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Die Sieben von Pfunders

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Das Urteil in zweiter Instanz im Mordprozeß gegen die sieben Bauernburschen von Pfunders yor dem Appellationsgericht in Trient ist unfaßbar hart.

In erster Instanz waren die sieben Angeklagten zu insgesamt 111 Jahren und 28 Monaten Kerker verurteilt worden. Das jetzige Urteil der zweiten Instanz lautete auf: ein „Lebenslänglich“, 81 Jahre und 34 Monate Kerker; außerdem wurden die Angeklagten wegen Amtsehrenbeleidigung zu je vier bis sechs Monaten Haft verurteilt. Im einzelnen wurden verurteilt: Alois Ebner zu „Lebenslänglich“ (in erster Instanz 24 Jahre Kerker), sein Bruder Bernhard zu 17 Jahren und 10 Monaten Kerker (16 Jahren und 8 Monaten), Isidor Unterkircher zu 17 Jahren und 10 Monaten (16 Jahren und 8 Monaten), dessen Bruder Paul Unterkircher zu 12 Jahren (10 Jahren und 8 Monaten), Florian Weissteiner zu 17 Jähren und 10 Monaten (16 Jahren), Georg Knolleisen zu 17 Jahren und 2 Monaten (16 Jahren), Johann Huber zu 1 Jahr und 2 Monaten (12 Jahren und 4 Monaten).

Was geschah denn nun eigentlich wirklich in Pfunders? Nach der Darstellung der Angeklagten hatten sich im Vorjahr die sieben Pfunderer Bauernburschen, bis dahin vollkommen unbescholten, nach dem Konsum von mehreren Litern Wein und Schnaps in eine Wirtshausrauferei mit den italienischen Finanzern eingelassen. Sie verprügelten den italienischen Finanzer Falqui, der die Flucht ergriff, dabei in den Pfunderer Bach stürzte und sich beim Sturz eine tödliche Verletzung zuzog. Die italienische Version, wie der Finanzer Calvia sie schilderte, geht dahin, daß der Finanzer von den Bauernburschen ersehlagen und die Leiche dann am Bachbett niedergelegt wurde.

Schon in der ersten Instanz wurde seitens der Verteidigung ü. a. bemängelt: 1. daß nicht sofort eine Aufnahme von dem Ort gemächt wurde, wo der tote Finanzer lag; 2. daß der Arzt Dr. Kofier, dem die Leiche ins Haus gebracht wurde, nicht einmal als Zeuge, geschweige denn als Sachverständiger gehört wurde, und 3. daß die Uebersetzung des damaligen Dolmetschers, des Carabinieri Braun, nicht stimmte, wie sich auch aus den Protokollen eindeutig ergab.

Zur Verhandlung in der zweiten Instanz ist festzuhalten:

1. Der Zivilkläger, Advokat D a d e a aus Mailand, gibt selbst wörtlich zu: Eine reale Gewißheit über den Tatbestand bestehe zwar nicht, man dürfe aber trotzdem annehmen, daß Falqui die tödliche Verletzung während der Rauferei erhalten hat: „Ihr habt ihm den Schädei eingeschlagen!“ Gewiß habe nur einer den tödlichen Schlag geführt, aber auch die anderen seien nach dem Gesetze mitschuldig am Mord, also müßten sie alle bestraft werden.

2. Der deutsche Gemeindearzt Dr. K o f 1 e r, dem die Leiche sofort gebracht wurde, während der italienische Arzt erst zwölf Stunden später die Obduktion durchführte, wurde trotz seiner mehrmaligen Meldungen als Zeuge und medizinischer Sachverständiger sowohl vom Staatsanwalt als auch vom Gericht nicht einvernommen.

3. Die Beiziehung eines beeideten Dolmetschers wurde vom Vorsitzenden des Gerichts auch diesmal abgelehnt mit der Begründung, daß der beisitzende Richter Pombeni ja perfekt Deutsch verstehe.

4. Das „Leitmotiv“ des Prozesses geht aus den Ausführungen der beiden Zivilankläger hervor. Dr. D a d e a sagte in seinen Ausführungen wörtlich: „Ich will zwischen dem Gerichtshof und den Angeklagten einen Slogan setzen, den Slogan ,porci italiani' (welsche Schweine), denn damit erklärt sich in diesem Prozeß alles. Er ist die Mutter des Verbrechens von Pfunders.“ Und der zweite Vertreter der Zivilbeteiligten, der bekannte Deutschenhasser und neofaschistische Abgeordnete Advokat M i t o 1 o, sagte ebenfalls wörtlich: „Die ganze Erklärung des Verbrechens von Pfunders ist in dem Satze ,porci italiani' zu finden. Das ist das Tatmotiv. Diese Burschen sind in einem vergifteten Milieu aufgewachsen.“ Und zu den Angeklagten gewendet rief er: „Diese da lügen, wenn sie sich verteidigen!“

Eine solche Art der Prozeßführung ist dem Juristen unverständlich. Jedes Gericht kann und darf nur auf Grund beigebrachter Beweise und nicht auf Grund von Annahmen (die Angeklagten „müssen einfach schuldig sein“) Recht sprechen. Ein anderer international anerkannter Rechtsgrundsatz lautet: „Im Zweifel ist für den Angeklagten zu urteilen.“

Alle diese Grundsätze sind im Pfundersprozeß nicht beobachtet worden.

Die Verteidiger der Angeklagten, Dr. Sand und Dr. D a n d e r, haben gegen das Urteil Berufung an den Obersten Gerichtshof in Rom eingelegt, so daß das Urteil, dessen deutsche Uebersetzung man nicht einmal für notwendig hielt, obwohl die Angeklagten der Verhandlung gar nicht hatten folgen können, noch nicht rechtskräftig ist.

Daß zwischen den Italienern und den deutschsprachigen Südtirolern keine intime Freundschaft besteht, ist bekannt und darf niemanden, der auch nur einigermaßen die Vergangenheit und Gegenwart in Südtirol kennt, wundernehmen. Es sei aber gerade in diesem Zusammenhang die Frage gestattet: Wer ist schuld, daß eine solche .aufrichtige Freundschaft nicht besteht? Wer hat unter dem Faschismus die deutschen Schulen verboten, wer hat die Familiennamen umgeändert, wer hat das Deutschtum seit dem Jahre 1919 unterdrückt, und wer bringt immer mehr Zuzügler aus dem Süden ins Land, so daß den Deutschen langsam, aber sicher jede Lebensmöglichkeit unterbunden wird?

Advokat Mitolo dagegen sagte in seinen Ausführungen wörtlich: „Diese Burschen sind in einem vergifteten Milieu aufgewachsen. Sie lesen nur eine Zeitung und hören nur eine Predigt. Ich hätte auf der Anklagebank auch die moralischen Verantwortlichen sehen wollen. Es sind dies jene, die die Italiener verachten, jene Italiener, die jetzt vielleicht bald wieder aus dem Süden kommen, um hier Arbeit zu suchen. Die wahren Verantwortlichen sind jene, die die Trennung der Deutschen und Italiener wollen, sogar in den Kindergärten.“

Das ist nicht nur eine glatte Umkehrung der Tatsachen, sondern zeugt auch gegen den Geist „gegenseitigen Verstehens und gegenseitiger Freundschaft“, von dem im Abkommen Gruber-Degasperi so schön die Rede ist.

Oder will man mit diesem Urteil nicht die sieben Bauernburschen aus Pfunders, sondern das ganze Volk von Südtirol verurteilen? Fast scheint das letztere der Fall zu sein.

Die „fünf Minuten guten Willens“ jedenfalls, von denen wir neulich schrieben, scheinen sehr rasch wieder verflogen zu sein.

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