6668455-1960_48_04.jpg
Digital In Arbeit

Die Stimme Österreichs

Werbung
Werbung
Werbung

In der von der UNESCO veröffentlichten und von Georges A. Codding junior verfaßten Untersuchung über den internationalen Rundfunk werden die Aufgaben der für fremde Länder bestimmten Sonderdienste folgendermaßen definiert: „Der Auslandsdienst des Rundfunks eines Landes hat im allgemeinen die Aufgabe, den übrigen Ländern die Quintessenz der Kultur und Ideen des betreffenden Landes zu vermitteln, über dessen Entwicklung und Geschehnisse objektiv zu berichten und dessen Standpunkt zu allen wesentlichen eigenen und internationalen Problemen und Situationen klarzustellen.“ Das ist an sich so selbstverständlich, daß' es schon fast banal ist, auch wenn die Praxis zuweilen ganz anders aussieht.

Welche Voraussetzungen besitzt nun der in Vorbereitung befindliche Kurzwellen-Auslandsdienst des Österreichischen Rundfunks, um die oben formulierten Aufgaben auf besondere österreichische Weise zu erfüllen?

Bisnun und derzeit gehen die Vorbereitungen immer noch nur auf rein technischem Gebiet vor sich. Seit September dieses Jahres werden täglich Versuchssendungen über die Kurzwellenstationen Innsbruck-Aldrans, Moosbrunn, Kronstorf und Fleckendorf ausgestrahlt. Die Resultate dieser Versuchssendungen werden von den Fachleuten und den ausländischen Hörern sehr günstig beurteilt. Aus den entferntesten Teilen der Welt, aus Australien, Amerika, aus dem Fernen und dem Nahen Osten sowie aus vielen europäischen Ländern, sind in den letzten zwei Monaten ungefähr 1800 Briefe und Antwortpostkarten von Hörern eingelaufen, die fast alle angeben, daß sie uns ausgezeichnet hören und daß sie sehr, sehr froh darüber sind. Aus diesen Briefen ist ein fast unverdient hohes Maß an Sympathie, gutem Willen und Interesse für unser Iand zu erkennen; und häufig wird darin der Wunsch ausgedrückt, daß die Versuchssendungen recht bald in reguläre Auslandsprogramme umgewandelt werden mögen. Die so bescheiden anmutende Zahl von 1800 Briefen aber entspricht nach dem durch BBC- und „Stimme-Amerikas“-Hörerumf ragen errechneten Schlüssel 120mal anderen, die ebenfalls hören, aber nicht schreiben — also 216.000 —, und viermal soviel Zufallshörern, also 864.000. Und dies jetzt schon, im Versuchsstadium, in dem die österreichische Kurzwellensendetätigkeit noch wenig bekannt ist.

DAS LEIDIGE GELD?

Was soll nun weiter geschehen? In Hinblick auf die obigen Zahlen und den Fortschritt der technischen und baulichen Vorbereitungen für den Auslandsdienst hätte es eigentlich schon längst geschehen müssen, zu überlegen, zu planen und zu beschließen, wohin und in welchen Sprachen wie viele Sendungen von welcher Art ausgestrahlt werden sollen: das Programm und die Programme des Auslandsdienstes. Von der Programmdirektion des Österreichischen Rundfunks wird erklärt, daß keine Planung möglich sei, solange man nicht wisse, mit wieviel Geld man rechnen könne. Im Staatsbudget 1960/61 sei zwar ein Betrag von 3 Millionen Schilling als „Zuschuß“ für den Kurzwellen-Auslandsdienst ausgeworfen worden, aber das, wozu es zugeschossen werden soll, ein Fundus für den Aufbau und die Sicherung des Kurzwellendienstes, die in der Tat viel mehr kosten als drei Millionen, ist nicht vorhanden.

Dennoch scheint mir, daß denen, welche über die Gewährung des für den Auslandsdienst nötigen Geldes zu entscheiden haben, mehr Kenntnisse von den Erfordernissen nicht eines, sondern des österreichischen Kurzwellen-Auslandsdienstes zugetraut werden, als sie zu besitzen imstande sind, wenn diese Erfordernisse nicht zuerst genauestens festgestellt werden. Das geht aber nicht von ungefähr und dazu ist auch keine Instanz des Rundfunks allein fähig. Die besondere Programmatik und der Aufgabenkreis eines österreichischen Rundfunk-Auslandsdienstes, der Umfang des hierfür benötigten Personals und auch zum Teil der technischen Einrichtungen ergeben sich aus den objektiven Tatsachen aller mit dem Ausland zusammenhängenden österreichischen Beziehungen und Belange. Das sind in erster Linie: unsere Außenpolitik, unser Außenhandel, der Fremdenverkehr und das Auslandsöster-reichertum. Die mit diesen vier Faktoren betrauten maßgebenden Stellen und Einrichtungen sind zu konsultieren, ehe und damit die besonderen Richtungen und Aufgaben unseres KW AD festgelegt und in einem Budgetvorschlag ausgedrückt werden können.

Gerade weil es sich hier um eine gesamtstaatliche Interessen berührende Sache handelt, gerade weil wir ein kleines Land sind, das mit seinem Geld haushalten und die Ausgaben auf die essentiellsten Dinge konzentrieren muß, ist die genau Erkundung dessen, was essentiell ist, von größter Bedeutung.

Im übrigen muß die Feststellung jener Sachverhalte mit den für die genannten Gebiete maßgebenden Stellen jedenfalls den Anfang für einen späteren ständigen Kontakt darstellen — einen Kontakt ständiger Befragung, Orientierung und gegenseitiger Verständigung, der jedoch dem KWAD volle Unabhängigkeit und freie Hand bei der Gestaltung der Formen und Inhalte der Programme und Sendungen lassen muß. Dies ist sowohl im staatspolitischen als auch im Interesse der Sache und der Entwicklung und Qualität des KWAD nötig.

VORAUSSETZUNGEN UND AUSGANGSSTELLUNG können erblickt werden: Erstens in Verbindung mit der älteren und neueren Geschichte unseres Landes und seiner Beziehungen zur Umwelt. Das Österreich-Bild ist heute dreifach gefächert:

• Durch Vorstellungen über uns, deren Wurzeln in die Zeit der Monarchie reichen;

• durch die Vorstellungen, die infolge der besonderen Umstände des Staatsvertrages und der Neutralität entstanden sind;

• durch Leistungen und Charakteristika von allgemeiner Bedeutung und Auswirkung. Wir besitzen durch diese Fächerung psychologische Voraussetzungen und Ausgangsstellungen, die zum Beispiel im Westen andere sind als in den Ostblockstaaten, und auch dort variieren. Einen Hinweis auf die Bedeutung dieser besonderen österreichischen Ausgangsstellungen gewährt die Tatsache, daß unsere Versuchssendungen von keinen Störsendern behindert werden und daß sich unter den einlaufenden Zuschriften von Hörern auch solche wie die eines aktiv dienenden jugoslawischen Gendarmeriemajors befinden.

Wir besitzen eine besondere Ausgangsstellung bei den jungen sogenannten Entwicklungsländern in Asien, Afrika und Südamerika, und dies aus zwei Gründen. Erstens: Die Erinnerungen und Vorstellungen dieser Länder von unserem „re-cord“ sind frei von all den Vorbehalten, die sie gegenüber auch nur ehemaligen Groß- und Kolonialmächten anstellen. Zweitens: Jene Länder blicken mit Interesse auf ein so kleines, „schwaches“ Land wie das unsere, und sie wünschen die Prinzipien und Methoden kennenzulernen, mit denen es sich konsolidiert hat.

Eine dritte Ausgangsstellung ergibt sich in Hinblick auf die in der Welt vor sich gehende Umbildung geistiger Inhalte und politischer und wirtschaftlicher Formen und Beziehungen. In Ost und West sucht man nach neuen Ideen oder zumindest nach neuen Formulierungen der alten Werte. Unter den zu den kommunistischen Weltjugendfestspielen im vergangenen Jahr nach Wien gekommenen Gästen waren auch drei junge russische Studenten, die Gelegenheit fanden, einem Wiener davon zu sprechen, was sie im eigentlichen zu ihrem Herkommen bewogen hatte. „Wir sind nach Wien gekommen“, sagten sie, „um neue Ideen zu finden. Was es bei uns in dieser Hinsicht gibt, befriedigt uns nicht mehr. Wir sind enttäuscht, weil wir in Wien nur wenig in dieser Hinsicht gefunden haben.“ — „Ich fürchte“, sagte der Wiener zu den drei

Russen, „daß Sie mit unrichtigen Erwartungen hergekommen sind. Sie werden bei uns keine .neue' geschlossene Idee als Ersatz für die finden, die Ihnen entschwunden ist. Die Umformung aller vorhandenen Ideen geht bei uns genau so vor sich wie bei Ihnen. Der Unterschied ist nur, daß bei Ihnen darin eine Sünde erblickt wird und bei uns eine Tugend, und daß bei uns darüber gesprochen wird und bei Ihnen geschwiegen. Bei uns wird gesucht, und wenn Sie sich daran beteiligen wollen, dann sind Sie herzlich willkommen.“ Ein österreichischer Rundfunk für das Ausland wird auch in jenen Ländern gehört werden, wenn er deren Menschen einen Begriff von diesem Suchen bei uns und der damit verbundenen Diskussion verschafft. Eine ruhige, besonnene Stimme Österreichs wird gerne von allen vernommen werden, weil es die Stimme eines alten Kulturlandes ist, das jedoch auch auf seine auf eigenen Wegen erreichten modernen Errungenschaften zum Beispiel auch auf sozialpolitischem Gebiet hinweisen kann. Auch in diesem Zusammenhang ist auf ein Erlebnis mit Russen hinzuweisen. Als ich unlängst an dem neuen Gebäude der Arbeiterkammer im 4. Wiener Gemeindebezirk vorbeikam, ging wenige Schritte vor mir eine Gruppe russischer Touristen dort gleichfalls vorbei. Es war interessant, die Ratlosigkeit und Verwunderung festzustellen, die sich auf ihren Gesichtern zeigte, als sie von ihrem österreichischen Führer Auskunft und Aufklärung über die Funktion des prächtigen Arbeiterkammergebäudes verlangten und nur in unzureichender Weise erhielten.

Es geht nicht darum, uns im Ausland hinauf-zuloben, sondern unsere realen Leistungen und Verhältnisse, die unser Wesen ausmachen, darzustellen. Auch dann und dort, wo sie nicht gerade vorbildlich, aber eben wesentlich für die österreichische Szene sind. Etwa die Schilderung unserer sozialistischen Partei mit ihrer pragmatisch denkenden Führung und ihrem dogmatischen Kader, die beiderseits Stärke und Schwäche bedeuten. Oder die ÖVP auf ihrer chronischen Suche nach einer Führung — sosehr erschwert durch eine föderative Struktur, die ihre Schwäche und Stärke ist.

Es geht darum, den Leuten im Ausland nicht schlechthin unsere Musik zu präsentieren, sondern auch die Zusammenhänge, in denen sie sich befindet — zu unserem Konzertleben zum Beispiel. Und wenn wir unsere Standpunkte zu allen möglichen Dingen erläutern, dann soll das nicht auf offiziöse steifleinerne Weise geschehen, sondern anders — auch wenn es, wie so häufig bei uns, auf keine andere als ganz und gar unlogische Weise möglich ist. Wenn wir die Ausländer mit unserer Küche bekanntmachen, dann nicht nur durch Rezepte, sondern durch jemanden, der imstande ist, ihnen zu erklären, wie es schmeckt. Und wenn wir von den vielen internationalen Veranstaltungen und Kongressen bei uns berichten, dann soll man auch genau erfahren, was dabei herausgekommen ist. Unsere Sendungen für den Fremdenverkehr sollen echte Vorstellungen von unseren Landschaften und Orten vermitteln, auch wenn sich dort keine teueren oder überhaupt keine Hotels befinden und wo man sich trotzdem oder eben deshalb wohl fühlen kann.

Und wir wollen versuchen, einige der im Ausland von unserem Land bestehenden Begriffsbilder ganz sanft und langsam auf die realen Verhalte hinzuführen, weg von den Klischees selbst noch in der Darstellung eines Heurigen, nicht zu reden von goldenen Wienerherzen. Es wird noch genug übrigbleiben, ja es wird vielleicht dadurch Neues und selbst uns Unbekanntes hinzukommen.

DIE AUSLANDSÖSTERREICHER

Der Auslandsdienst des Österreichischen Rundfunks hat die große Chance, eine lang ausständige Verpflichtung und Aufgabe unseres Landes zu verwirklichen: eine umfassende echte Verbindung mit unseren im Ausland lebenden Landsleuten herzustellen. Von allen Vertretern der Auslandsösterreicher, aber auch von unserem diplomatischen Personal im Ausland wird auf die Bedeutung und Notwendigkeit einer solchen Verbindung durch den Rundfunk hingewiesen und die beschleunigte Errichtung eines Kurz-wellen-Auslandsdienstes verlangt. Zu den alten österreichischen „Kolonien“ sind die nach 1938 Exilierten und nicht Zurückgekehrten gestoßen, und seit 1945 eine weitere nicht unbeträchtliche Zahl von Akademikern und Spezialisten, die im Ausland Posten angenommen haben und häufig nicht einmal wissen, ob und wann sie zurückkommen werden. Die geistige und gefühlsmäßige Bindung mit ihnen nicht abreißen zu lassen, ist nicht nur für sie, sondern auch für unser Land sehr wichtig. Für viele von ihnen aber, die in abseits gelegenen oder in außereuropäischen Gegenden leben, ist die Beziehung zur Heimat oft eine Lebensnotwendigkeit. Für uns jedoch sind diese Menschen oft die besten Verfechter Österreichischer Interessen und Anliegen. Und wenn eingangs von der Quintessenz der Kultur und Ideen die Rede war, die der Rundfunk eines Landes fremden Ländern zu vermitteln hat, so haben die dort lebenden Kompatrioten jenes Landes den ersten Anspruch darauf.

Dem österreichischen Kurzwellendienst aber möge für seine kommende Tätigkeit G h a n d i s Ausspruch vorangestellt werden, der auf einer Marmortafel über dem Eingang zu den Studios von Radio All-India in Neu-Delhi eingemeißelt wurde: „Ich möchte nicht, daß mein Haus allseitig vermauert und meine Fenster verschlossen seien.' Ich möchte, daß der Hauch der Kulturen aller Länder frei in mein Haus eindringt. Ich weigere mich aber, mich vom Anhauch irgendeines Landes umwerfen oder entwurzeln zu lassen...“

Der Verfasser wünscht seinen Dank der Abteilung für Rundfunkforschung des Österreichischen Rundfunks für die in der hiermit nun abgeschlossenen Serie gelieferten Unterlagen auszusprechen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung