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Die Revolution und ihre Kinder

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Am 31. Juli 1955 hielt Maotsetung eine großangelegte Rede vor den in Peking versammelten regionalen Parteivorstehern. Darin setzte ich der Diktator der chinesischen Volksrepublik für eine beschleunigte Kollektivierung der Landwirtschaft ein. Die Vorbereitung dazu bilden die Produktionsgemeinschaften, in denen die gesamte Landwirtschaft bis 1960 zusammengeschlossen sein muß. Die nötige Mechanisierung werde aber dann noch, so sagte er frei heraus, 20 bis 25 Jahre beanspruchen.

Auch hohe Funktionäre der Partei hatten vor einer zu schnell vorwärtsgetriebenen Kollektivwirtschaft gewarnt. Diese kritischen Stimmen gaben nur die Erfahrungen wieder, welche die untergeordneten Organe mit den seit einigen Jahren den Bauern aufgezwungenen Produktionsgemeinschaften gemacht hatten. Immer wieder erwiesen sich die Genossenschaften (die Bauern mußten in immer mehr sich steigernder Anzahl ihre Höfe gemeinsam bewirtschaften) als unrentabel und fielen auseinander.

Die „Nan-Fang“-Tageszeitung (eine kommunistische Zeitung des Südens) berichtet zum Beispiel den Ausspruch eines Funktionärs: „Die Vergenossenschaftung der Landwirtschaft ist ein Projekt, das Verderben und Zerstörung bringt. Wir haben kein RecKt. es den Bauern aufzuzwingen.“ Viele Funktionäre, die man massenhaft aufs Land geschickt hatte, um die Pläne der Partei durchzuführen, mußten vor den unüberwindlichen Schwierigkeiten kapitulieren. Doch Mao kennt kein Zurück. Er kritisiert scharf ihre „Schneckengesinnung“. Er nennt sie „Weiber mit gebundenen Füßen, die sich stets beklagen, daß andere zu schnell gehen“.

Schlimm für die Tatsachen, die mit den Theorien nicht übereinstimmen. Für Mao wird alle Not überwunden sein, wenn einmal der sozialistische Staat zusammengeschweißt ist. Sozialisierung der Landwirtschaft ist die Voraussetzung für den Aufbau der Industrie, heißt die These des Diktators. Was kümmert es ihn, wenn der Bauer am Verzweifeln ist, wenn allenthalben eine Lebensmittelknappheit herrscht, wie man sie so allgemein früher kaum in den Hungerjahren gekannt hat?

Selbst die „Ta Kung Po“, eine kommunistische Zeitung von Tientsin, schrieb am 25. September 195 5: „Die Versorgung mit Waren für die Landbevölkerung ist sehr schlecht. Es ist den Leuten unmöglich, so gewöhnliche Artikel wie Handtücher und Socken zu kaufen.“ Am 16. Oktober stellt die Zeitung noch einmal (est, die Versorgung sei um nichts besser geworden. Schon seit einigen Jahren wird der freie Handel auf dem Land immer mehr gedrosselt. Der Bauer muß seine Erzeugnisse an den Staat verkaufen. Für ihn selbst bleibt kaum noch genug, um notdürftig seinen Hunger zu stillen. Um seinen sonstigen Bedarf zu decken, muß er zuerst lange bei den Büros katzbuckeln, die die Verteilung organisieren, dann oft meilenweit zu den Genossenschaftsläden laufen, um schließlich festzustellen, daß sie nicht das haben, was er braucht. Oft müssen die Leute in langen Schlangen warten, um nur einige Dekagramm Speiseöl zu erstehen.

Doch mit der Verstaatlichung der Landwirtschaft ist Mao noch nicht zufrieden. Auch die Privatunternehmungen — Handel, Gewerbe und Industrie —, soweit sie bis jetzt sich noch halten konnten, wurden im Jänner dieses Jahres in einer höchst forcierten Aktion sozialisiert. Am 15. Jänner fand in Peking vor dem Tien an men (Tor des himmlischen Friedens) im Beisein einer zweihunderttausendköpfigen Menge eine „Freudenkundgebung“ statt. Vertreter des gesamten Privatunternehmertums der Stadt machten in einem feierlichen Akt ihre Unternehmungen Mao zum Geschenk. Diese großaufgezogene Komödie war nur das Finale zu der in den vorhergegangenen Wochen stattgehabten Enteignung. Diese Blitzaktion gegen den privaten Sektor der Wirtschaft nennt man „friedliche Umgestaltung“, wohl weil man die alten Eigentümer nicht (wie früher die Bauern) umgebracht hat - wofür sie sicher von Herzen dankbar sind; man braucht sie nämlich als technische und kaufmännische Gehilfen und Lehrer, bis die eigenen Leute fähig sind, unabhängig zu wirtschaften. Dabei zählt auch der kleinste unabhängige Mann als Kapitalist. Auch in anderen Städten wurden diese Blitzaktionen durchgeführt.

Die Altbesitzer können sich aber von ihrem alten Geschäft oder Betrieb nicht einfach zurückziehen. Sie werden ermahnt, „unter der Führerschaft ihres neuen Partners (des allmächtigen, unbarmherzigen Staates) sich politische Kenntnisse zu erwerben, ihre aktive Mitwirkunng zu vermehren und den staatlichen Partnern und Angestellten zu helfen bei ihren Anstrengungen zur Reform des Unternehmens, zur Steigerung der Leistung und zur Verminderung der Unkosten“. Sie sind jetzt „unterzeichnete“ Untergebene im eigenen Geschäft oder Betrieb.

Bei der Jänneraktion forderte man übrigens die alten Eigentümer auf, auch ihren übrigen Privatbesitz (Häuser, Privatkapital) bei den neuen Verwaltungsorganen zu investieren. Und auch das ist noch nicht genug. Es wurde ihnen erklärt: „Die soziale Umgestaltung ist nicht auf das Unternehmen allein beschränkt. Auch die menschliche Person muß umgeformt werden. Aus einem selbstsüchtigen Ausbeuter muß ein hilfsbereiter Arbeiter werden.“ Alles für den Staat. Ein fortschrittlicher Student berichtet in der Zeitung, wie er seine Eltern daheim bearbeitet, sich des alten Komforts zu begeben. Kleiderwaschen, Fegen muß jeder selbst besorgen, nicht sich von anderen bedienen lassen.

Am 12. Jänner rief die Fraucnlig'a die „fortschrittlichen Frauen“ zu einer Versammlung. Sie wurden ermuntert und unterrichtet, ihre Männer zu ermahnen, sich in das Unvermeidliche zu fügen und sich der angestrebten neuen Lebensweise anzupassen.

Aber wird das Volk sich fügen? Wird es diese Gewaltmaßnahmen, die für viele Teile der Bevölkerung größte Härten mit sich bringen, ruhig hinnehmen? Mao hat auch daran gedacht. Seine Polizeikader sind geschult. Sie haben höchste Alarmbereitschaft. Jede Regung des Widerstandes, sei es bei den Enteigneten, sei es bei den Beamten, sei es in der eigenen Partei selbst, muß mit unnachgiebiger Härte geahndet werden. Bereits wurden hohe Funktionäre der Partei, wie Kao Kang, die anderer Meinung waren als Mao, liquidiert.

Heute will man zwar mit den Neuentrechteten nicht so radikal verfahren wie im Jahre 1951, zur Zeit der Bodenreform, wo man die armen Opfer einfach zu Hekatomben erschossen hat. Aber man scheut vor Massenverhaftungen und Todesurteilen keineswegs zurück. Wie einem Bericht der nationalen Nachrichtenagentur zu entnehmen ist, wurden im Jahre 1955 monatlich durchschnittlich 20.000 Verhaftungen vorgenommen. 300.000 Intellektuelle habe man in dieser Zeit ins Gefängnis gesteckt. In einer Kundgebung der Regierung vom Jahre 195 5 heißt es: „In einem so großen Land wie dem unsrigen mit seinen 600 Millionen Einwohnern zählen die Gegenrevolutionäre nicht nur zu Hunderten und Tausenden... Im Jahre 1954 allein wurden 619 Spionagefälle aufgedeckt.“ Wie immer ist Mao mit seiner Polizei nur zufrieden, wenn sie ihm möglichst viele Opfer präsentiert. Wie Schuld und Unschuld vor kommunistischen Gerichten festgestellt werden, davon können die Bedauernswerten ein Lied singen, die damit Bekanntschaft machen mußten.

In der oben zitierten Kundgebung heißt es: „Wir müssen zugeben, daß bei der Säuberungskampagne im Jahre 1951, die hauptsächlich gegen die offenen und erklärten Feinde der Revolution gerichtet war, die verborgenen und getarnten Gegenrevolutionäre in großer Anzahl weder aufgespürt noch unterdrückt worden sind.“ Heute aber geht es „um die totale und endgültige Ausmerzung aller gegenrevolutionären Elemente und vorzüglich gegen jene, die in die Partei, ja sogar bis in ihre leitenden Organe, die Armee, die Dienststellen der Regierung, der öffentlichen Sicherheit, die Organisationen des Volkes, die demokratischen Parteien, die Schulen, die Fabriken, Bergwerke, die staatlichen Unternehmungen usw. sich eingeschlichen oder sie zu infiltrieren versucht haben... um den sozialen Aufbau zu sabotieren und die Volksregierung zu stürzen“.

Mit einem Wort, niemand ist vor Verdacht und Verfolgung sicher und jedermann kann für das Versagen der Parteipläne verantwortlich gemacht werden. Und jeder, der seine Ueberzeu-gung und seinen Glauben nicht der Partei zum Opfer bringen will, der kein Verräter werden will an seinem Gewissen, ist ein Gegerirevolu-tionär. So ist es kein Wunder, wenn gerade die treuen Katholiken von dieser Terrorwelle betroffen wurden, wenn man Bischöfe, Priester und Gläubige zu Tausenden in die Gefängnisse geschleppt hat. Es ist ja die ausgesprochene Absicht der kommunistischen Partei, in solche Säuberungsaktionen auch immer die Kirche hin-einzubeziehen, um so ihren Einfluß immer mehr zurückzudrängen und schließlich ganz auszumerzen.

Der Kommunismus verlangt Verrat an der eigenen Ueberzeugung, am Glauben. Aber auch die, welche ihre ganze Persönlichkeit ihm zum Opfer gebracht haben, sind vor seinem Drachenmaul nicht sicher. Früher oder später frißt er seine eigenen Kinder.

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