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Die Technik der Diplomati

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Die Diplomatie ist ein sehr dankbares Objekt für Schlagworte und sonderbare Vorstellungen. Wer hat nicht schon davon gehört, die Diplomaten seien bezahlte und akkreditierte Spione, amtliche Lügner und Heuchler, anderseits sehen sie 60 manche nicht anders als im — oft noch goldgestickten — Frack, im märchenhaften Auto, auf rauschenden Festen mit schönen Frauen, das Champagnerglas in der Hand. Die Wirklichkeit ist natürlich ganz anders, hinter der glänzenden Fassade verbirgt sich ein ungemein aufreibender und höchste Anforderungen stellender Beruf, und wer diesen nicht näher kennt, der wird im jüngst erschienenen Werk des österreichischen Diplomaten Heinrich W i 1 d n e r, „Die Technik der Diplomatie“, alle wünschenswerte Aufklärung finden. Gewiß gab es auch bisher in mehreren Staaten der Diplomatie gewidmete Abhandlungen, dennoch blieb es Wildner vorbehalten, als erster die Welt der Diplomatie in wirklich systematischer und umfassender Art zugleich lehrhaft zu bearbeiten und auf alle den Mechanismus der äußeren Politik berührende Fragen Antwort zu geben.

Wir besitzen bereits in den „Internationalen Beziehungen“ aus der Feder Rudolf B 1 ü h d o r n s eine Einführung in die Grundlagen der Außenpolitik, das ist in die Soziologie der heutigen Staatenwelt, dann im „Völkerrecht“ von Alfred Verdroß das zur Zeit führende Werk auf letzterem Gebiet. Wildner hat die unentbehrliche Ergänzung geschaffen, indem er zeigt, wie der Diplomat in der großen weiten Welt nach dem geltenden internationalen Recht seinen so wichtigen Dienst auszuüben berufen ist. Daß gerade Österreich diese drei Werke den Staatswissenschaften geschenkt hat, bleibt als hocherfreuliche Tatsache zu vermerken.

„Die Technik der Diplomatie“ behandelt nach einem historischen Überblick über die Entwicklung der Diplomatie in den bemerkenswerten Staaten vom Altertum her, das Personal des auswärtigen Dienstes, den Außenminister und sein Amt, die Arbeitsweise des ganzen Apparates, in allen Einzelheiten die „art de negocier“ im amtlichen Bereiche und „außerhalb des regulären offiziellen Rahmens“, ferner den diplomatischen Dienst als Gegenstand der Kritik und der öffentlichen Kontrolle. Die hochwissenschaftliche Methode der Darstellung gewinnt durch die Einstreuung theoriebelebender Beispiele, wie es- im Einzelfalle zweckmäßig war oder wie es anders hätte sein sollen. Angesichts der Fülle des Stoffes, der den gesamten Fragenkomplex aufrollt und auch vor den heißen Eisen nicht zurückscheut, muß sich eine Rezension damit bescheiden, nur auf die aktuellsten Gedanken, die zur Diskussion gestellt sind, hinzuweisen.

Der Autor vertritt mit Nachdruck seine „Zunft“, womit er zu verstehen gibt, daß echter Zunft- oder Korpsgeist jeden Berufskörper beseelen muß, weiter fordert er, daß das Personal grundsätzlich fachkundig zu sein habe. Folgerichtig führt dies zur Ablehnung der Außenseiter, also der Einschübe fachunkundiger Kräfte. In älteren Zeiten waren es auffallend häufig Offiziere, die in den Außendienst traten, was dadurch begründet war, daß die auserwählten wie die übrigen Diplomaten dem Adel angehörten, daher gleiche Voraussetzungen — in kriegerischen Zeiten durch militärische Kenntnisse bereichert — mitbrachten. Heutige Einschübe kommen bisweilen aus Berufskreisen, die oft keine näheren Beziehungen zum diplomatischen Dienst bieten. Der große Wert eines planmäßig herangebildeten Personals zeigte sich in der Geschichte wiederholt, wenn die Diplomaten wegen ihrer Befähigung verschiedene Systemwechsel in ihrer Heimat überdauerten (Frankreich, Deutschland, Österreich-Ungarn und dessen Nachfolgestaaten).

Was die Aufgaben des Gesandten - um bei diesem so zutreffenden Sammelnamen zu bleiben — betrifft, hat sich manches geändert, die Geschäfte weiteten sich aus in die Bereiche der Kultur, Wirtschaft und Propaganda, in die Sphäre der Vereinten Nationen und anderer Staatenzusammenschlüsse, begleitet von mancher Mehrgeleisigkeit (nichtdiplomatische Außenstellen, Konferenzen, amtliche Besuchsreisen), was befürchten läßt, „daß diese neue Zusatzpraxis — wie wir lesen — nicht als ein dem Verhandlungs-' mechanismus bekömmliches Öl. sondern als das komplizierte Rädersystem störender Sand funktionieren wird“. Es ist also eine andere Welt, in der man vielen Herren dienen muß, und es liegt die Frage nahe, ob dadurch ein grundstürzender Wechsel vor sich gegangen ist. Das Wesen des diplomatischen Dienstes hat sich jedenfalls nicht gewandelt, dafür wurde die Stellung der Gesandten einigermaßen geschmälert: doch gerade durch die Erschwerung ihres Dienstes kommen sie in die Lage, im Koordinieren oft gar nicht fügsamer Faktoren das zu beweisen, was zum Diplomaten gehört: sein Handwerk durch Kunst zu krönen.

Eine weitere hochinteressante Frage ist mit der neuartigen Stellung des Gesandten verknüpft: bleibt ihm noch, wie einst, ein genügender Spielraum selbsttätigen Handelns übrig? Der Autor bringt hierzu mehrere Beispiele, u. a. Neipperg 1739. P r o k e s c h-Osten 1850 oder Giesl 1914. Wir können hier noch ein Beispiel anschließen, als nämlich General von Steinmetz dem Grafen G y u 1 a i, der 1 8 59 als Armeekommandant das Ultimatum an Sardinien weiterzuleiten hatte, den Vorwurf machte, er habe ..wie ein Pudel“ gehorcht, statt die Weiterleitung eigenmächtig zu verzögern, was angeblich sehr nützlich gewesen wäre. Die Selbständigkeit muß mit den vervollkommneten Verständigungsmitteln abnehmen, soweit sie aber noch möglich ist. darf sie sich immer nur in der Linie der erhaltenen Instruktion auswirken. Deshalb sribt wohl Wildner Bismarcks Wort wieder, „daß die Botschafter wie die Unteroffiziere einzuschwenken haben“, anders ausgedrückt, daß immer bloß die Politik der Regierung gelte und kein Missionschef auf eigene Faust Politik machen dürfe. *

Zum Kapitel „Diplomatie und Militär (Krieg)“ finden wir lesenswerteste Ausführungen über die Nachrichtenbeschaffung und Gewaltanwendung. Eine fast ständige Rubrik der Tagespresse berichtet über sich immer wiederholende Abberufungen von Militärattache im Zusammenhang mit Spionagefällen. Die Nachrichtenbe6chaffung ist im allgemeinen streng getrennt nach dem zivilen und militärischen Nachrichtendienst der Auslandmissionen und nach dem von den Zentralstellen zu leitenden Kundschaftsdienst (Spionage). Die Auseinanderhaltung ist freilich nicht immer einfach, und so hat das Informationswesen wiederholt zu Differenzen zwischen Diplomatie und Generalstab geführt. Im kleinen gab es solche zwischen Radetzkys Generalstabschef B e n e d e k und dem Grafen A p p o n y i als Gesandten in Turin, im großen zwischen dem Ballhausplatz und Conrad. Wenn Wildner bemerkt, „hier wird sich wohl immer der Primat des diplomatischen Interesses als politische Notwendigkeit durchsetzen können“, dann freilich wird die Verantwortung für eine in den Folgen kaum berechenbare Drosselung der militärischen Aufhellung des Auslandes nicht den Gesandten, sondern die Regierung belasten.

Das für unsere Zeit brennendste Thema zeigt uns die Diplomatie in ihrer Stellung zur Gewalt als Werkzeug der Außenpolitik. Der Autor sagt: „Die Diplomatie hat die friedliche Regelung zum Ziel, das Militär bereitet sich auf gewaltsame Auseinandersetzung vor und hat sie durchzuführen.“ Solcherart wäre eine gewisse da und dort bejahte Gegensätzlichkeit zwischen Diplomatie und Militär denkbar, obwohl beide in dem Sinne eine untrennbare Einheit bilden, als die vornehmste Aufgabe des Militärs desgleichen die Erhaltung des Friedens ist und als die Politik ihrerseits den Frieden nur im Besitze einer ausreichenden Landesverteidigung sichern kann. Auch für den Diplomaten besteht das größte Interesse, für die militärische Stärke seines Landes einzutreten, denn bei deren Fehlen sinkt er selbst zu einer Schattenfigw herab. Am 5. Jänner 1960 überraschte Adenauer mit der in demonstrativer Gegenwart seiner militärischen Berater an die Presse gerichteten Erklärung: „Jede Politik ist so stark wie die Macht, die hinter ihr steht“, und kurz vorher mußte sich N e h r u zur Notwendigkeit militärischer Stärke bekehren lassen. Mit vollem Recht nennt es Wildner tragisch, wenn der Gesandte seine diplomatischen Mittel erschöpft sieht, trotzdem wird der Diplomat in solcher Lage, die von seinem Staat beschlossene Gewaltanwendung in jeder Beziehung fördern und genau so wie die Wehrmacht gehorchen, mag beiden der Krieg noch so unerwünscht sein.

Ährenthal hat sich einmal (S. 277) auf Wallensteins Rat berufen, die Rüstung habe dein Frieden zu dienen, der Außenminister hat aber selbst diesen Rat insofern nicht befolgt, ak er der Rüstung Hindernisse in den Weg legte. In früheren Zeiten hatte es die österreichische Außenpolitik wohl verstanden, das heute noch als höchste politische Weisheit geltende Gesetz „Frieden durch Macht“ zu befolgen, wofür Pillersdorf (S. 303) zitiert wird: ..Es muß der österreichischen Diplomatie zum Ruhme gereichen, daß es ihr gelungen ist, durch 3 5 Jahre seit dem Pariser Frieden Kriege zu vermeiden.“ Das ist bis 1848 richtig, doch erwies sich die Erhaltung des Friedens nur durchführbar, weil Österreich in jenem Zeitraum militärisch stark genug war. Auch nachher hat nur die bereite Armee den Frieden sichern geholfen: 18 50, 1851, 1853, 1854, 1908/09 und 1913/13. Sobald die Armee für die Lösung großer Aufgaben unzureichend war. konnte auch die beste Diplomatie nicht mehr dem Frieden dienen: 1859, 1866 und 1914. Der große Kaunitz stand stets im Lager der Feldherren, und Metternich wie Felix Schwarzenberg wurden nur Hand in Hand mit dem Generalstab berühmte Staatsmänner, weil sie die Wesenseinheit von Außenpolitik und Landesverteidigung respektieren. Erschreckend demgegenüber die Zeit Ährenthal-Conrad, als durch die von der Politik so übermäßig vernachlässigte Rüstung zum guten Teil das einst mächtige Österreich-Ungarn in den Abgrund gestoßen wurde.

Alle berührten Themen zeigen, wieviel fruchtbare Anregung „Die Technik der Diplomatie“ in mehrfacher Beleuchtung zur Beurteilung grundlegender Prinzipien der Staatspolitik enthält und wie sehr es daher zu wünschen ist. daß Wildners hervorragendes Werk nicht bloß am Schreibtisch eines jeden Diplomaten griffbereit liege, sondern daß es auch von den berufenen Lenkern der Schicksale Österreichs studiert werde. Wir haben ein treffliches Buch von internationalem Rang zur rechten Zeit erhalten und dürfen es am Schlüsse nicht versäumen, auch dem Bruder des verstorbenen Autors, dem Botschafter Clemens W i 1 d n e r, als Herausgeber des Werkes gebührende Anerkennung zu zollen, denn ohne seine mühevolle und gewissenhafte Redaktion wäre die Publikation gar nicht zustande gekommen.

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