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Die „technische Intelligenz“

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„Die Hochschulen müssen fachlich und politisch höchstqualifizierte Arbeitskräfte für die leitenden Stellen im sozialisierten Sektor der Volkswirtschaft und im Staatsapparat erziehen. Diese Bedeutung der Hochschulen macht es erforderlich, daß ihre innere Struktur laufend den Anforderungen des sozialistischen Aufbaues angepaßt wird.“ Mit diesen Worten begründete der tschechische Unterrichtsminister eine neue Hochschulreform, die der Ministerrat am 2. Oktober 1951 beschloß. Ihr Zweck ist, die großen Fakultäten zu teilen und die historisch entwickelten Fakultäten den Forderungen der Praxis von heute anzupassen.

Die philosophische Fakultät der Prager Karls-Universität wird in eine philosophisch-historische und eine philologische Fakultät geteilt, die Hochschule für Maschinenbau in Mährisch-Ostrau mit der dortigen montanistischen Hochschule vereinigt; so wie die Universitäten, werden nun auch die Technischen und Kunsthochschulen in Fakultäten geteilt: die Technische Hochschule in Prag besteht nunmehr aus Fakultäten für Hochbau, Architektur, Tiefbau, Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie, Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Wirtschaftswissenschaften. Die Akademie der musischen Künste wird in eine Musikfakultät, eine Theaterfakultät und eine Filmfakultät geteilt. Eine ähnliche Einteilung erfährt die slowakische technische Hochschule in Preßburg, die Leos - Janacek - Akademie der musischen Künste in Brünn und die Hochschule für musische Künste in Preßburg; die Hochschulen für Land- und Forstwirtschaft in Brünn und Kaschau bestehen in Hinkunft aus je zwei Fakultäten. Die Handelshochschule in Preßburg wird in eine Hochschule für Wirtschaftswissenschaften umgewandelt.

Gegenüber 1938 hat sich die Zahl der Hochschulen von 9 auf 22 erhöht, die Zahl der Fakultäten stieg von 26 auf 54. Ganz unglaublich aber ist das Anwachsen der Zahl der Studierenden,- ihre Zahl stieg gegenüber 1938 um nicht weniger als 255 Prozent! 1938 zählte man insgesamt 2387 Studenten, im Vorjahr 15.226! Trotzdem ist man auch mit diesen Zahlen nicht zufrieden, ergeben sich doch nicht unwesentliche Abweichungen von den „Planzahlen“: so haben sich viel zuviel (wesentlich mehr als man aufzunehmen vermag) Studenten zum Medizin- und Pharmaziestudium gemeldet, während andere Fächer, vor allem Elektrotechnik und Bergingenieurwesen, stark unterbelegt waren — im Grund nicht weiter verwunderlich, beträgt doch der Bedarf an „technischer Intelligenz“ mindestens 50 Prozent aller Akademiker!

Mit der äußeren Umgestaltung, die eine ähnliche Spezialisierung und Ver-faserung verwirklicht wie die neu errichteten Ministerien, geht eine innere Umgestaltung der Hochschu-1 e n Hand in Hand.

Wie an den übrigen Schulen, sind auch an den Hochschulen in allen Fächern aus dem Russischen übersetzte Lehrbücher eingeführt, alle Wissenszweige werden mit Politik und marxistischem Ideengut getränkt. Pflichtfach für alle Fakultäten und alle Semester ist die Geschichte der Kommunistischen Partei; sie ist nicht nur Gegenstand von Vorlesungen, sondern wird auch in sogenannten „Studienkreisen“ durchgearbeitet. Diese Studienkreise wurden mit der Begründung errichtet, eine Vertiefung auf den einzelnen Fachgebieten zu erreichen, eine Zusammenarbeit der Studenten zu ermöglichen und eine Gemeinschaftsarbeit mit Professoren und

Studenten herbeizuführen. Uberwiegend dienen diese Studienkreise aber einer politischen Schulung; zu diesem Zweck werden Vorträge von Mitgliedern dieser Kreise, Besprechungen aktueller Zeitungsberichte und Diskussionen über Zeitschriftenaufsätze veranstaltet. Selbstverständlich ist die Teilnahme an diesen Kreisen Pflicht. Eine weitere Pflichtvorlesung für alle Studienzweige des ersten Jahrganges ist die „Geschichte der Arbeiterbewegung in der Tschechoslowakei“; sie findet in den späteren Semestern ihre Fortsetzung in der Vorlesung über den „Wissenschaftlichen Sozialismus“. Jährlich muß eine Prüfung aus diesen Gegenständen abgelegt werden: ohne sie ist eine Inskription im nächsten Semester nicht möglich.

Von entscheidender Bedeutung sind natürlich vor allem die „Aufnahmsgespräche“, bei denen ausschließlich die politische Eignung überprüft wird. So wurde in Preßburg ein Student, der mit Vorzug maturiert hatte, vom Vorsitzenden des Aufnahmegesprächs, dem politischen Sekretär der philosophischen Fakultät, Alexander Breuer, vom Hochschulstudium ausgeschlossen, weil er das

L'rteil gegen die drei slowakischen Bischöfe Vojtassäk, Gojdic und Buzalka nicht billigte und es bestritt, daß die kirchliche Hierarchie an den Massengräbern und den Grausamkeiten der letzten Kriegstage Schuld trage. Die Ablehnung erfolgte mit den Worten:

„Die Entwicklung bei uns nähert sich mit Riesenschritten dem Sozialismus und du hast noch keinen Schritt in dieser Richtung getan. Du kannst weder heute noch in einem Jahr noch in vier Jahren dein Studium fortsetzen!“

Aber das neue Hochschulgesetz und der neu errichtete „Staatsausschuß für Hoch-sdiulfragen“ setzt auch den Universitätsprofessoren stark zu. Unterrichtsminister N e j e d 1 y wandte sich scharf gegen die bisher angewandte Unversetzbarkeit von Universitätsprofessoren; die zu wörtlich genommene Hochschulautonomie habe sich zu etwas ganz anderem entwickelt, als es ursprünglich gedacht gewesen sei. Die Autonomie bei der Professorenernennung habe meist eine sehr schlechte Personalpolitik zur Folge gehabt.

„Was die Rektoren und Dekane anbelangt, so sind sie“ — erklärte der Minister weiter wörtlich — „großteils mechanisch zu ihrem Amte gekommen, natürlich nur dann, soweit sie zur führenden Schichte gehörten. Heute können wir das ehemalige und unmöglich gewordene Definitivum, das es in unserem Staate überhaupt nicht mehr gibt, auch nicht mehr für Universitätsprofessoren anerkennen.“

Jetzt werden die Rektoren und Dekane ganz einfach auf Grund von Vorschlägen des „Staatsausschusses“ ernannt.

Der innere Geist der neuen Hochschulen paßt sich rasch und rücksichtslos der äußeren Umgestaltung an und umgekehrt. Den Namen „Universität“ zu führen, sind die Hochschulen der kommunistischen Tschechoslowakei allerdings schon längst nicht mehr berechtigt. Ist hier doch kaum noch eine Spur jenes universellen Geistes zu bemerken, den die Hochschulen Europas in den Jahrhunderten ihres Bestehens nie völlig verloren haben.

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