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Die Schüsse von Schattendorf

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Vor 70Jahren entzündete sich an einer Rauferei in einem burgen-ländischen Dorf das erste Aufflammen des Bürgerkriegs in der 1. Republik.

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Vor 70Jahren entzündete sich an einer Rauferei in einem burgen-ländischen Dorf das erste Aufflammen des Bürgerkriegs in der 1. Republik.

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Schattendorf.- ein Nest im Burgenland, unmittelbar an der ungarischen Grenze, halbwegs zwischen Mat-tersburg und Ödenburg (Sopron). Ein Name, von den Nachkommen vergessen, doch untrennbar verbunden mit dem ersten Höhepunkt der blutigen Auseinandersetzungen zwischen der Linken und der Rechten in der Ersten Republik Österreich. Schattendorf - ein Mahnmal für die Gefahr, daß aus kleinsten, banalen Anlässen schwerste Folgen erwachsen können.

Seit aus den westlichen Komitaten Ungarns das österreichische Rurgenland geworden war, waren erst fünf Jahre vergangen. Wenig, um sich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen, nach Jahrhunderten der ungarischen Dominanz.

Später als im übrigen Österreich formierten sich hier paramilitärische Verbände der Linken wie der Rechten, die mit lautstarken Aufmärschen ihrer jeweiligen Ideologie zum Durchbruch verhelfen wollten, der sozialdemokratische Schutzbund 1924, die monarchistische „Frontkämpfervereinigung“ 1926. Die I leimwehr konnte im Burgenland nie so recht Fuß fassen.

Der Schutzbund fand seine Anhänger bei den Kleinbauern, die den Sozialdemokraten eher zutrauten, eine Bodenreform auf Kosten des Großgrundbesitzes durchzuziehen, dann bei den assimilierungswilligen Kroaten wie bei den aus ungarischer Zeit starken Reformierten, die der „Prälatenregierung“ Seipel in Wien skeptisch gegenüberstanden.

Bei den Frontkämpfern sammelten sich jene, die während des vergangenen Kriegs in der ungarischen Armee gedient hatten, gegen die Abtrennung von Ungarn aufgetreten waren und für die Rückkehr König Karls eintraten. Reide Gruppen standen einander spinnefeind gegenüber - sie hielten sich aber in Schattendorf wie in vielen anderen Orten an die Abmachung, daß nie gleichzeitig aufmarschiert werden sollte.

Bis zum 30. Jänner 1927. An diesem Tag wäre die Frontkämpfervereinigung an der Beihe gewesen, sie hatte ihren Aufmarsch angemeldet. (Heinrich Drimmel, Unterrichtsminister von 1954 bis 1964, schildert in seinem Buch „Vom Umsturz zum Bürgerkrieg“ die Ereignisse im Detail).

Bei all diesen Aufmärschen war es üblich, Genossen oder Kameraden aus benachbarten Orten einzuladen. Die Veranstaltungen der rechten Wehrverbände gipfelten meist in einer Totengedenkfeier — und die stieg den Linken in die Nase: Traditionspflege hieß für sie Wiedererweckung des Militarismus.

Als zum Treffen der Frontkämpfer in Schattendorf eine Delegation aus Loipersdorf angesagt und sogar als Ehrengast aus Wien Oberst Hermann Hiltl von den monarchistischen Frontkämpfern erwartet wurde, fühlten sich die Schattendorfer Schutzbündler überfahren und nicht mehr an das Abkommen gebunden.

Man beschloß, den unerwünschten Zuzug der Gegner zu unterbinden und selbst aufzumarschieren - ohne die Veranstaltung anzumelden. Zur Verstärkung wurden Genossen aus Klingenbach, Baumgarten und Draß-burg angefordert.

In Schattendorf gab es zwei Wirtshäuser - Stammlokal der Linken das eine, der Rechten das andere. Im Gasthof Tscharmann versammelten sich die Frontkämpfer, um am Bahnhof ihre Kameraden zu empfangen. Auf der Straße aber erwarteten sie 200 Schutzbündler, worauf sich eine allgemeine Rauferei unter Verwendung der Koppelriemen entwickelte. Nichts besonderes für die zwei Gendarmen, die darin noch keinen Anlaß zum Eingreifen sahen.

Die Schutzbündler, die eigentlich ihr Ziel erreicht hatten - Hiltl kam ohnehin nicht, die wenigen Kameraden aus Wien waren verprügelt worden - waren aber jetzt erst in Stimmung gekommen. Drimmel zitiert aus den Polizeiakten die Parolen, die gebrüllt wurden, als man „siegreich“ in den Ort zurückzog: „Nieder mit den Frontkämpfern! Nieder mit den christlichen Hunden! Nieder mit den monarchistischen Mordbuben!“

Ein Dutzend Frontkämpfer suchte im Gasthaus Tscharmann Schutz, etwa doppelt so viele Schutzbündler drängten nach. Drei junge Burschen, die beiden Söhne des Wirtes, Josef und Hieronymus Tscharmann, und der Müllergeselle Johann Pinter, stürzten in Panik in das Obergeschoß, von wo sie Blick auf die Straße und die sich dort tummelnden „Feinde“ hatten, und begannen, wie wild aus Schrotflinten herumzuschießen.

Ungezielt - aber getroffen wurden der in der Toreinfahrt stehende kriegsinvalide Schutzbündler Matthias Csmarits und ein völlig unbeteiligtes Kind, der achtjährige Josef Grössing. Beide waren sofort tot...

Die Toten von Schattendorf waren nicht die einzigen in den Auseinandersetzungen der Parteiarmeen der Ersten Republik. Aber die Stimmung war im Winter 1926/27 schon so angeheizt, daß die Wogen der Erregung hochschlugen. Sie wurden noch dadurch verstärkt, daß die „Neue Freie Presse“ von „Gewehrkugeln“ schrieb und damit den Eindruck erweckte, es wäre gezielt geschossen worden..

Der sozialistische Publizist Otto Leichter schilderte noch 1964 die Reaktion der Linken aus seiner Sicht: „... immer wieder hatten die Faschisten Arbeiter, Verteidiger der Republik und Demokratie, abgeknallt. Die Schüsse von Schattendorf bedeuteten darum eine plötzliche Zuspitzung der politischen Situation, die durch die UnerbittRchkeit, mit der sich die Klassenfronten gegenüberstanden, ohnedies gespannt genug war.

Sonntag nachmittag waren die Schüsse von Schattendorf gefallen, Montag früh stellten die Arbeiter vieler Großbetriebe die Arbeit ein. In Floridsdorf ... kam es zu spontanen Demonstrationen ... Zwei Tage später, als auf dem kleinen Dorffriedhof von Schattendorf die Opfer des Faschismus bestattet wurden, ruhte in ganz Österreich eine Viertelstunde lang die Arbeit.“ Generalstreik! Leichter: „Über ganz Österreich war das dumpfe Gefühl verbreitet: das nächste Mal.“

Am 24. April 1927 wurde der Nationalrat neugewählt. Drimmel: „In dem wilden Durcheinander der Wahl Werbung ging das Geschehen im Rurgenland in Serien von Propagandaexzessen unter, in denen sich beide Seiten zu übertreffen suchten.“

Die Geschehnisse von Schattendorf wurden wieder lebendig, als am 5. Juli der Prozeß gegen die drei Angeklagten begann. Leichter bezeichnet sie als „die Mörder von Schattendorf“: „In den reaktionären Zeitungen setzte eine hemmungslose Stimmungsmache gegen den Schutzbund und für die Faschisten ein.“ Die „Arbeiterzeitung“ stand ihren bürgerlichen Konkurrenten in nichts nach.

Leichter weiter: „Die Hetze tat ihre Wirkung. Mit neun gegen drei Stimmen sprachen die Geschworenen die Angeklagten von jeder Schuld frei - nicht einmal der fahrlässigen Tötung wurden sie schuldig erkannt! Unter dem Jubelgeheul der Frontkämpfer wurden die drei Faschisten noch am Abend des 14. Juli auf freien Fuß gesetzt“, soweit Leichter.

Die Anklage lautete auf öffentliche Gewalttätigkeit durch boshafte Handlungen unter besonders gefährlichen Verhältnissen. Zwölf Geschworehe, eine Frau und elf Männer aus bäuerlichem und Arbeitermilieu, sollten über „schuldig oder nichtschuldig“ entscheiden - und verneinten am 14. Juli nach drei Stunden Beratung mit neun gegen drei Stimmen jede Schuld der Angeklagten, auch die Eventualfrage nach fahrlässiger Tötung.

Geschworenengerichte waren nach der Revolution von 1848 eingeführt worden und galten bei den Sozialdemokraten als unantastbare Garantie gegen „Klassenjustiz“ der Berufsrichter. Erst in der Zweiten Republik - 1964 - stimmte die SPÖ einer Änderung zu, berichtet Drimmel, nach der die Berufsrichter an den Beratungen der Geschworenen teilnehmen und diese ihre Entscheidung begründen müssen, dann entscheiden Geschworene und Richter gemeinsam über das Strafausmaß.

Damals gab es keine Begründung für die Verneinung der Schuld der Angeklagten durch die Geschworenen. Der Vorsitzende, Ernst Ganzwohl, konnte gar nicht anders, als gemäß dem Spruch der Geschworenen den Freispruch zu fällen. Und die Empörung der Linken entsprach dem Triumph der Rechten.

In der „Arbeiterzeitung“ schrieb Friedrich Austerlitz: „Die bürgerliche Welt warnt immerzu vor dem Bürgerkrieg. Aber ist diese glatte, diese aufreizende Freisprechung von Menschen, die Arbeiter getötet haben, weil sie Arbeiter getötet haben, nicht schon selbst der Bürgerkrieg? Wir warnen sie alle, denn aus einer Aussaat von Unrecht, wie es gestern geschehen ist, kann nur schweres Unheil geschehen.“

Glaubte Austerlitz, mit seinen Verbalattacken den „empörten Massen“ ein Ventil zu schaffen, wie Jacques Hannak analysierte? Oder konnten sie „von ohnehin bereits erregten Lesern leicht als Aufforderung zur Tat gedeutet werden“ (Julius Deutsch)?

Wenige Stunden später brannte der Justizpalast.

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