutige Lage in der KPÖ auf Schilling und Groschen subsumierte. Gewiß darf man nicht an den erstaunlichen Manifestationen der Auswirkung der neuen Situation auf kommunistische Kreise vorübergehen.

Legitimierter Kafka

In einer eigenst einberufenen Konferenz rebellierten unlängst österreichische kommunistische Künstler und Intellektuelle gegen die Chruschtschow- schen Ordinanzen über Kunst und Literatur. Die Mehrheit der Teilnehmer lehnte die Bevormundung der Kunst durch die Partei, zum Teil in so scharfen Ausdrücken wie den folgenden, ab: „Chruschtschows fragwürdige Werturteile“ und sein „unterdurchschnittliches Verständnis“ für Kunst. Andere verurteilten, daß sowjetische Künstler und Dichter weiterhin demütig Abbitte für eigenes Denken leisten müßten. Ein Teilnehmer griff sogar die von allen kommunistischen Parteien noch aufrechterhaltene Verneinung ideologischer Koexistenz mit dem naheliegenden Hinweis auf die Einheit und das Zustandekommen aller Kultur durch einander durchdringende Einflüsse verschiedener politischer Systeme an. Auf einer speziell in der Tschechoslowakei einberufenen Konferenz „entdeckten“ kommunistische Schriftsteller und Kritiker den Dichter Kafka. Kommunistische Nationalökonomen erkennen neuerdings das Vorhandensein struktureller Veränderungen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbau der Westländer an. Man erinnert sich, wie nicht nur die sowjetischen Parteiführer, sondern auch der österreichische Parteitheore- tikeT Marek deshalb den Nestor der sowjetischen Ökonomen, Eugen Varga, wegen der gleichen Feststellungen im Jahre 1947 des „Absinkens in den Sozialdemokratismus“ bezichtigt hat. Heute organisiert er Konferenzen, wie die geschilderte, nicht zuletzt, um das Abströmen der Intellektuellen von der Partei aufzuhalten, sicherlich aber auch selber unter dem Einfluß der neuen Lage im Kommunismus.

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