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Die Schweigenden und die Redenden

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Der sowjetische Rundfunk und die Presse der UdSSR haben, dem ihnen erteilten Befehl gehorsam, über die Krankheit des Papstes nichts, über sein Hinscheiden mit mehr als spartanischer Kargheit berichtet. Als erste und einzige Nachricht war darüber am 9. Oktober um 7.30 Uhr eine TASS-Meldung im sowjetischen Rundfunk 2u hören, die lautete: „Der römische Papst — ,rimskij papa' — Pius XII. ist heute im Alter von 82 Jahren gestorben. Er regierte seit 1939.“ Von den Moskauer Zeitungen fanden einige diesen Bericht zu lange und strichen den zweiten Satz. Uebrigens wurde diese TASS-Depesche erst in den Nummern vom 10. Oktober gebracht, und zwar auf der letzten Seite unter der Rubrik „Kleine Nachrichten“. Die Sowjetbehörden nahmen vom Tod des Oberhauptes der katholischen Kirche überhaupt keine Notiz; mit der Begründung, es hätten zwischen dem souveränen Vatikanstaat und der UdSSR keine diplomatischen Beziehungen bestanden, die allein eine offizielle Beileidskundgebung zu bewirken in der Lage gewesen wären. An diese Auffassung klammerten sich die auswärtigen Vertretungen der Sowjetunion ebenso sorgsam wie die Kapitäne ihrer Schiffe in fremden Gewässern. Mit einer über die primitivste Höflichkeit sich hinwegsetzenden Hartnäckigkeit verweigerte z. B. die Sowjet-delegatiqnbejr Interalliierte,Kommission,in Berlin die Zustimmung, dort die Fahnen zum Zeichen der Trauer auf halbmast zu senken. Aehn-liches taten Kapitäne russischer Schiffe in mehreren Häfen. Ueber den unbeugsamen Gegner der kommunistischen Lehre durfte kein gutes Wort gesagt oder gedruckt werden, geschweige, daß man ihm posthume Ehre erwiese.

Und doch hielt sich die Sowjetpropaganda eine Rückzugslinie offen, um eventuell später die Tonart zu ändern. Von der Moskauer Zentrale war deutlich die Parole ausgegeben worden, in der Parteipresse der nicht zum Ostblock gehörigen Länder Pius XII. wohl als geschworenen Feind der UdSSR und der fortschrittlichen Welt anzuprangern, indes auch auf seine Stellungnahme gegen die Verwendung von Atomkraft zu anderen als zu friedlichen Zwecken hinzuweisen Der angebliche Widerspruch im Verhalten des Heiligen Vaters wurde, in sonderbarer Uebereinstimmung, seitens der kommunistischen Zeitungen, etwa in England — „Daily Worker“ — und Oesterreich — „Volksstimme“ — hervorgehoben. Einer derartigen Richtlinie entspricht es, daß man den Moskauer Fatriarchen Aleksjei, dessen Zeitschrift sonst von heftigsten Angriffen auf den Papst und auf die römische Kirche strotzte, am Sowjetrundfunk eben dieser Kirche das Beileid zum Tod eben dieses Papstes ausdrücken ließ, und daß vom Oberhaupt der russischen Pravoslawie in einer Kondolenzbotschaft an Pius' XII. Verurteilung des Gebrauchs der Atomwaffen erinnert wurde; daß ferner der seligste Patriarch mit den Worten der üblichen Friedenstaubenpropaganda die Kardinäle mahnte, der künftige Papst möge die Bemühungen der römischen Katholiken verstärken, einen Frieden zwischen den Menschen herzustellen und die Wohlfahrt der gesamten Menschheit zu fördern.

Unbeachtet dieser salbungsvollen Worte sind die wahren Absichten der Moskauer Machthaber in bezug auf das kommende Konklave und die Person, die Richtung des neuen Papstes weniger durchsichtig. Es ist ganz unklar, ob die Sowjetregierung es vorzöge, einen Pontifex vor sich zu haben, mit dem man allmählich ins Gespräch käme, und ob sie also, auf Umwegen, versuchen wird, die Kardinale durch verklausulierte Versprechungen zu beeinflussen (was selbstverständlich keinerlei Erfolg brächte) oder ob sie lieber einen streitbaren und intransigenten Widersacher auf dem päpstlichen Thron sähe, um desto leichter diesen und den Katholizismus bekämpfen zu können, um ferner die Gläubigen in den europäischen Satellitenstaaten stärker gegen den Vatikan aufzureizen. Mancherlei Anzeichen streiten für die zweite Hypothese. So verbreitet die Presse der Volksdemokratien Nachrichten, deren ferngelenkter sowjetischer Ursprung in die Augen springt, unter den Papa-bili befänden sich luch die Kardinäle Spellman, Frings und Tisserant, von denen die beiden ersten nicht nur bei allen Kommunisten als besonders gefährliche Feinde des Weltfriedens und der Arbeiterklasse verabscheut werden, sondern durch die gleichgeschaltete Anti-Ostpropaganda auch vielen Katholiken Zwischeneuropas weniger sympathisch geworden sind.

In der UdSSR war und ist die Sachlage einfach: hier stößt weder Taktlosigkeit noch Verleumdung und Haß gegen das Andenken Pius XII. auf inneren Widerstand oder Empörung bei der Bevölkerung. Weder die Kommunisten noch die religiös gebliebenen Pravoslawen haben für das Papsttum und die „Lateiner“ etwas übrig.

Anders steht es um die Satelliten mit katholischer Mehrheit oder mit beträchtlicher katholischer Minderheit. Von diesen Volksdemokratien .Jiaj lediglich die Tschechoslowakei es für über- , flüssig erachtet, sich den leisesten Zwang aufzu-erlegen. Hier war kein freundliches Wort über den Papst zu lesen. Sein Sterben würde kurz und wegwerfend berichtet, über Konklave und künftiges Pontifikat ist fast nichts zu lesen; offizielle Stellen haben sich nicht geäußert. Dagegen war

Ungarn das einzige kommunistische Land, das offiziell zum Ableben Pius' XII. kondolierte, und zwar durch ein Telegramm des Leiters des Kirchenamtes Horväth an das oberste in Freiheit befindliche Mitglied der kirchlichen Hierarchie, Erzbischof Grösz. In den Zeitungen erschienen längere Nachrufe, und Trauergottesdiensten wurde kein Hindernis bereitet. Allerdings geht die Toleranz nicht so weit, daß man Kardinal Mindszenty freies Geleite zum Konklave gewährte. Wollte er zur Wahl nach Rom und gelobte er, dann nicht zurückzukehren, so ließen ihn Kädär und Münnich wohl mit einem Seufzer der Erleichterung ziehen. Doch daran denkt der ungarische Primas nicht. So wenig wie sein unglücklicher Amtsbruder, Kardinal Stepinac, in seinem kroatischen Internierungsdorf. Dem würde Tito vermutlich nicht einmal c-!e Ausreise ohne Heimfahrt zubilligen. Die jugoslawische Presse hat sich um nichts zarter oder auch nur anständiger gezeigt als die sowjetische und die tschechische. Sie brachte nur die knappe Meldung vom Tode des Papstes und ein paar bissige Notizen.

Ganz anders in Polen. Wieder erfahren wir, daß auch heute, nach einer beklagenswerten Verschlimmerung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche, die Lage der Religion in Polen unvergleichlich günstiger ist als in irgendeiner anderen Volksdemokratie. Die Krankheit des Heiligen Vaters wurde in allen Phasen durch das polnische Radio verfolgt. Die Zeitungen berichteten darüber meist auf der ersten Seite. Der Tod Pius' XII. wurde in Warschau durch eine

Trauer-Extraausgabe des „Slowo Powszechne“ bekanntgegeben. Am 10. Oktober würdigten sämtliche Morgenblätter, den Parteimoniteur „Trybtma Ltiduräbegrifienf den Entsehlftfeaentr Sogar im heftig antiklerikalen „Zycie Warszawy“ war auf der ersten Seite die Todesmeldung schwarz umrandet mit einem Bild Pius' XII. zu finden. Die Nachrufe waren in ruhigem Tone abgefaßt. Erst am nächsten Tag las man, offenbar unter dem Druck heimischer und Moskauer kirchenfeindlicher Kreise, Telegramme, die in scheinbar unpolemischer Weise den Verstorbenen als einseitigen Gönner Deutschlands und als Gegner des Polentums, als schwach gegenüber dem Dritten Reich darzutun strebten. Doch niemand hinderte den Primas Wyszynski daran, in einer großartigen Predigt beim Warschauer Trauergottesdienst am 12. Oktober vor einer dichtgedrängten Menge diese Vorwürfe energisch und überzeugend zurückzuweisen. Der Kardinal konnte von vornherein frei nach Rom reisen und sich seine Begleitung wählen. So hat er unter anderen den Leiter der katholischen Fraktion im Reichstag, Professor S t o m m a, Herausgeber des „Tygodnik Powszechny“, mit sich gebeten. Erzbischof Wyszynski ist am Spätabend des 17. Oktober über Wien nach der Ewigen Stadt gefahren. Im ganzen Land finden Gedächtnisfeiern statt. Allerdings hat man nichts von offiziellen Beileidsbezeigungen, ähnlich der vorerwähnten ungarischen, gehört. Feststeht dagegen, daß man in Polen bis weit in die kommunistischen Sphären, sehr, beinahe leidenschaftlich, am Konklave interessiert ist. Die Polen hoffen auf einen Papst, der ihnen gewogen ist, wie einst Pius XI. es war. In Warschau und ein wenig in Budapest, wären auch die dortigen kommunistischen Machthaber, anders als in Moskau, sehr zufrieden, neigte der kommende Pontifex nicht der, wie man das im Osten nennt, „spanisch-integristischen“ Richtung zu.

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