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Die Siebzehnte Sowjetrepublik

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Rumänien gilt seit dem Sturz der Monarchie als die siebzehnte Sowjetrepublik, vor allem deshalb, weil sich dort am wenigsten Widerstand gegen die Gleichschaltung regte und weil einerseits die nationalen Minderheiten dem Kommunismus eine unleugbare Verbesserung ihres Gesamtloses dankten und anderseits die Industriearbeiterschaft dem Regime anhängt, das auch einen beträchtlichen Teil der Intelligenz, ja des orthodoxen Klerus gewonnen hat. Rumänien ist das einzige Land, in dem ein erklärter Marxist, der Patriarch Justinian, an der Spitze der Hierarchie amtet, der sogar den Marxismus- Leninismus als Pflichtgegenstand in den geistlichen Seminaren eingeführt hat.

Die russische Kulturpropaganda hat in Rumänien Erfolge zu verzeichnen wie nirgends sonst. Die Sowjetisch-Rumänische Gesellschaft ist, ohne Rivalen, die wichtigste Institution des geistigen Lebens. Der Verlag „Cartea Rusa“, der in knapp zehn Jahren seiner Existenz über dreiundzwanzig Millionen Bände herausgebracht hat, beherrscht den Büchermarkt. Lenins Werke sind in dreidreiviertel Millionen Exemplaren verbreitet — je eines auf drei theoretisch zu deren Lektüre Fähige. Das Theater verharrt ganz im Zeichen der Sowjetdramatik. Bukarests schönste Parke heißen nach Stalin und Marschall Tolbuchin. Die Akademie, in der es noch dazu von Gelehrten der vorkommunistischen Zeit wimmelt, ist völlig nach Sowjetmuster organisiert, ähnlich wie der gesamte Unterricht. Das Zentralorgan der herrschenden Partei, die „Scinteia“, stellt ebenso eine Kopie der Moskauer „Prawda“ dar, wie die seit heuer erscheinende „Gazeta Literarä“ eine der „Literaturnaja Gazeta“ ist. Rumänische Uniformen sind von sowjetischen kaum zu unterscheiden. Eine neue Ortho-

graphic, die kürzlich verfügt wurde, hilft bei der Russifizierung der Sprache mit. Und die schmiegsamen Forscher haben herausgebracht, daß dieselben Rumänen, die einst so stolz auf ihre Abkunft von den Legionären Trajans und auf ihr Lateinertum waren, ein Gemisch aus Thrakern, Illyrern, Slawen und Tataren sind, die das Westlich-Lateinische als Fremdkörper ausmerzen sollen.

Niemand, der die rumänischen Verhältnisse kennt, wird darüber staunen, daß dort schließlich vom Zentralkomitee der Kommunistenpartei die Angleichung an die in der UdSSR und in den andern Satellitenstaaten verfügten Neuordnungen beschlossen worden ist. Man wundert sich höchstens darüber, daß dies so spät geschah. Es sind also auch in Bukarest Parteiführung und Staatsverwaltung voneinander getrennt worden. Während aber in Polen und in Ungarn der wahre Inhaber der Gewalt die Partei leitet, der Ministerpräsident dagegen eine bloße Figur auf dem politischen Schachbrett ist, hat der starke Mann Rumäniens, Gheorghe Gheor- ghiu-Dej, den Posten des Ersten Parteisekretärs dem bisherigen Vizeministerpräsidenten und Landwirtschaftsminister, Gheorghe Apostol, überlassen, einem rumänischen Chruscev. Gheorghiu-Dej behält den Vorsitz der Regierung. Immerhin war er genötigt, dem Zeitgeist zu huldigen und in seiner Rede vor dem ZK, dessen Tagung die Umorganisation der Staatsführung beschloß, scharf gegen den Personenkult und für das Kollektivprinzip zu sprechen.

Als Gheorghiu-Dej am 19. April den Parteiapparat seinem Freund und Jünger Apostol unterstellte, hat niemand auch nur einen Augenblick daran gezweifelt, daß der rumänische Ministerpräsident alle Fäden in starker Hand behielt. Die Vermutung wurde geäußert, der Regierungschef wolle als Inhaber der obersten staatlichen Gewalt eine taktischen Ursachen entquellende Milderung des herrschenden Kurses mit seiner Autorität decken, Apostol aber solle als Hüter der Parteilinie weiterhin scharfe Töne anschlagen, um keinen Gedanken an eine wesentliche Lockerung des Regimes aufkommen zu lassen und um für den geeigneten Zeitpunkt die Rückkehr zum strengen System jederzeit möglich zu machen. Diese Meinung hat manches für sich. Von Apostol bekommen wir fast ununterbrochen Erklärungen zu lesen, die den unveränderten Klassenkampf predigen. Fast zu derselben Zeit geschahen nach außen hin eine Reihe Gesten der Versöhnung, die allmählich auf die Innenpolitik Übergriffen. Man bemühte sich um Wiederanknüpfung von Handelsbeziehungen zu den kapitalistischen Ländern, darunter besonders mit Israel. Eine rumänische Delegation reiste nach Palästina ab, und um für sie die Stimmung vorzubereiten, mußten ein Halb- hundert Rabbiner einen Aufruf an die Judenheit veröffentlichen, darin sie das glückliche Los ihrer Glaubensbrüder in Rumänien schilderten und dessen Bewohner von jeder Anklage des Antisemitismus reinigten. Eine zaghaftere Gebärde hat die Bukarester Regierung gegenüber den Katholiken getan. Der vierundachtzigjährige Bischof von Temesvar, Msgr. Pacha, dem nach einem grotesken Schauprozeß achtzehn Jahre Gefängnis zugesprochen worden waren, wurde freigelassen. Und am 6. August 1954 erfuhr die Oeffentlichkeit plötzlich, beim Zusammentritt der Nationalversammlung zu einer Hochsommersession, eine umfängliche Amnestie werde erfolgen, in die politische Häftlinge einzubeziehen der elastische Text der Vorlage den Regierenden jede Möglichkeit zubilligt.

Auf internationalem Gebiete sind zu verzeichnen: der Mitte Juni gefaßte Entschluß, die seit Jahren unterbrochenen diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien wiederaufzunehmen, und der Antrag Rumäniens auf Eintritt in die UNESCO.

Zu den wenigen positiven Seiten des rumänischen Regimes, die auch von den Gegnern des Kommunismus anerkannt werden, zählt das, allerdings auf unabdingbarer Notwendigkeit beruhende Streben, die nationalen Minderheiten besser zu behandeln als unter dem früheren Regime. Es ist den Bukarester Staatslenkern tatsächlich gelungen, auf diese Weise die siebenbürgischen Magyaren und Szekler, die Ruthenen der Bukowina und die Bulgaren der Dobrudscha sich günstiger zu stimmen. Seit Jahren ist ähnliches auch in bezug auf die deutsche Minderheit zu beobachten. Das Oberhaupt der rumänischen Nationalkirche wird etwa wie ein Minister behandelt. Das konnte man z. B. sehen, als ein koreanischer Ordensregen auf die rumänischen Würdenträger niederging. Allein vergessen wir den Na i- satz nicht, den Preis, um den sich die Gestrigen den zweiten oder dritten Platz an der heutigen Sonne verdienen. Patriarch Justinian muß erstens folgsam dem Moskauer Amtsbruder Alexiej gehorchen, so wie das die rumänischen Parteigrößen gegenüber dem Kreml tun, zweitens lobt er blind jede Aktion der Regierung, und drittens hat er den Marxismus als Pflichtgegenstand an geistlichen Seminaren eingeführt, läßt er den gesamten Klerus, wie paradox das auch scheinen mag, im kommunistischen Geist erziehen. Dafür hat er die Hilfe des weltlichen Arms gefunden, um die Uniierten gewaltsam zur Orthodoxie zu „bekehren“.

Ob einstige Bojaren, orthodoxe Hierarchen, „Zionisten“, Professoren, über die nationale Duldsamkeit entzückte Minderheitenpolitiker: die Nichtkommunisten aller Abschattungen sollten sich bewußt bleiben, daß jede Milderung, auch in Rumänien, nur Provisorium und trügerischer Schein ist; denn das Aeußerste, zu dem sich ein kommunistisches Regime gegenüber jedem nicht hundertprozentigen Bekenner des Marxismus-Leninismus aufschwingen kann, wird durch die Worte umschrieben, die der Zyklop zudem ihm schmeichelnden Odysseus sprach: „Dich fresse ich zuletzt.“

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