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Digital In Arbeit

Die strapazierte Streikfreiheit

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Das Streikendürfen ist eines der elementarsten Symbole freiheitlicher Gesellschaftsordnung; es ist das Widerstandsrecht der Arbeitnehmer in Situationen des Arbeitskonfliktes, in denen ihnen offenkundig kein anderes Mittel mehr geeignet scheint, ihre Forderungen durchzusetzen, als eben eine kollektive Arbeitsniederlegung auf Zeit.

Die Mehrheit der Bevölkerung unseres Landes nimmt das faktische Streikrecht mit mehr oder minder freundlicher Apathie zur Kenntnis. Wer vom Streik unmittelbar betroffen wird, hat freilich etwas geminderte Freude und äußert seinen Unmut, auch wenn er Arbeitnehmer ist, nicht selten in Gewerkschaftsfeindlichkeit.

Von lokalen oder auf einzelne Pro-duzentengruppen begrenzte Streiks abgesehen, hat Österreich seit 1945 noch keine Arbeitsniederlegung jenes Ausmaßes erlebt, wie die vom 23. März.

Der Streik öffentlich Bediensteter Ist ein Beamtenstreik. Nun haben Beamte, wenn sie streiken, keinen anderen Streikadressaten als die Öffentlichkeit, praktisch: ihre Mitmenschen. Den Streikenden steht daher, wenn sie Beamte staid, kein auf Gewinnmaximierung bedachter Arbeitgeber gegenüber, sondern die Gesellschaft als ein Ganzes, jene Gesellschaft, der Dienste zu leisten die Beamten durch Treueid bekräftigt haben.

Die gleiche Gesellschaft, die vom Streik betroffen wird, stellt sich aber auch als eine Summe von Abgabenzahlern dar und muß die Beamten auch dann honorieren, wenn sie sich weigern, die zugesagten Leistungen zu erfüllen.

Der Streik von Bahn und Post, der vorläufig auf einen Tag unser Land in weiten Bereichen seines gesellschaftlichen Lebens sterilisierte und den Staat außerordentlich hohe Einnahmeausfälle gekostet hat, vermochte nur geringe Zustimmung in der Bevölkerung zu finden. Soweit man hört, sogar bei den Streikenden selbst. Die Streikzufriedensten waren offenkundig einige radikale Gewerkschaftsfunktionäre, die jedoch keineswegs das Plazet der politischen Funktionäre gefunden und daher im vorpolitischen Raum ohne Bedachtnahme auf die politischen Konsequenzen wie Syndikalisten operiert haben. Befangen im Mythos des Generalstreiks.

Die allgemeine Abneigung gegen den Streik vom März 1965 hängt mit verschiedenen Tatbeständen zusammen:

Dem kleinen Mann, unkundig der Gewerkschaftstaktik höheren Ranges, ist der Streikgrund nicht sehr einleuchtend gewesen. Jeder aber konnte erfahren, daß ein einziges Prozent Gehaltserhöhung der öffentlich Bediensteten den Staat an die einhundert Millionen Schilling kostet. Und dies in einer Situation, in der auch die SPÖ erklären mußte, es seien keine Bedeckungschancen vorhanden, soweit die Forderungen das Anbot der Regierung überschreiten. Was nun? Soll die Notenpresse das Manko decken? Oder meinten die für den Streik Verantwortlichen, daß Abgabenerhöhungen mit nachfolgenden Preiserhöhungen eine Lösung seien?

Jedenfalls sollte man vermuten, daß ihrer Verantwortung bewußte Männer, welche die Gewerkschaften führen, für ihre Forderung auch realisierbare Deckungsvorschläge bieten können. Nichts dergleichen ist geschehen.

Der Regierung wurde keine Chance gelassen, sich um die Bedeckung umzusehen. Man wollte eben streiken, koste was es wolle. Der Außenstehende hatte jedenfalls den Eindruck, daß einige wenige Funktionäre eines Triumphes bedurften.

Man muß keine Hochschulstudien in Nationalökonomie abgelegt haben, um angesichts der Vorstellungen der Regierungsmitglieder zu erkennen, daß eine Erfüllung der Forderungen auch nur in der Höhe letztgenannter Kompromisse nicht mehr aus einem vorhandenen, realen Sozialprodukt möglich ist, sondern lediglich durch Verdünnung der Kaufkraft des Schillings. Auf diese Weise wird aber Regreß auf die Gesellschaft genommen, der schließlich auch die Streikenden selbst angehören, so daß die Streiksieger letzten Endes sogar zu Streikbesiegten werden können.

Die Forderung der öffentlich Bediensteten, ihnen zumindest die Preiserhöhungen seit der letzten Regulierung der Gehälter abzugelten, ist durchaus gerechtfertigt. Vielleicht war es ein Fehler bei Erstellung des Budgets, nicht ausreichende Vorsorgen für Gehaltsforderungen der Bundesbeamten einzubauen. Nun hat das Budget aber nicht der Finanzminister allein zu verantworten. Als ein „Bundesfinanzgesetz 1965“ ist es von der gesetzgebenden Körperschaft, deren Mitglieder ausreichend Einsichtsmöglichkeiten in die Unterlagen gehabt hatten, beschlossen worden. Unter den Männern, die dem Gesetz zustimmten, waren, wie wir wissen, nicht wenige Gewerkschafter.

Es geht daher nicht darum, das Recht der Staatsbeamten auf Lohnerhöhung zu bestreiten. Was Gegenstand der Kritik sein muß, ist die Art der Durchsetzung der Forderung durch Druckmittel, die, wie immer die Folgen sind, die Regierung in die Knie zwingen müssen.

Dem Gewerkschaftsgedanken in Österreich ist — wir bedauern dies — mit dem Streik von Bahn und Post kein guter Dienst erwiesen worden.

Auch nicht dem Vaterland und seiner Wirtschaft, die unter Umständen eine unproportionierte Belastung des Budgets im Preiserhöhungen reflektiert, in jenen gleichen Preiserhöhungen, die wieder Anlaß für weitere Lohnforderungen sein können.

Der Streikadressat war jedenfalls das Vaterland: es hat die Rechnung zu bezahlen.

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