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Die Technokraten

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Österreichs ehrwürdiges Ministerium des Unterrichts hat einen neuen Chef: Dr. Alois Mock, mit 36 Jahren nicht nur der jüngste Minister dieser Regierung, sondern der jüngste Minister, den die Zweite Republik bisher erlebte.

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Österreichs ehrwürdiges Ministerium des Unterrichts hat einen neuen Chef: Dr. Alois Mock, mit 36 Jahren nicht nur der jüngste Minister dieser Regierung, sondern der jüngste Minister, den die Zweite Republik bisher erlebte.

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Der neue Staatssekretär Dr. Heinrich Neisser ist wie Mock nicht nur blutjung im harten Geschäft der Politik, sondern stammt gleichfalls aus dem Kabinett von Bundeskanzler Klaus. Zum erstenmal haben „Technokraten“ höchste Regierungsämter erhalten. Bricht nun auch in Österreich die Zeit neuer politischer Berufungen an?

Der Politiker ist im Lauf der Jahrzehnte, seit durch demokratische Wahlen auch in Österreich die Beteiligung an der Politik nicht an das Bankkonto gebunden blieb, einer starken Imagewandlung unterlegen. Karl Lueger, der Sohn einer Schulportierfamilie, prägte den Typ des jovialen Volksmannes mit ewas mes-sianischer Gesinnung, konfessioneller Verklammerung und pragmatischem Agieren. Sachfragen wurden zwar gelöst, aber Weltanschauungsfragen blieben an der ersten Stelle der innerpolitischen Auseinandersetzung.

Während in der Ersten Republik vor allem daiss intellektuelle Wiener Judentum die fündige Quelle der sozialdemokratischen Führerschaft war, wurden im bürgerlichen Bereich die „Lager“ und „Strömungen“ Fundus der Politikergenerationen. Die hohe Bürokratie, die Heimwehr und der CV waren neben den Bauernverbänden die Machtfaktqren, deren führende Kopfe in die Spitzenpolitik aufrückten.

Die Zweite Republik strukturierte die politischen Führer zuerst primär aus ihrer Haltung zum Nationalsozialismus. Die Männer der ersten Stunde nach 1945 hatten sich in den Konzentrationslagern kennengelernt und legitimierten sich bei den Besatzungsmächten und einer schuld-komplexiven Öffentlichkeit mit den Entbehrungen, Leiden und Verfolgungen, die sie erlitten hatten. Sehr bald bewiesen jedoch sowohl in ÖVP wie SPÖ diese Persönlichkeiten, daß sie nicht unverdient zur Spitze aufgerückt waren. Das bittere Erlebnis, das ihr ganzes Leben geprägt hatte, befähigte sie zu erstaunlichen Wiederaufbauleistungen. Die bündische Organisation der Volkspartei und die Verklammerung der SPÖ mit ihrer Gewerkschaftsfraktion ließen etwa ab den fünfziger Jahren einen neuen Typ des Spitzenpolitikers entstehen. Die Bünde und Landesparteileitungen der Volkspartei ließen die Regierungsbildungen, zu einem Würfelspiel werden, wodurch ganz bestimmte lokale und berufliehe Voraussetzungen zu einer Berufung maßgeblich waren. Aber auch in die SPÖ rückten Gewerkschaftsvertreter ein, die ihre politische Heimat in der Arbeitnehmervertretung sahen. Der Interessenspo-litiker wurde zum Leitbild. Immer stärker vermachtete sich die Innenpolitiker unter dem Einfluß der Pressure-groups, die sich nicht nur in den sozialpartnerschaftlichen Gremien, sondern auch im Parlament und schließlich in der Regierung gegenübersaßen.

Es hat vor allem in der ÖVP nie der Grundsatz voll zur Geltung kommen können, daß ein Minister primär der Republik und damit der Allgemeinheit verpflichtet ist, statt seinem Bund oder Land. Das hat das Regieren bis heute aber auch so schwierig gemacht und zu Verkrustungen und Versäulungen geführt.

In der Ära Raab und Gorbachs griff man nur dann auf Spitzenbeamte zurück, wenn Politiker ausfielen. So kamen der Sektionschef des Finanzministeriums und der Generalsekretär der Bundeskammer zu Ministerehren- Und auch Dr. Heinich Drim-mel war zum Zeitpunkt seiner Ernennung immerhin Leiter der Höch-schulsektion des Unterrichtsressorts, wenngleich er in der Beamtenhierarchie noch weiter unten stand. Erst Josef Klaus nahm in die ÖVP-Kabinett reine „Spezialisten“ auf, Fachleute auf Gebieten, die in den Ressorts liegen. Schon die Ernennung von Dr. Schmit2 war eine Sensation, die den jungen Referenten der Bundeskammer in das Finanzministerium brachte. Ebenso löste es Erstaunen aus, daß Klaus zwei Hochschulprofessoren in seine Regierung berief. Einen Juristen in das Justizministerium und einen Wärtschafts-wissenschafter in das Finanzministerium. Aber auch in Außenminister Dr. Waldheim suchte und fand Josef Klaus den Fachmann, der unbelastet von der Innenpolitik als Spitzenfachmann der Diplomatie diente. Nunmehr sind jedoch Regierungsmitglieder eingerückt, die ganz andere Strukturen aufweisen. Mock und auch Neisser sind „politische Beamte“, die im Schatten der Partei politische Generalstabsarbeit leisteten. Mocks Tätigkeit als Kabinettchef des Kanzlers betraf vor allem die politische Koordinierung, Beschleunigung oder Vorbereitung von Initiativen des Bundeskanzlers, sei es im Bereich der Außen- oder Innenpolitik. Mock saß in unzähligen Komitees, die zumeist ad hoc einberufen wurden und von der Vorbe-ratung der Richtlinien eines Gesetzes bis zur Formulierung eines Kommuniques reichten.

Dr. Neissers Tätigkeit wiederum lag vor allem bei der Begutachtung und Beratung in allen juridischen Fragen, die der Kanzler rasch und auf einfachem Weg benötigte. Neissers Ministerratsbüro sorgte für die Vorbereitungen politischer Entscheidungen und war in geringstem Maße nur mit Verwaltungsaufgaben betraut. Beide neuen Männer kommen aus dem „Kabinett“ des Bundeskanzlers, das sich Klaus unter Dr. Karasek aufgebaut hatte und in dem junge Akademiker, die dem Kanzler irgendwo auffielen, politische Gene-ralstabsarbeit leisten. Diese neuen „Technokraten“ sind also alles andere als Neulinge oder „Greenhorns“, Sie übernehmen ihre Funktionen mit ziemlich klaren politischen Leitvorstellungen, die sie nun mit Sachproblemen konfrontieren müssen.

Erfolg oder Versagen werden entscheiden, ob auch in Österreich dieser in anderen Ländern bereits erprobte Politikertyp Schule macht. Immerhin: es ist ein sympathischer Typ.

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