Die Suche nach der österreichischen Legion

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Odyssee eines Österreichers, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg für seine Heimat kämpfen wollte.

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Odyssee eines Österreichers, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg für seine Heimat kämpfen wollte.

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Ich entstamme einer traditionsbewußten bürgerlichen Wiener Familie, die den Untergang des Alten Österreich zutiefst beklagte. Seit meinem 6. Lebensjahr wurde ich in katholischen Internaten erzogen. In jenem Geist, den der englische Historiker Gordon Brook-Shepherd treffend als rot-weiß-roten Patriotismus definierte: "Hingabe an den katholischen Glauben und stolz auf die österreichische Tradition, deren historische Wurzeln tausend Jahre zurückreichen." Mit dieser Grundeinstellung trat ich unmittelbar nach dem 12. März 1938 gegen das NS-Regime an. Im April 1938 zerriß ich in der Klasse meines Gymnasiums ein Hitlerbild. Dem Direktor der Schule hatte ich zu verdanken, daß die Anzeige eines HJ-Führers nicht an die Gestapo weitergeleitet wurde.

Als ich am 3. Oktober 1941 zur Deutschen Wehrmacht einrückte, hatte ich ein klares Ziel vor Augen: Mit einer deutschen Einheit auf den nordafrikanischen Kriegsschauplatz, von dort über die Westalliierten in die österreichische Legion. Ich war damals der festen Überzeugung, daß die politische österreichische Emigration in England oder in Amerika eine Exilregierung gebildet und eine österreichische militärische Einheit aufgestellt hatte, um wirksam von außen das NS-Regime zu bekämpfen mit dem Ziel der Befreiung Österreichs.

Im Spätherbst 1942 wurde mein Bataillon nach Tunesien verschifft, um einen Brückenkopf zur Deckung des Rückzuges des Afrikacorps zu bilden. Obwohl mein Ziel die österreichische Legion war, kam Überlaufen für mich nicht in Frage. Denn ich war nicht nur Kompaniemelder, sondern auch ausgebildeter Sanitätsdienstgrad, der seine Kameraden nicht im Stich lassen konnte. Ich rechnete infolge des weit überlegenen Gegners eines Tages in Gefangenschaft zu geraten, aber auch zu fallen. Wir hielten den Brückenkopf Tunesien beinahe ein halbes Jahr. Am 12. Mai 1943 ergab sich meine Division. Ich selbst geriet mit einer versprengten Einheit bereits vier Tage zuvor bei Tunis in englische Gefangenschaft.

Nun begann eine Odyssee für mich, deren Route quer durch die Atlasländer verlief - immer auf der Suche nach der österreichischen Legion, die es nie gab, was ich allerdings damals nicht wissen konnte.

Zuerst in englischer, dann in amerikanischer Gefangenschaft, wurde ich schließlich den Franzosen übergeben. Scharf bewacht fuhr der Gefangenentransport in klapprigen LKW der französischen Armee zunächst nach Marrakesch. Von dort über den Hohen Atlas hinunter in das heiße südöstliche Marokko. Das Lager befand sich in einem trostlosen Steppengebiet im Bereich der Sandstürme aus der Sahara bei Quarzazate. Die Kriegsgefangenen wurden zu schweren Arbeiten für den Straßenbau herangezogen. Ich war an einem Tiefpunkt angelangt. Von einer österreichischen Legion natürlich weit und breit keine Spur.

Selbst in dieser aussichtslosen Situation gab ich nicht auf. Im Gegenteil. In relativ kurzer Zeit konnte ich die ersten Österreicher für eine österreichische Legion gewinnen. Wir entfernten von unserer Uniform das deutsche Hoheitszeichen mit dem Hakenkreuz und bekannten uns als Österreicher.

Für die Deutschen ein klarer Fall von Landesverrat. Wir, etwa 20 Österreicher, hausten in einer Baracke beim Lagereingang. Fanatiker in der deutschen Lagerführung drohten uns mit einem nächtlichen Rollkommando. Eines Abends näherten sich etwa 100 Mann, geführt mit einem mit Knüppel bewaffneten Schlägertrupp unserer Baracke, bereit, diese zu stürmen. Wir waren darauf vorbereitet und hatten uns ebenfalls mit Knüppel und Holzlatten bewaffnet. Als die ersten Steine durch die Fenster flogen und die Türe bereits aufgebrochen war, stürmte die marokkanische Wachmannschaft ins Lager und trieb mit Warnschüssen und aufgepflanztem Bajonett die gewalttätigen Deutschen in ihre Baracken zurück. Nach diesem Zwischenfall wurden wir Österreicher von den Deutschen getrennt in einer Baracke außerhalb des Lagers untergebracht.

Nazi-Schlägertrupps Abgesehen von den fanatischen Nationalsozialisten kam ich sonst mit den deutschen Kameraden sehr gut aus. Ich schätzte ihre Kameradschaft. Mich trennte von den Deutschen nur die Politik des Dritten Reiches.

Wie bei den Engländern in Konstantine, bei den Amerikanern in Casablanca, meldete ich mich jetzt bei den Franzosen in Quarzazate am Rande der Sahara, zur österreichischen Legion, mit etwa 20 Kameraden. Diesmal schien mein Wunsch in Erfüllung zu gehen. Der französische Offizier vom Zweiten Büro engagierte sich für mein Vorhaben. Bald erfolgte die Abreise der Österreicher in Richtung Norden, zur "Legion", wie sich der Franzose ausdrückte.

Wieder ging es über den Hohen Atlas, Marrakesch, Casablanca, Rabat, Meknes, und Fes. In der Grenzstadt Qujda zu Algerien hoffte ich noch immer, irgendwie in ein Rekrutierungsbüro der österreichischen Legion zu gelangen. Als wir in Sidi Bel Abbes eintrafen, sagten uns die als Wachmannschaft begleitenden Fremdenlegionäre, daß wir am Ziel wären. Wir marschierten durch die Stadt und standen plötzlich vor der Kaserne des 1. Regiments der Französischen Fremdenlegion. Über dem Kasernentor glänzten golden in der Abendsonne drei Worte: LEGIO PATRIA NOSTRA - Die Legion unsere Heimat. Mein erster Gedanke: meine Heimat wird sie sicher nicht.

Als anerkannter Vertreter meiner Gruppe erklärte ich dem Werbeoffizier, daß wir Österreicher schon einmal für fremde Interessen kämpfen mußten. Für uns käme nur eine österreichische Legion in Frage. Nach mehreren Wochen erkannten die Franzosen die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen. Wir legten das Kleid der Legion wieder ab im Tausch gegen unsere alte deutsche Afrikauniform. Meiner Bitte, nicht in ein deutsches Lager abgeschoben zu werden, wurde entsprochen.

Wieder begleiteten uns bewaffnete Fremdenlegionäre auf dem Weg zurück nach Marokko. Die Nächte mußten wir, wie schon Wochen zuvor, in üblen Stadtgefängnissen verbringen, während sich die Legionäre in Bordellen vergnügten. Schließlich landeten wir in einem italienischen Lager bei Marrakesch, wo wir bei Schwerstarbeit mit Vorschlaghammer, Krampen und Schaufel Telegraphenmaste in einen mit Steinen versetzten Erdboden eingraben mußten.

Die nächste Station hieß Midelt im mittleren Marokko, gelegen in den Ausläufern des Mittleren Atlas. Dort hatten die Franzosen ein Lager für Österreicher vorbereitet. Für jene Österreicher, die sich zu einem freien Österreich bekannten. In der Folge kamen immer mehr Landsleute aus deutschen Lagern zu uns. Oft schwer verletzt, da sie von fanatischen Nationalsozialisten wegen ihrer österreichischen Einstellung zusammengeschlagen wurden. Ich stellte eine Kompanie auf, mit der ich mich beim französischen Lagerkommandanten zur österreichischen Legion meldete. Der Franzose reagierte positiv, gab aber zu bedenken, daß Frankreich derzeit leider nicht in der Lage ist, sich für eine österreichische Legion zu engagieren. Dafür zuständig seien nur die Engländer und Amerikaner, politische Entscheidungen innerhalb der Westalliierten zu treffen.

Im Österreich-Lager Im Spätsommer 1944 traf ich mit meiner Kompanie im provisorischen Sammellager Camp Morand ein, etwa 200 Kilometer südlich von Algier. Dort hatten die Franzosen aus den deutschen Kriegsgefangenenlagern Nordafrikas jene Österreicher zusammengezogen, die sich zu einem freien Österreich bekannten, ungefähr 600. Dort lernte ich jenen Mann kennen, dem in erster Linie die später erfolgte Aufstellung des 1. Österreichischen Freiwilligen Bataillons innerhalb der Französischen Armee zu verdanken war: Den Pionier Hans Kirner. Wie ich in Marokko für die österreichische Legion warb, so hatte Kirner in den deutschen Kriegsgefangenenlagern Tunesiens Landsleute für eine österreichische Legion zu gewinnen versucht. Im Februar 1944 wurde er in einem deutschen Lager von fanatischen Nationalsozialisten zusammengeschlagen und dabei lebensgefährlich verletzt. Französische Ärzte retteten im Lazarett sein Leben, nachdem der deutsche Lagerarzt sich geweigert hatte, den Schwerverletzten zu behandeln. General Juin, seit 1941 Oberbefehlshaber in Nordafrika, davon in Kenntnis gesetzt, besuchte den Schwerverletzten im Lazarett. Der General versprach, sich für die Aufstellung einer österreichischen Truppe einzusetzen.

Jeder Österreicher, der sich in einem deutschen Kriegsgefangenenlager zu einem freien Österreich bekannte, ging ein beträchtliches Risiko ein. Es gab eine Reihe sogenannter Nazilager, in denen Überwachungsdienste aufgezogen, Femegerichte gebildet und Rollkommandos aufgestellt wurden. Es wurden auch Todesurteile gefällt, vollzogen durch Erschlagen oder Erhängen. Gegenüber der Lagerleitung wurden die Morde als Flucht oder Selbstmord getarnt, je nach Situation.

Im Herbst 1944 wurden wir in ein neues Lager in Boghar verlegt, etwa 400 Meter über dem Tal, in einer beinahe üppigen Vegetationszone, von Zedernwäldern umgeben. Die steingemauerten Unterkünfte versprachen einen erträglichen Aufenthalt. Ich übernahm die neuaufgestellte Jugendkompanie, die Keimzelle des künftigen 1. Österreichischen Freiwilligen Bataillons. Die österreichische Kommandosprache wurde eingeführt, die uns ehemalige Angehörige des Bundesheeres beibrachten.

Im Verlaufe der Zeit trafen immer mehr Österreicher von den verschiedenen Kriegsschauplätzen im Camp ein. Schließlich standen Ende 1944 drei österreichische Bataillone, etwa 1.200 Mann, bereit, noch einmal die Waffen zu ergreifen, um für die Befreiung Österreichs einen Beitrag zu leisten. Am 25. Oktober 1944 ließ ich ein Heft durch das Lager kursieren mit folgender Erklärung: "Als freier Österreicher bekenne ich mich zu einem unabhängigen Österreich und bin bereit, aktiv und, wenn es sein muß, auch mit der Waffe in der Hand für Österreich einzutreten. Dies bekunde ich mit meiner Unterschrift." 280 Mann unterschrieben die Liste. Unbemerkt verließ ich mit einem Fallschirmjäger-Unteroffizier das Lager in Richtung Algier, wo wir die Liste einem englischen Oberst vorlegten. Der Engländer meldete dies einer vorgesetzten Dienststelle.

Nach einigen Tagen kam die Antwort. Nämlich, daß weder in England noch in Amerika eine österreichische Legion aufgestellt und eine österreichische Exilregierung gebildet wurde - im Gegensatz zu allen anderen Ländern, die gleichfalls der Expansionspolitik des Dritten Reiches zum Opfer fielen. Alle Bemühungen, Opfer und Entbehrungen waren umsonst gewesen.

Wien in Flammen Doch meine Irrfahrt war noch keineswegs beendet. Sie steuerte vielmehr einem gefährlichen Höhepunkt entgegen. Das britische Armeekommando mußte uns gezwungenermaßen wieder den Franzosen übergeben. Wir wurden in Handschellen abgeführt und in das berüchtigte Gefängnis Chanzy in Algier eingewiesen. Die Haftanstalt lag im Hafengebiet der Stadt, die Zellen unter dem Straßenniveau, feucht und kalt.

Eigenartig, dachte ich. Das nationalsozialistische Deutschland sperrte mich nicht ein, obwohl ich Handlungen setzte, die unter schwerster Strafe standen. Die Alliierten hingegen warfen mich ins Gefängnis, obwohl ich an ihrer Seite für die Befreiung meiner Heimat kämpfen wollte.

Meine Odyssee endete am 17. April 1945, als der Gefängniskommandant unsere Zelle betrat. Ou sont les Autrichiens? Wo sind die Österreicher? Present, sergeant-chef! Hier Sergeant chef! Voila, da, überreichte er uns die "La Depeche Algerienne", eine algerische Tageszeitung vom 17. April 1945. Erschrocken erblickte ich auf der Titelseite eine Aufnahme vom teilweise zerstörten, in dichten Rauchwolken liegenden Stephansdom. Darüber die Schlagzeile: "Vienne en flammes" - Wien in Flammen.

Am nächsten Tag verließen wir das Gefängnis Chanzy in Algier. Ich kehrte nach jahrelangen Bemühungen, in die österreichische Legion zu gelangen, wieder in das Kriegsgefangenenlager zurück. Ein Jahr später, im Frühjahr 1946, wurde ich aus der Kriegsgefangenschaft entlassen.

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