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Die Situation der Gegenwart

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Ich möchte die Sorge mancher hier Anwesender und auch nicht Anwesender beseitigen und sagen: Wenn sich auch in Österreich seit eineinhalb Jahren, seit 1966, also in dem Österreich, in dem es keine Koalitionsregierung mehr gibt, der demokratische Gegensatz von Regierung und Opposition immer deutlicher bemerkbar macht und naturgemäß zu einer gewissen Verschärfung und Profilierung der Gegensätze der Parteien und ihrer Ansichten führen muß, so wollen wir doch und haben ein besonderes Interesse daran, Gewissensfragen aus diesem Widerspiel der politi-

schen Kräfte heraushalten. Es wird wahrscheinlich in Zukunft kaum mehr passieren, daß ich mich als Vorsitzender der großen Oppositionspartei mit dem Generalsekretär der ÖVP in Übereinstimmung befinde. In voller Ubereinstimmung befinde ich mich aber mit dem, was der Herr Abgeordnete Dr. Wit-halm vor einiger Zeit über unsere Stellung zur römisch-katholischen Kirche gesagt hat. Ich teile diese Ansichten vor allem deshalb, weil wir einen neuen Geist in die Politik bringen wollen und das nur können, wenn wir möglichst viel von Aggressionen und Emotionen und Ressentiments aus dem politischen Leben, soweit das eben geht, ausscheiden. Denn nur so werden wir, so glaube ich, auch in Österreich zu einer, wenn sie mir dieses Wort gestatten, Verinnerlichung des demokratischen Lebens, frei von Sentimentalem, kommen. Frau Prof. Weinzierl hat mit großer Klarheit und großer Offenheit in sehr komprimierter Weise die Geschichte unserer Auseinandersetzungen dargelegt und ich bin ihr dafür besonders dankbar deshalb, weil ich mich noch sehr gut an jenen unfaßbar schönen Tag in Rom erinnere: An die Abschlußfeierlichkeiten des Konzils. Damals habe ich als Mitglied der offiziellen Delegation der Bundesregierung mit besonderer Aufmerksamkeit die Botschaft an die Arbeiter angehört, und besonderen Eindruck hat auf mich jener Passus dieser Botschaft gemacht, wonach „traurige Mißverständnisse der Vergangenheit zu lange das Mißtrauen und Unverständnis zwischen uns aufrecht erhalten“ haben. Und weiter: „Die Kirche und die Arbeiterklasse haben darunter gelitten. Heute schlägt die Stunde der Wiederversöhnung und die Kirche des Konzils lädt Euch ein, sie ohne Hintergedanken zu feiern.“ Ich will nicht leugnen, daß das damals auf mich einen großen Eindruck gemacht hat, daß damals vor allem der Wunsch

zu einer Konfrontation unserer Ansichten, vor allem der Mißverständnisse entstanden ist, weil ich zu jenen Leuten gehöre, die der Meinung sind, man soll die eigene Geschichte und das Unangenehme, das einem widerfahren ist, nicht einfach wegeskamotieren, sondern man soll sich bewußt um die Irrtümer und Fehler der eigenen Geschichte kümmern — um ein Wort Burckhardts aufs Neue zu variieren —, um klüger zu sein und klüger zu werden für ein andermal; wenn ich auch nicht so weit zu gehen wage wie er, der doch verlangt hat, daß wir weise für immer aus dem Studium der Geschichte werden sollen. So weit gehe ich als Politiker nicht, einfach deshalb nicht, weil ich glaube, daß es im politischen Leben so viele Verlockungen, Fehler zu machen, gibt, daß wir als Politiker jedenfalls nicht in Anspruch nehmen können, besonders weise oder gar weise für immer aus der Erkenntnis unserer Fehler zu werden. Ich danke ihnen also, Frau Professor, dafür, daß sie die Geschichte dieser Mißverständnisse gleichzeitig gegeben haben mit der Darstellung des Verhältnisses der Kirche und der Arbeiterbewegung.

Ich bin hier nicht der Rezensent der vorherigen Referenten: Ich möchte aber dennoch dem Herrn Chefredakteur Barta danken für das, was er gesagt hat — und das als praktischer Politiker. Nicht um Ihnen etwas Freundliches zu sagen, sondern weil ich glaube, daß wir durch ein Nahverhältnis, das wir schaffen, besser in die Lage versetzt werden, Lösungen, die möglich sind, herbeizuführen Ich bin auch dankbar für die beiden großen Kataloge für die Beziehungen zwischen uns, die hier angegeben wurden und ich bin überzeugt, daß dazu noch vieles gesagt werden wird, wenn auch nicht heute so ein andermal. Aber so deutlich hat man auch uns das bis heute noch nicht gesagt, und wenn das Mariazeller Manifest so unbekannt ist, dann trifft der Vorwurf nicht nur unsere Publizistik, dann muß auch bei Ihnen, Herr Chefredakteur, etwas nicht ganz geklappt haben. Denn schließlich und' endlich sind das eben Dinge, die zwei Seiten haben.

Der Wissenschaftsglaube der Anfänge

Und nun möchte ich ganz kurz nur noch die Erinnerung wiederholen an die Marksteine, die es auf diesem Weg in unserer Bewegung gegeben hat. Von der Haltung Marx* und Engels' ist schon gesprochen worden, auf die Konsequenzen des philosophischen Materialismus wurde schon hingewiesen. Ebenso wurde bereits zu der Kampfposition Stellung genommen, die die entstehende sozialistische Arbeiterbewegung eingenommen hat und die sich in unserem Sprachraum in dem Ausdruck „Pfaff, Adel, Kapital“ manifestierte. Übrigens nicht nur bei uns hat man so radikale Formulierungen geprägt. Auch in gemäßigten politischen Zonen, in Skandinavien, also dort, wo der Protestantismus noch heute Staatsreligion ist, wo man vom Staatskirchentum spricht, hat es ein ähnliches Wort gegeben. Es hat gelautet „Thron, Schwert und Altar“ — das war die unheilige Dreifaltigkeit, die es für die skandinavische Arbeiterbewegung zu bekämpfen galt. Also ist dies eine Kampfposition, die man nicht nur im katholischen Bereich, sondern auch im protestantischen eingenommen hat.

Diese Haltung hat dann eine Vergeistigung erfahren, durch den Entwicklungsoptimismus, den die rasche Entwicklung der Wissenschaft irgendwie motiviert hat. Es ist geradezu erstaunlich wie ein Mann von der großen Bedeutung eines Sigmund Freud in einem seiner spätesten Werke diesem Entwicklungsoptimismus huldigt und der Meinung Aus-

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