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Die registrierte „Fackel“

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Die Frage, die Sigismund v. Radecki seinerzeit in der „Furche“ stellte, wo das von Professor Jaray angelegte Register zur „Fackel“ geblieben sei, kann nun aufgeklärt werden.

Aus historischen Gründen wollen wir jedoch vorher Ludwig Ullmanns Register erwähnen, das als Anhang zur 300. Nummer der „F a c k e 1“ am 9. April 1910 erschien. (Später brach Karl Kraus mit Ullmann; vgl. z. B. „Unwirsch“ in „Fackel“ 852, 90, Mitte Mai 1931, wo von Ull- mapns Register die Rede ist. — Er lebt jetzt in New York.) Dieses enthält die Namen der Mitarbeiter der ersten elf Jahrgänge der „Fackel" und die Titel ihrer Beiträge. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alles „allzu Wertlose" ist von vornherein ausgeschieden. Vor allem verzeichnet es nicht Karl Kraus’ eigene Beiträge. Dies wäre, die ersten hundertundvier- undfünfzig Nummern betreffend, auch besonders schwierig gewesen, denn viele Arbeiten waren chiffriert, und auch viele der nicht Unterzeichneten Artikel stammten nicht von Karl Kraus: „IM vielen Fällen nahm er auch, einer guten Sache mehr als dem Gebote künstlerischen Egoismus folgend, eine stilistische Ueber- arbeitung fremden Materials, oft fremder, bereits fertiger Arbeiten vor. Vieles, was die Oeffentlichkeit so dem Herausgeber zuschrieb und zuschreibt, kann er als sein Werk nicht anerkennen. Aber auch sein eigenes lehnt er ab wie das fremde Gut fener fahre und bekennt sich nur zu dem, was er, da er es als Fleisch von seinem Fleische erkannt hat, in seine Bücher einschließen wird. Rein äußerlich betrachtet können von 4534 Seiten jener Hefte mehr als die Hälfte für Arbeiten des Herausgebers in Anspruch genommen werden.“ (Ullmann, Einleitung zum Register.)

Von Nr. 155 an (24. Februar 1904) hört „jede ständige Mitarbeit und jedes Verwerten fremden Materials zu eigenen Arbeiten" auf. Von Nummer 2323 (16. Oktober ĮĮ907) zeichnet Karl %?U5 enigirfl,

Ausnahmen waren alle Beiträge und Ueber- setzungen jener ersten dreihundert Nummern Originalbeiträge und erste Uebersetzungen. Unter den Mitarbeitern befanden sich Altenberg, Dehmel, Else Lasker-Schueler, Liliencron, Heinrich Mann, Strindberg, Trakl, Wedekind, Oscar Wilde, H. St. Chamberlain. Liebknecht und viele andere. Dieses Register ist jedoch heute nur noch von historischem Wert.

Professor Karl Jarays völlig neu angelegter Index ist dagegen für den ernsten Leser der „Fackel", d. h. für den, der Mittel- und Westeuropa im ersten Drittel unseres Jahrhunderts studieren will, ein unentbehrlicher Behelf. Die Arbeit daran muß sich über viele Jahre erstreckt haben, denn, in Beantwortung einer Anfrage, teilt der Verlag der „Fackel“ im Jahr 1930 einem Leser mit: „Wir besitzen keinerlei Generalregister — ein solches wird eben erst von Freunden der .Fackel’ ausgearbeitet. . “ („Fackel“ 838/44, 14; September 1930.) Daß Professor Jaray einer jener „Freunde" war, ist, da er der Autor des nun vorliegenden Werkes ist, nicht zu bezweifeln. Er arbeitete bis zum Sommer 1937 daran. Wahrscheinlich war auch Dr. Oskar Samek, Karl Kraus’ enger Freund und Rechtsanwalt, damals um das Zustandekommen bemüht (siehe unten); ob noch andere, ist unsicher. Wie dem auch sei, das Werk ist nun der Oeffentlichkeit zugänglich. Dies aufzuzeigen, ist die Absicht dieses Artikels.

Das Register besteht in seiner Originalform aus mehr als 7500 Karten, die sich mit den Nummern 1 bis 872 (April 1899 bis Anfang März 1932) beschäftigen. Diese Nummern umfassen etwa zwanzigtausend Seiten. Die restlichen Nummern (873 bis 922, Mitte April 1932 bis Februar 1936), im Gesamtumfang von etwa tausend Seiten, sind bisher noch nicht registriert1. Die Kartei wurde von Professor Jaray angelegt, um künftigen Forschern zu helfen, beliebige Stellen in der „Fackel“ zu finden. Da viele Artikel, Glossen und Verse dort entweder ohne Ueberschrift erschienen oder ihre Ueber- schrift den Inhalt nicht immer repräsentiert (zum Beispiel wenn sie aus Gründen eines Wortspiels gewählt wurde), entschloß sich Professor Jaray, neben Titeln und Eigennamen auch Worte der Gedankenverbindung als Stichworte des Registers heranzuziehen. Er fertigte die Kartei in d u p 1 i c o an, doch konnte nur eine Kartei gefunden werden. Diese wurde von den Erben bis auf weiteres Dr. Samek in New York geliehen.

Außer diesem Duplikat des Originals existieren noch die folgenden zwei Fassungen:

(1) Die Umarbeitung des Jaray-Registers durch Dr. Oskar Samek. Sie besteht aus 408 Seiten Großformat Maschinenschrift, ist in einem Band geheftet und bedient sich größtenteils der 7500 Stichworte aus Jarays Index. In einem kurzen Vorwort schreibt Dr. Samek, daß, als ihm Professor Jarays Kartei zugeschickt wurde

„ ... hofften wir alle, es werde mir nicht allzu viel Arbeit geben, das Register zu vollenden und ein druckreifes Manuskript herzustellen Dazu sollte diese Abschrift dienen. Da aber die Fertigstellung mehr Arbeit erfordern wird, als ich in absehbarer Zeit zu leisten imstande sein werde, sende ich heute eine Kopie der Abschrift an die Familie des Herrn Professor Jaray und werde später auch die Originalkarten senden, da ich der Meinung bin, eine jüngere Kraft habe bessere Aussicht, die Arbeit zu vollenden. Ich werde aber auch selbst daran Weiterarbeiten.“

New York, Gezeichnet:

17. Jänner 1956 Dr. Oskar Samek

Unsere Dankesschuld an Dr. Samek für diesen handlichen und leicht benützbaren Band ist groß, denn diese in seiner Freizeit zusammengestellte Durcharbeitung stellt für einen Mann etwa in dem Alter, in dem Karl Kraus heute wäre, eine großartige Leistung dar.

(2) Mikrofilme der genannten 7500 Karten, mit sechzehn Karten Ergänzungen zu diesen, bestehend aus nachträglich aufgefundenem Material. Dieser Nachtrag registriert Karl Kraus’ Beschäftigung mit Hitler, Nationalsozialismus, Deutschland.

Der aus drei Spulen bestehende Original- Mikrofilm befindet sich im Karl-Kraus-Archiv der Wiener Stadtbibliothek (die Herstellung wurde vom Magistrat finanziert). Alle Rechte sind, jedoch , in den, Händen ..'des' Besitzers;, des Registers. Kopien dieses Mikrofilms sind vom „British Museum“, Abteilung für gedruckte Bücher, und von der Bibliothek der Pariser Universität (Sorbonne) angekauft worden. Dieser Film kann mit Hilfe eines Betrachtungsgerätes der in Bibliotheken üblichen Ausführung gelesen werden Es wurde je eine Karte per Rahmen aufgenommen, so daß das ganze Register auf drei kleinen 16-mm-Spulen untergebracht ist. Weitere Kopien sind in den Händen von Freunden von Karl Kraus und von Forschern. Es besteht jedoch die Möglichkeit. weitere Kopien hersteilen zu lassen, sei es für Bibliotheken oder zu privaten Forschungszwecken. (Es versteht sich, daß das Register mir im Zusammenhang mit einer vorliegenden Gesamtausgabe der „Fackel“ oder zumindest größerer Teile derselben von Nutzen sein kann.) Das „British Museum“ hat neulich eine Gesamtausgabe erworben. In den USA gibt es zumindest zwei komplette Exemplare: eines in der Bibliothek der North Western University, Evanston, Illinois, ein anderes in Privatbesitz in New York; ein anderes komplettes Exemplar befindet sich in der Bibliothek von Herrn Emil Stein, Kfar Schmarjahu, Israel, ein weiteres besitzt M. Maximilien Rubel, Charge de Recherches au Centre National de la Recherche Scientifique, Paris. Anfragen wären an das,.,Karl-Krais]-plIiy d,er „ieper Stadtbibliothek;! Wien Ij Neues Rathaus, zu richten — An Hand des Registers lassen sich gewisse Strömungen im Werke Karl Kraus’ verfolgen. Daß die „Fackel“ jedoch mehr bedeutet als die Summe ihrer Teile, bedarf der Betonung nicht.

Auch die Frage nach dem einzigen Film, den Karl Kraus je aufnehmen ließ, kann jetzt beantwortet werden. Dieser stammt aus dem Jahre 1934. Professor Jaray und andere Freunde baten Karl Kraus, entweder bei einer Feier zu seinem sechzigsten Geburtstag persönlich zu erscheinen oder einer Filmaufnahme zuzustimmen. Karl Kraus wählte diese als das kleinere Uebel. Er selbst stand dem Resultat zumindest nicht ablehnend gegenüber. Der Film befindet sich, wohl-

betreut und in Sicherheit, bei den Erben von Professor Jaray in Buenos Aires. Es handelt sich um einen 32-mm-Film, der in drei Blechbüchsen von je 107/8 Zoll Durchmesser verwahrt ist. Unter anderem liest Karl Kraus darin (wahrscheinlich) „Das Ehrenkreuz", jene sich in Antithesen überstürzende und leuchtende Anklage gegen eine als verbrecherisch und lächerlich entlarvte Sexualjustiz („Fackel" 272, 2; 15. Februar 1909; auf genommen in „Die Chinesische Mauer“); das Gedicht „Die Raben“ aus dem Epilog zu „Die letzten Tage der Menschheit und das Gedicht „Todesfurcht“ (aufgenommen in „W orte in Versen“, VI).

% J?ffihtnJ4ie MöglicfjJceij: ja fä, Wunsch, diesen Film.-der jüngeren Generationen eine Ahnung von Karl Kraus’ großer rezi- tatorischer Begabung vermitteln würde, einem interessierten Publikum zu überlassen. Professor Jarays Erben erwägen es, diesen Film und einiges Originalmaterial, das sich in ihrem Besitz befindet, einem geplanten Karl-Kraus-Museum in Karl Kraus’ ehemaliger Wohnung zur Verfügung zu stellen, wenn dieses eingerichtet ist. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, den Ton des Films auf ein oder zwei Langspielplatten zu übertragen. Welche Grammophongesellschaft wird wohl diese historische Aufgabe übernehmen?

Eine weitere Frage Sigismund v. Radeckis gilt den Karl-Kraus-Schallplatten. Die Aufnahmen des deutschen Rundfunks dürften wohl verloren sein. (Vgl. Sternbach-Gärnter, „Kleiner Beitrag zur Kraus-Forschung“, „Deutsche Rundschau“, Dezember 1957.) Doch existieren eine Reihe anderer. — Im Jahre 1909 machte sich Karl Kraus über die Verewigung der Stimmen gewisser „Persönlichkeiten“ lustig. Der Plan von Freunden, anläßlich des Erscheinens der 400. Nummer der „Fackel", ein „phono- graphisches Archiv“ zu schaffen, wurde durch den Ausbruch des ersten Weltkriegs vereitelt. Er wurde jedoch zehn Jahre später von zwei Verehrern von Karl Kraus wieder aufgenommen, kam jedoch erst etwa zwei Jahre später zur Ausführung2. Damals entstanden Schallplatten von „Ehrenkreuz“, „Die Raben“, „Todesfurcht", „Bunte Begebenheiten“, „Schoberlied“, „Das Lied von der Presse“, „Jugend" und vielleicht andere. Manche von diesen, so wie auch unveröffentlichte Photographien, sind vorhanden. Oskar Kokoschkas Porträt, in Schweizer Privatbesitz, wurde in der Ausstellung von Kokoschkas Werken im Jahre 1958 in Wien gezeigt.

Last but not least möchte ich Herrn Ingenieur R. J. Jaray, London, einem Sohn Professor Jarays, für seine Information und für seinen Rat danken.

1 Dr. Lotte Sternbach-Gärtner, Paris, ist, im Zusammenhang mit ihrer Karl-Kraus-Forschung, damit beschäftigt, ein Gesamtregister der „Fackel" anzulegen. Gegenwärtig ist ihr Index der ersten zwanzig Jahrgänge fertiggestellt.

5 Siehe „Fackel“ 279/80, 13. Mai 1909, S. 34 ff.; Nr. 404, 5. Dezember 1914, S 20; Nr. 649 bis 656, Juni 1924, S. 70.

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