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Die Sprache der Tatsachen

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Mancher Durchschnittsleser mag ineinen, daß die „Sixtus-Affäre“ der letzte Versuch wir, zn einem Verständigungsfrieden im ersten Weltkrieg zu kommen und die Monarchie zu retten; abgesehen natürlich von den Versuchen in letztet Stunde, im Oktober 1918 die Föderalisie-rung des Donaureichs möglich zu machen, Es ist daher von großem Wert, wenn die Öffentlichkeit aus der bewährten Hand von Prof. Benedikt den genauen Nachweis einer weiteren österreichischen Friedensaktion empfängt.

Nun scheint es ja zunächst, als ob man einen Friedensversuch je nach dem ansehen müsse, ob man zu den Siegern oder zu den Besiegten gehört. Der Besiegte mag es bedauern, daß ein Versuch gescheitert ist, der ihn vor völliger Niederlage gerettet hätte; der Sieger muß sich zu dem ungebrochenen Kampfwillen beglückwünschen, welcher ihn bis zum Siegfrieden ausharren ließ. In der Tat hat man die „Sixtus-Affäre“ lange von diesen entgegengesetzten Standpunkten aus betrachtet. Der austrophile Geschichtsschreiber mußte es beklagen, daß dieses Angebot abgelehnt wurde, und mußte die Kriegs-verlängerer anklagen, die es ablehnten; die Geschichtsschreibung der Großen und Kleinen Entente glorifizierte die Patrioten, welche dieser Versuchung widerstanden und den Endsieg erzwungen hatten. Drittens hörte man natürlich die Reichs- und Austronazi, die sich über die Verräter Karl und Zita ereiferten. Dazu lese man die Worte, die ein französischer Teilnehmer jener Ereignisse aufgeschrieben hat. Der nachmalige Botschafter Charles-Roux sagt über die Verhandlung des Prinzen Sixtus:

„Ich will sofort sagen, daß sie vorwurfsfrei war . . . Doch eben weil sie vorwurfsfrei war, war sie dem Mißerfolg geweiht. Keinen Augenblick hat Kaiser Karl zu jener Zeit daran gedacht, einen Separatfrieden seinerseits, also indem er sich von Deutschland trennte, zu schließen. Hätte sich also sogar Italien bereit erklärt, einen Verständigungsfrieden mit Österreich zu schließen — was nicht der fall war —, so hätten sich die drei Verbündeten der Entente bald Deutschland gegenüber gesehen, um mit diesem über den Frieden zu verhandeln. Nun weiß ich,... daß Deutschland stets die zögernden Insinuationen Österreichs, uni ihm wegen, Elsaß-Lothringens eine Konzession an Frankreich abzuringen, negativ beantwortet hat; so wie Österreich immer verneinend antwortete auf die Insinuationen Deutschlands, um ihm bet Trient oder Triest eine Konzession an Italien zu entreißen.“ (Souvenirs diplo-matiaues“, Rome-Quirinal, S. 212.)

Man hat sich aber seither die Frage vorzulegen gehabt, ob es denn im ersten Weltkrieg wirklich neben den Besiegten in Europa Sieger gegeben hat. Es scheint doch, als ob nicht erst der zweite, sondern schon der erste Weltkrieg die amerikanische Hegemonie, den Niedergang Europas, hervorgebracht hätte. Zum Thema der Vorteile aber, welche der Siegfrieden von 1918 den Völkern der Kleinen Entente gebracht hat, haben doch die Ereignisse von 1938 bis 1948 neue Argumente geliefert, so daß es heute auch wegen der Versuche, die Monarchie zu retten, heißen mag: „Man kann ruhig darüber sprechen.“

Professor Benedikt hat es nun vorgezogen, zunächst einmal den historisch-politischen Debatten dadurch auszuweichen, daß er d'e Tatsachen allein reden läßt. Wie es schon der Untertitel seines Werks andeutet, ist dasselbe eigentlich gewissermaßen eine kommentierte Edition der Friedensmemoranden des Kommerzialrates Julius Meinl und seiner Korrespondenz mit dem nachmaligen Ministerpräsidenten, Professor Lammasch. Es war der zweite Inhaber der weltbekannten Firma Julius Meinl. der nach dem Mißerfolg des Prinzen Sixtus nochmals den Versuch wagte, einen Verständigungsfrieden einzuleiten. Es versteht sich, daß sich die Aktion an den Präsidenten Wilson wenden sollte: Dessen Friedensideen hoffte man gegen die imperialistischen, annexionistischen Ideen anderer Feinde einsetzen zu können.

Wie Meinl mit einem Vertrauensmann Wilsons Besprechungen aufnahm; was er mit Lammisch und F. W. Förster unternahm, um innerhalb der Monarchie die Voraussetzungen für das Gelingen zu schaffen; wie er dringender und dringender inf die Notwendigkeit des Friedensschlusses hinwies; wie Außenminister Czer-nin die Aktion stoppte; und wie er sich noch nich dem Krieg mit einem Dementi Czernins auseinandersetzen mußte — das soll man in Professor Benedikts Werk selbst nachlesen.

Wir haben es schon gesagt: Der Autor — fast hätten wir gesagt: der Herausgeber — enthält sich weitgehend eigener Ausführungen. Vielleicht rechnete er allzusehr mit vorgebildeten, belesenen Lesern, mit Lesern, denen der ganze Zusammenhang des Weltkriegs, der Friedensverhandlungen, der österreichisch-ungarischen Politik und ihrer Personalien wohlbekannt ist; vielleicht ist darum zu befürchten, daß seine Arbeit nicht die erwünschte Verbreitung in vollem Maße finden möchte. Verbreitung ist dem Buch freilich zu wünschen, um des Nichweises willen, daß es den allerhöchsten Stellen Österreichs an Friedenswillen wahrlich nicht fehlte. Und dieser Nachweis ist um so deutlicher, je mehr der Autor eben nur die Tatsachen, nur die Quellen reden läßt.

Dabei wollen wir ausdrücklich hervorheben, daß dieses Buch keineswegs zu jener buchstäblich hagiogriphischen Literatur gehört, die sich — freilich aus guten Gründen — um die Person Kaiser Karls bildet. Der Held des Buches ist ji alles andere denn ein Höfling: ein sehr moderner, recht selbstbewußter Großbürger, und in seinen Briefen werden die Schwächen oder vielmehr: die Schwäche des Kiiscrs recht offen ingedeutet. Der überarbeitete, von allen Seiten und Gott weiß mit welchen Mitteln gedrängte Kiiser — der sich nicht einmal, wie Wilhelm IL, durch zuversichtliche Siegesillusionen wieder aufpulvern konnte — konnte Meinl nicht den Eindruck geben, daß er luf die richtige Erkenntnis zuverlässig die Tit folgen lassen würde. „Ob er die Energie zu einer kühnen Tat aufbringt, dis ist etwas anderes“ (Brief vom 5. Juli 1917). Um so schwerer wiegt eben in dieser ganz ungeschminkten authentischen Dlrstellung der Nachweis der Friedensliebe des Kiisers.

Notabene geschieht all dies vor der russischen Oktoberrevolution. Von kommunistischer Seite ist die Dlrstellung beliebt: Es hätte eben jedermann Angst bekommen vor der proletarischen Revolution, daher hätte Österreich den Frieden wollen müssen, diher habe der Kiiser im 28. Oktober 1918 kampflos die Micht der nationalistischen Bourgeoisie übergeben, nur damit die Macht nicht vom Proletariat ergriffen würde — und schließlich ist es wohl luch noch ein Verbrechen der Bourgeoisie, daß sie aus det Kaisers Händen die Macht unblutig übernommen hat... Gegenüber diese« Roman ist der Nachweis wichtig, daß Kiiser Kirl den Frieden wollte, zu einer Zeit, da die russische Revolution den Mittelmächten höchstens Rium für Eroberungen bot, und noch lange keine Gefihren.

Uberhaupt bietet das Buch genug der Einzelheiten, die den mitteleuropäischen — beileibe nicht nur den kleinösterreichischen — Geschichtsfreund interssieren werden. Es fällt mmches Licht — und nicht immer ein günstiges — luf die beteiligten Persönlichkeiten: Czemin, Polzer, Redlich... Interessant ist ji luch die Denkungsirt det Helden selbst: Man wird doch wohl sagen müssen, daß der fortschrittlich gesinnte Kaufherr die Macht der öffentlichen Meinung, die Micht det iiigemeinen Wunsches nich Frieden und Abrüstung, überschätzte oder doch nicht richtig ermiß, welche praktischen Auswirkungen dieser Wunsch luf die Parteipolitik der Ententestaaten haben würde.

Eine Rezension ohne kritische Aufstellung wäre wie ein Gericht ohne Silz. So gestatte min mir eine Bemerkung zur Ubersetzung det für ötterreich wesentlichen Punktet von Wilton. — „Den Völkern Österreich-Ungarns, deren Plitz unter den Völkern wir sichergestellt und zugesichert zu sehen wünschen, tollte die freiette Gelegenheit zu autonomer Entwicklung gegeben werden“ (S. 9). Hier heißt et beide Male „Völker“. Wilton nun hitte den Wunich ausgesprochen, den „peoplet“ (wir würden tigen: den Nationalitäten) der Monarchie einen Platz unter den „nations“ (den Staatsvölkern) zu sichern. Dimit tber wir die Lösung insofern präjudiziert, als eine etwa bloß kulturelle Autonomie, eine „lex Perek“, nun nicht mehr genügen tollte, sondern eine staatsrechtliche Regelung — für Böhmen also mindettent die Wiederherstellung einet Staltet — gefordert wurde. So verstanden et die Emigranten, to meinte et der von ihnen beratene Wilton. Ob solche Stuten noch in einem monarchischen Bund zusammengefaßt, ob ihre Grenzen nach sprachlichen Verhältnissen neu gestaltet werden sollten — diese Fragen blieben freilich offen; und diher kinn hier luch festgestellt werden, diß infolge von Meinls Anregungen Wilson den besagten zehnten Punkt „in einer für die Monarchie noch hoffnungsvollen Weite formulierte“.

Dadurch allein, diß die Aktion Meinlt ihre Spur in dem welthistorischen Dokument der 14 Punkte hinterließ, wäre die Mühe schon gerechtfertigt, die luf die gründliche Erforschung dieser Episode verwendet worden ist. Sowohl dem Autor als luch den Erben der handelnden Persönlichkeiten, die ihm dit Material frei-' gestellt haben, itt die Geschichte Dink schuldig.

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