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Die Sozialisten und der Katholikentag

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Auf die Frage, wie sich die Sozialisten zum österreichischen Katholikentag einstellen, könnte man in wenigen Sätzen Antwort geben. Eine knappe und nicht begründete Antwort wäre jedoch unzweckmäßig. Der Sinn jeder Diskussion ist das gegenseitige gründliche Kennenlernen, aus dem das Verstehen der anderen Seite erwächst, und dem, wenn der Auseinandersetzung ein Erfolg beschie- den ist, eine gerechtere Wertung des Partners folgt. Es scheint daher außerordentlich wichtig, die Antwort auf eine möglichst breite Basis zu stellen.

Das Verhältnis der Sozialistischen Partei zur katholischen Kirche hat sich in der Zweiten Republik gebessert. Während in der Ersten Republik der kleinste Anlaß genügte, um heftige Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokratie und Kirche zu verursachen, ist nach 1945 der innere Friede gewahrt geblieben. Die Ursachen dieser friedlichen Beziehungen sind erkennbar. Die katholische Kirche

hatte in der Zeit des Nationalsozialismus unter schweren Verfolgungen zu leiden, und es gab viele Geistliche, die sich überaus mutig verhielten. Wiederholt kamen Sozialisten mit katholischen Priestern in den Zellen der Gefängnisse zusammen und führten lange Gespräche mit ihnen. Die gleiche Unterdrückung schuf Bindungen der Unterdrückten untereinander. Nach dem Kriege entschieden die österreichischen Bischöfe, keinem Geistlichen mehr die Ausübung eines politischen Mandats zu gestatten. Die Sozialisten nahmen diese kluge Entscheidung mit Zustimmung zur Kenntnis. Beide Tatsachen, das mutige Verhalten gegen den Faschismus und die geänderte Stellungnahme gegenüber der Politik, waren zwei wichtige Gutpunkte für die Kirche. Auf der anderen Seite wünschten die Sozialisten keine Wiederkehr der unfruchtbaren und zerstörenden Kämpfe mit der Kirche wie in der Ersten Republik. Die Voraussetzungen für freundlichere, wohlwollendere Beziehungen waren damit gegeben. Es entwickelte sich tatsächlich eine verhältnismäßig gute Nachbarschaft zwischen Sozialismus und Kirche, und schwierige Probleme, wie die Schulkreuz- und Schulgebetsfrage, wurden einmütig gelöst. Auch der Gesetzentwurf über den Religionsunterricht und die Entlohnung der Religionslehrer bereitete keinerlei Komplikationen, so daß die Beschlußfassung im Parlament in kürzester Zeit erfolgte. Es gab natürlich Sozialisten, die in ihrer alten Einstellung gegenüber der Kirche verharrten und die eingeschlagene Richtung der Partei kritisch verfolgten, aber sie unternahmen nichts, was zu einer Störung hätte führen können. Diese hoffnungsvolle Entwicklung wurde leider im Jahre 1949 unterbrochen. Das Jahr 1949 war ein Wahljahr. Die Katholische Aktion griff in den Wahlkampf mit Eifer ein. Ihre Stellungnahme gegen die Sozialisten konnte man aus den Wahlplakaten entnehmen, und was noch unklar war, das sagte man in den Pfarrversammlungen. Den Sozialisten blieb ob dieser plötzlichen Änderung des Verhaltens buchstäblich der Atem weg. Diese offene und allseitige Gegnerschaft hatte keiner erwartet. Man war gefaßt darauf, daß es Geistliche gäbe, die aus ihrer Vorkriegseinstellung nicht herauskönnen, aber mit einer so einmütigen Gegnerschaft hatte niemand gerechnet. Dabei bemühte sich jede Partei, ihren interkonfessionellen Charakter zu deklarieren. Der besonnene Katholik mußte sich fragen, welchen Sinn eine solche Aktion habe. So klug die Entscheidung des Jahres 1945 war, so unklug waren die Handlungen des Jahres 1949, die die Sozialisten verstimmen mußten. Die Menschen denken bekanntlich in Generationen, und das Erbe der Sozialisten- vor 1934, das qrenzen-

lose Mißtrauen gegen katholische Kirche und Geistlichkeit, wurde wirksamer.

Alle diese Erscheinungen in den letzten Jahren bestimmen die Einstellung der Sozialisten zur Kirche und zum Katholikentag.

Eine große Gruppe von Sozialisten meint, der Katholikentag werde eine machtvolle Kundgebung des politischkonservativen Teiles des österreichischen Volkes werden und sich zum Teil gegen die Sozialisten richten. Es ist dies die gleiche Meinung, die man seinerzeit von der Fronleichnamsprozession hatte, und die Anlaß gab zu den demonstrativen Ausflügen der sozialistischen Kinderfi eunde an diesem Tag.

Das gibt .es heute nicht mehr: die Kinderfreunde feiern ihren Tag des Kindes im Herbst.

Die Gruppe der Gleichgültigen steht dem Katholikentag ohne Interesse gegenüber, eine dritte Gruppe aber hofft, daß die dem Sozialismus freundlich begegnenden Kreise gestärkt werden mögen, und das könnte ein Katholikentag bewirken, der eine kraftvolle religiöse Manifestation ist.

Diese Antwort auf die Frage wird die katholischen Kreise nicht sehr erfreuen, aber es hätte keinen Sinn, etwas schöner und freundlicher hinzustellen, als es ist. In einer Diskussion kann nur die Wahrheit gute Dienste leisten, jede Schönfärberei ist Selbstbetrug und Betrug der anderen. Die Sozialisten, insbesondere die Vertrauensmänner, wissen um die Bemühungen katholischer Kreise, mit den Sozialisten ins Gespräch zu kommen, und sie billigen diese Absicht, die manches klären und viele Berührungen bessern könnte. In den Kreisen der Sozialisten weiß man ferner, daß der Sozialismus zu seiner letzten Verwirklichung neue Menschen braucht, die die alte Welt in sich

selbst ausgerottet haben. Nur starke sittliche Impulse vermögen eine bessere Ordnung zu bewahrten. Wem diese Erkenntnis aufgegangen ist, der nimmt eine andere Stellung zu den religiösen Werten ein. Er sieht, daß wirklich religiöse Naturen so handeln, wie es nur gute, standhafte Sozialisten vermögen. Das größte Hindernis für ein gegenseitiges Verstehen und Werten sind die Gleichgültigen, deren Zahl in allen Lagern ungeheuer groß ist. Aus einem Saulus kann ein Paulus werden, aber aus einem Gleichgültigen kein Begeisterter.

Man kann der katholischen Kirche, wenn sie geneigt ist, den Rat eines Sozialisten, der auf dem Boden christlicher Weltanschauung steht, zu hören, nur sagen: Hände weg von der Politik, opferbereite Priester, die keinen Fanatismus kennen und auch den sozialistischen Arbeiter verstehen, die weniger anklagen und weniger richten.

Die Werkpriester in Frankreich versuchen einen Weg, dem man das größte Interesse zuwenden muß.

In anderen Staaten mag es anders sein. Dr. Karl Renner schreibt in einer vor wenigen Jahren erschienenen Schrift, daß nicht nur jede Zeit ihren, sondern auch jedes Land seinen eigenen Sozialismus habe. Der Verfasser dieser Zeilen nahm vor wenigen Wochen an einem internationalen Kongreß teil, der die Grundsätze sozialistischer Erziehung festlegen sollte. Die holländische Sozialistische Partei hatte auch sozialistische Lehrer an holländischen katholischen Schulen zu diesem Kongreß delegiert. Sozialistische Lehrer an katholischen Schulen ist für österreichische Verhältnisse etwas Unvorstellbares. Dort scheint die Kirche ein Element des Zusammenführens und Zusammenhaltens zu sein, eine für die Gemeinschaft des Volkes, in der es auch auseinanderführende Tendenzen gibt, unschätzbare, bindende Kraft.

Wir in Österreich können nur wünschen, daß dieser dem Christentum innewohnende Geist immer mehr wirksam werde und die christlichen Konfessionen dieser Kraft den Weg bereiten.

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