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Die Straße — keine Heilstätte für Psychopathen

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Wer könnte behaupten, daß die Kraftfahrt nicht voller Probleme steckt, auch heute noch, siebzig Jahre nach dem ersten allgemeinen Auftauchen der Automobile. Es scheint uns aber doch, daß — vor allem durch das massenhafte Auftreten von Kraftfahrern — ein Problem immer weniger Aussichten auf eine Lösung hat: das Problem der sauberen Gesinnung im Straßenverkehr.

Fast jeden Tag wird eine große Anzahl von neuen Fahrzeugen in Dienst gestellt und mit jedem Tag verschärft sich die Verkehrssituation. Im Sommer erfährt dieses gleichmäßige Anwachsen der Verkehrsdichte noch durch die einreisenden Fremden eine Steigerung. Dazu kommt, daß diese Fremden in einigen Bundesländern Oesterreichs plötzlich vor Verkehrsverhältnisse gestellt werden,: denen sie nur zum Teil voll gewachsen sind. Der deutsche Fernverkehr etwa spielt sich naturbedingt vor allen Dingen auf Autobahnen ab, also auf ausgesprochenen Schnellverkehrswegen. Sobald sich der deutsche Gast nun österreichischen Straßenverhältnissen (etwa im Gebirge) gegenübersieht, wird eine radikale Umstellung notwendig. Man braucht sich ja nur zu vergegenwärtigen, daß viele österreichische Bundesstraßen schmäler sind als eine Fahrbahn der Autobahn, auf der es noch dazu keinen Gegenverkehr gibt. Dazu kommt weiter, daß gerade die ausländischen Touristen unsere Gebirgsstraßen wegen ihrer landschaftlichen Schönheit sehr schätzen, ihnen aber fahrtechnisch vielfach nicht gewachsen sind. Da wir ihnen nun kaum Fahrunterricht erteilen können, sind wir darauf angewiesen, vor allem den Oesterreichern einige Ratschläge in dieser Richtung zu geben.

Ein erster Ratschlag ist, auf jeden Fall unklare Verkehrssituationen zu vermeiden, in Kurven unbedingt die rechte Fahrbahnseite einzuhalten, auf unübersichtlichen Strecken niemals zu überholen usw. Das sind an sich Binsenweisheiten, dennoch muß man aber die Feststellung machen, daß nicht oft genug darauf hingewiesen werden kann, sollen sie überhaupt auch nur einige Beachtung finden.

Der ausländische Kraftfahrer ist gewöhnt, schnell zu fahren. Wir wollen hier feststellen, daß es keineswegs zu den sportlichen Großleistungen zählt, mit einem anderen Verkehrsteilnehmer Wettfahrten zu veranstalten, noch daįu, wenn man zufällig das leist ungsfähigere Fahrzeug’ besitzen sollte. Solche Privatveranstäl- tungen auf der Straße sind stets mit einer Gefährdung aller anderen Verkehrsteilnehmer verbunden. Wenn ein Fahrzeug überholen will, dann ist es eine Frage der primitivsten Anständigkeit, die eigene Geschwindigkeit zumindest nicht zu erhöhen, wie es leider immer wieder zu beobachten ist. Richtig wäre es ja, sie sogar zu verlangsamen, um den Ueberholvor- gang auch im eigenen Interesse möglichst zu entschärfen und die zur Ueberholüng erforderliche Zeit zu verkürzen, denn Ueberholen bedeutet immer eine gewisse Gefahr. Das Fahren auf öffentlichen Verkehrswegen erfordert eben größtes Verantwortungsbewußtsein und darf niemals zum Abreagieren irgendwelcher Komplexe ausarten. Leider kann man aber feststellen, daß im Straßenverkehr, wie es scheint, Minder wertigkeitskomplexe und Blasiertheit mit Vorliebe auf besonders schnellen Fahrzeugen bzw. durch schnelle Fahrweise abreagiert werden. Die Straße ist weder eine Heilstätte für Psychopathen noch soll sie dem, der das Leben bis zum Ueberdruß genießt, einen entsprechenden, oft den einzigen wirklichen Nervenkitzel bieten. Wenn aber jemand glaubt, zweifelhafte Heldentaten vollbringen zu müssen, dann soll er dies doch gleich an einem Kaffeehaustisch tun.

Wie verantwortungs- und rücksichtslos ein Verkehrsteilnehmer dem anderen gegenüber sein kann, geht vielleicht am deutlichsten aus einem Test hervor, den die deutsche Bundespolizei vor einiger Zeit durchführte. Man stellte zu diesem Zweck am Rande der Fahrbahn ein Fahrzeug in einer Weise ab, daß es wie ein Unfall aussehen mußte. Am hellichten Tag fuhren mehr als dreißig Fahrzeuge an dieser gestellten Szene vorbei, ohne auch nur die geringsten Anstalten zu machen, Hilfe zu leisten. Erst ein auf der anderen Fahrbahnseite herankommender Lastzugfahrer blieb endlich stehen und wollte Erste Hilfe leisten. Worum es geht, ist nur der Mangel an Kameradschaftlichkeit im Verkehr, die sehr wesentlich zur Entschärfung der Verkehrssituation beitragen würde. Jedem Kraftfahrer widerfahren, je länger er sich auf der Straße bewegt, um so mehr angenehme und unangenehme Erlebnisse mit seinen fahrenden Mitmenschen. Aber für welche Einstellung den anderen gegenüber entscheidet er sich selbst?

Wir selbst fuhren gelegentlich eines Kraftfahrzeugtests auf dem Katschberg. Zu diesem Zweck blieben wir auf dem steilsten Stück der Steigung stehen, um Anfahrversuche zu unternehmen. Als wir eben Anstalten machten, wegzufahren, kam ein deutscher Kraftfahrer vorbei, blieb vor unserem Testfahrzeug stehen und bot seine Hilfe an, um uns wieder flottzumachen, obwohl das in diesem Fall glücklicherweise nicht erforderlich war. Dieser Akt von besonderer Kollegialität war um so erfreulicher, als der Fahrer selbst keinen außergewöhnlich starken Wägen besaß. Ein Kraftfahrer, der so handelt, ist ganz gewiß auch im normalen Straßenverkehr ein anständiger und rücksichtsvoller Verkehrsteilnehmer, der mutwillig niemals andere auf der Straße befindlichen Kollegen gefährden wird.

Daß die Kameradschaft der Straße oft schlecht belohnt, wird,, trägt..sicherlich dązu bei, ,sip,noch mehr aüszurotten. Wir sprachen.,unlängst mit einem sehr hilfsbereiten Lkw.-Fahrer über diesen Punkt, und er teilte uns mit, daß er vor einiger Zeit einer mit ihrem Wagen leicht karambolierten Dame geholfen habe, um wieder weiterfahren zu können. Er selbst befand sich in Sonntagskleidung, beschmutzte sich aber die Hände ausgiebig. Auf die Bitte nach irgend etwas, worin er sich abwischen könnte, wurde ihm ohne weiteres Suchen erklärt, daß nichts Geeignetes vorhanden sei. Wie viele leisten dann noch einmal Hilfe?

In der Pionierzeit der Kraftfahrt, also etwa vor der Jahrhundertwende bis zum ersten Weltkrieg, war die Kameradschaft der Straße eine ausgeprägte Eigenschaft der meisten Kraftfahrer, und es gehörte geradezu zu einem ungeschriebenen Ehrenkodex, unter allen Voraussetzungen dem .anderen Verkehrsteilnehmer, dęr durcji. Panne oder Unfall Schaden genommen hat, zu helfen. Diese Ritterlichkeit der Straße, die auch noch während den beiden Kriegen ihre Nachwirkungen hatte, ist inzwischen weitestgehend verschwunden und mit ihr auch ein anständiges, faires Verhalten im Verkehr. Jeder ist sich selbst der Nächste und die anderen nur unliebsame Verkehrshindernisse. Das scheint der Grundsatz der meisten Kraftfahrer von heute zu sein. Dabei vergessen sie aber nur allzugern, daß der Verkehr eine Einheit ist, in der jeder einen Faktor darstellt. Somit muß der Verkehr als Ganzes gesehen werden. Es ist völlig falsch, zu meinen, es genüge, wenn man sich an die Verkehrsvorschriften hält, vielmehr muß sich jeder Kraftfahrer der ständig wechselnden Verkehrssituation mH eigener Ueberlegung eingliedern.

Da wir nun ein.Fremdenverkehrsland sind, wäre es sicherlich empfehlenswert, eine gewisse Toleranz und Höflichkeit dem in einem fremden Land immer etwas unsicheren Ausländer entgegenzubringen. Man benimmt sich in diesem Fall am besten so, wie man sich als Gastgeber auch zu Hause benehmen würde, ganz abgesehen davon, daß es Länder gibt, die in bezug auf Fahrdisziplin bereits mehr Erfolge aufzuweisen haben als Oesterreich.

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