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Die Sorben zwischen 1919 und 1945

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Die Sorben blieben nach 1919 im Staatsverband des Deutschen Reiches. Die kleinere, nationalpp,l$&ch aber wesntlich . aktivere-, Gruppe gehörte zum Land Sachsen mit der Stadt Bautzen als Mittelpunkt (1925: 1605 Angehörige der sorbischen Sprachgruppe nach der amtlichen, hinter den wirklichen Zahlen jedoch wie immer in solchen Fällen zurückbleibenden Zählstatistik) und den Landkreisen Bautzen (18.341), Kamenz (6135) und Löbau (1487). Die Sorben in Preußen entfielen auf die Stadtkreise Calau (353) und Cottbus (16.416) und die Landkreise Hoyerswerda (10.894), Rothenburg O/L (5799), Spremberg (303), Lübben (11) und Luckau (1). Kenner der Verhältnisse, wie Blüthgen („Die Lausitzer Wenden“, Kallmünz 1961), nehmen für diese Zeit etwas mehr als 70.000 Sorben an, davon rund 30.000 in Sachsen.

Für die Sorben in der preußischen Oberlausitz (Regierungsbezirke Liegnitz und Frankfurt) wurden zwei Schulerlässe, die für die Polen in Oberschlesien ergangen waren, am 29. Februar 1920 und am 31. Dezember 1918 „sinngemäß“ zur Anwendung bestimmt. Damit erhielten die Sorben ein eigenes Schulwesen in beschränktem Ausmaß. Im Freistaat Sachsen galten ein Schulgesetz vom 22. Juli 1919 und eine Ausführungsverordnung hierzu vom 23. Juli 1919. Diese Bestimmungen wurden von den Sorben jedoch als unzureichend angesehen.

Die Sorben, deren Organisation und blühendes Pressewesen vom nationalsozialistischen Staat ab 1933 zerschlagen und deren Führer, wie Emst Borth, eingekerkert wurden, da sie sich weigerten, ihr Volk als „wendischsprechende Deutsche“ zu bezeichnen, versuchten nach dem zweiten Weltkrieg erneut, Eigenstaatlichkeit zu erlangen. Wiederum fanden sie Unterstützung bei den Tschechen, die sogar auf die Bildung eines slawischen Korridors bis zu den Sorben hinarbeiteten. In Prag wurde eine „Gesellschaft der Freunde der Lausitz“ gegründet, die eine Reihe von Denkschriften und zum Teil wissenschaftlieh recht brauchbare Arbeiten zur Geschichte der Sorben herausbrachte (zum Bei-piel die Sammlung „Dnelui Luzice“, redigiert von V. Zm&skal). Der eigene sorbische Staat scheiterte aber sowohl an nten:(TUJg anders gerichteten. JPH Siegetmächte einerseits wie an maßlosen statistischen Übertreibungen der Sorben selbst, die auch die Städte Görlitz, Forst, Guben und Zittau als sorbisch bezeichneten und ein Gebiet mit 1414 Gemeinden und 1,438.000 Einwohnern auf 128.921 Quadratkilometern als sorbisches Siedlungsgebiet reklamierten. Nicht ohne starke Förderung durch die Sowjetunion, die sonst immer das Selbstbestimmungsrecht der Völker propagiert, aber nationalen Minderheiten und Volksgruppen keinen Völkerrechtsschutz zuerkennt, wurde dann jedoch den Sorben in Ostdeutschland weitgehende Autonomie gewährt.

Grundlage der heutigen Rechtsstellung der Sorben, der einzigen nationalen Minderheit bzw. Volksgruppe in der DDR, ist das (allerdings nur für die Sorben im Land Sachsen, das es heute freilich nur noch auf dem Papier der DDR-Verfassung gibt) erlassene „Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung“ vom 23. März 1948

(G. u. VB1. Land Sachsen 1948, S. 191). Darnach genießen die Sorben nicht nur Gleichstellung mit der deutschen Mehrheit, sondern „in be-zug auf ihre Sprache, kulturelle Betätigung und Entwicklung“ auch staatliche Förderung. Das bedeutet, daß es sich im Fall des in der DDR für die Sorben geltenden Minderheitenrechtes um ein förderndes Recht handelt, zum Unterschied vom sonst üblichen statischen Minderheitenrecht. Bei allen Behörden und Verwaltungen in den sorbisch-deutschen Gebieten ist neben der deutschen auch die sorbische Sprache zuzulassen. Diese Behörden haben ( 6) die Pflicht, die sorbischen Kulturinteressen in jeder Weise zu fördern. Für sorbische Kinder sind Grund- und weiterbildende Schulen mit sorbischer Unterrichtssprache einzurichten, in denen auch deutscher Sprachunterricht zu erteilen ist ( 2).

In einer Durchführungsverordnung vom 11. Jänner 1951 wurden die Bezirke bestimmt, in welchen das Sorbengesetz gilt (Kreise Bautzen, Hoyerswerda, Kamenz, Löbau und Niesky). Die Durchführungsverordnung läßt an den Gerichten dieser Kreise Sorbisch als Verhandlungssprache zu, alle Aufschriften sowie Orts- und Wegbezeichnungen erfolgen doppelsprachig. (Hierzu erging ein eigenes deutsch-sorbisches Ortsverzeichnis.) Sorbisch ist in diesen Kreisen nicht nur äußere Amtssprache der Behörden neben dem Deutschen, sondern auch innere Amtssprache. Die sorbischen Gemeinden und sonstigen Behörden können untereinander auch ausschließlich in sorbischer Sprache verkehren. (Bekanntlich ist das den Südtiroler Gemeinden analog nicht gestattet, obwohl Südtirol im Gegensatz zum Sorbengebiet sprachlich einheitlich und ein geschlossenes ethnisches Siedlungsgebiet ist.) In den Gemeinden mit sorbischer Bevölkerung 'können sich die Gemeindevertreter auch der sorbischen Sprache bedienen, wobei für eine Ubersetzung der Reden zu sorgen ist.

Die grundsätzlichen Schulrechtsbestimmungen des Sorbengesetzes wurden mittlerweile durch eine Reihe weiterer Ausführungsbestimmungen ergänzt. Als solche kommen in Betracht: 1. Die Regierungsverordnung zur Förderung und Entwicklung der sorbischen Kulturbestrebungen vom 12. September 1950, ergangen für Brandenburg. 2 Die Anweisung zur Regelung der

Schulverhältnisse in den sorbischen Sprachgebieten der Länder Sachsen und Brandenburg vom 9. April 1952.

3. Die Anweisung zur Erteilung des sorbischen Sprachunterrichts in Berufsschulen der sorbischen Sprachgebiete der Bezirke Dresden und Cottbus vom 1. September 1953.

4. Die Anweisung zur Regelung der vorschulischen Erziehung in den sorbischen Sprachgebieten der Bezirke Dresden und Cottbus vom 3. August 1953.

Der sorbische Volksschulunterricht wurde systematisch aufgebaut, wobei die Zahl der sorbischen Lehrer von sieben auf 400 anstieg (sorbisches Lehrerseminar in Radibor-Kleinwelka). Ein sorbisches Gymnasium befindet sich in Bautzen. In diesem sind die sorbischen Gymnasien von Görlitz-Ost (heute unter polnischer Verwaltung) und Warnsdorf (Böhmen), die nach dem zweiten Weltkrieg entstanden, aufgegangen. In Radibor befindet sich auch eine sorbisch-pädagogische Schule für Kindergärtnerinnen. Eine sorbische zentrale Landwirtschaftsschule ist in Neschwitz, landwirtschaftliche Hilfsschulen sind verschiedentlich eingerichtet. Sorbische Oberschulen gibt es in Cottbus, Panschwitz und Bautzen.

Die starke Ausgestaltung des sorbischen Volksschulwesens führt dazu, daß auch deutsche Kinder gezwungen sind, außer dem obligatorischen Russisch auch noch Sorbisch zu lernen, obwohl ihre Eltern dies nicht wollen und sie mit Sorbisch keinerlei Zugang zu einem großen Kulturkreis erhalten. Dies wird immer wieder beklagt.

Die Hochschulausbildung in Sorbisch erfolgt an der Universität Leipzig.

Die sorbische Sprache ist auch im allgemeinen öffentlichen Leben, so im Post- und Fernsprechverkehr und bei der Eisenbahn, als zweite Landessprache zugelassen. Die Rückführung germanisierter Vor-und Zunamen ins Sorbische wird auf Antrag ausdrücklich zugelassen (Verordnung von 1954). Die Sorben verfügen über eine eigene Presse, vor allem das Zentralorgan „Nowa Doba“ — „Neue Zeit“ (vgl. die ausgezeichnete umfassende sorbische Pressegeschichte von Walter J. Rauch, „Presse und Volkstum der Lausitzer Sorben“, Würzburg 1959). Träger der Kulturautonomie — um eine solche handelt es sich zweifellos de facto, auch wenn in einem kommunistischen Diktaturstaat die rechtlichen Elemente einer Autonomie notwendigerweise fehlen und fehlen müssen — ist die Organisation „Domowina“ in Bautzen.

Dies alles wäre sehr schön, ja geradezu vorbildlich, wenn die Sorben innerhalb ihrer Autonomie ihren politischen Status frei bestimmen könnten. Dies ist aber nicht der Fall. Obwohl als altes Bauernvolk ausgesprochen religiös im Christliehen Sinn, wird ihnen diese religiöse Betätigung weitgehend beschnitten. Das gilt sowohl von den Katholiken (ein Zehntel der Sorben im Westen der Oberlausitz), wo einst die Zisterzienserinnenabteien Marienstern und Marienthal von sorbischer Gläubigkeit zeugten, wie von den Protestanten, die neun Zehntel der Sorben ausmachen. In der Domowina und in allen Sorbeneinrichtungen dominiert naturgemäß die SED. Der Präsident der Domowina ist Abgeordneter zur Volkskammer und gehört der SED an. Die Anordnungen betreffend die Wahlen zur Volkskammer und zu den Bezirkstagen (so die „Zusatzdirektive“ des Büros des Nationalrates der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland vom 29. September 1958) lassen keinerlei Zweifel daran offen, daß in den zweisprachigen Gebieten der „sozialistische Aufbau“ auf allen Gebieten des „gesellschaftlichen Lebens“ im Vordergrund der Nationalitätenpolitik steht

Die bemerkenswerte großzügige Förderung der Minderheit der Sorben in der DDR kann den Bestand der kleinen Volksgruppe angesichts der stärkeren Umweltbedingungen nicht völlig absichern. Man muß annehmen, daß die Zahl der Sorben weiterhin zurückgehen wird, da die Assimilierung auf durchaus freiwilliger Basis kaum aufzuhalten ist. Ein kultureller Sog dürfte früher oder später die allzu klein gewordene Volksgruppe einschmelzen. Die amtliche Volkszählung 1946 ergab nur noch 32.061 Sorben, und auch die bundesdeutschen Schätzungen von heute sprechen nur von 45.000 bis 50.000, Wenden. Wir kennen nicht die Ergebnisse der deutschen Volkszählung von 1939, deren Sprachstatistik nie publiziert worden ist (nur für die Kärntner Slowenen liegt eine indirekte Ziffer, nach Landkreisen gegliedert, vor). Sie dürfte aber, nach der sehr minderheitenfreundlichen Art der Fragestellung, mehr Sorben ergeben haben, als 1946 gezählt wurden. Für die weitere Zukunft müssen alle Prognosen offen bleiben.

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