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Die Triester Diagnose

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Staatspräsident Dr. Renner hat kürzlich die Interessen Österreichs bei Lösung der Triester Frage angemeldet. In seiner Linzer Rede trat er für die Überlassung einer Freizone und für eine Garantie der Sicherheit der von Österreich nach Triest führenden Zubringerlinien ein, soweit sie über anderes Staatsgebiet laufen. Der Präsident hat damit einen wesentlichen Beitrag Zu der bisher ausweglosen, verwickelten Behandlung der Triester Frage durch die Siegermächte geleistet.

Die Verhandlungen der Mächte sind derzeit auf einem Stockgeleise festgefahren: Es begann mit den Besprechungen der großen Vier in London Sie erwiesen sich von Anbeginn als ergebnislos. Wollte man — wie man dies bei Südtirol versucht hat — die Linie des geringeren Widerstandes beziehen, hätte man Triest Jugoslawien zugesprochen; doch standen dem höhere Gründe entgegen, welche die weltpolitische Bedeutung des Triester Problems immer stärker in den Vordergrund schoben. So versank auch der Vorschlag, einen „F r e i-Staat G i u 1 i a“ zu schaffen bald in der Versenkung; er hätte unter internationaler Neutralität die engen wirtschaftlichen Bindungen Triests an Italien, Österreich und Jugoslawien, das dadurch auch an dieser Stelle Zutritt zur Adria erhalten hätte, ausgestalten und ausnützen sollen. •

Doch gelang es auf der Außenministerkonferenz in London im Februar endlich nach langen und kritischen Debatten, sich über die Entsendung einer Komm.ssion zu einigen, die für den im Mai geplanten Abschluß des Friedensvertrages mit Italien einen Vorschlag machen sollte. Wie offiziell verlautbart wurde, soll.en die „Grenzen hauptsächlich ethnographisch sein, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und geographischen Eigenheiten“. Die Kommission sollte auch „die Ansichten der interessierten Staaten der UNO hiezu studieren“, daher wiedei Österreich nicht zu Worte kommen konnte. Die Kommission bestand aus dem Engländer Waldock, einem jungen Zivilingenieur, dei im Kriege und besonders als Leiter der M'litärabteilung der Admiralität sich ausgezeichnet hat, dem Amerikaner Dr. Philipp E. Mosely vom Außenamt. der schon an der Moskauer Entrevue von 1943 teilgenommen hatte, dem Russen Geraschenko und dem Franzosen M. Woldram.

Ihr Empfang in Triest war nicht sehr freundlich. Die Stadt war in Panik infolge von Gerüchten, daß Marschall Tito östlich der Morgan-Linie Truppen ansammle. Die Morgan-Linie war — ähnlich wie unsere Enns-Linie — als militärische Demarkation vorläufig in Kraft und verläuft östlich des Isonzo, östlich von Görz und Triest. Zwar dementierten der Stadtkommandant Generalleutnant J. Lee und Vizeadmiral Jules James, beide vom USA-Kommando im Mittelmeer, die verbreiteten Nachrichten von Unruhen in der Venezia und in Triest, zwar dementierte ebenso Marschall Tito die Meldungen, daß zehn Divisionen an der Grenze zusammengezogen wären, da nur einige Verstärkungen gegen die kroatischen Ustaschi und gegen die slowenisch-liberalen „Demokratski“ vorgenommen worden seien. Aber in der Luft, im Rundfunk nämlich, und in der Presse ging ein überaus heftiger Kampf von Belgrad und Laiach aus gegen die „Westler“ vor sich, und die „Times“ befürchtete, daß Jugoslawien Zwischenfälle provozieren und Triest zu einem „zweiten Danzig“ werden könnte.

Als die Kommission am 10. März ankam, verbot man angeblich das Hissen nationaler Fahnen auf öffentlichen Gebäuden und nationale Demonstrationen. Am 12. März aber, als in S e r v o 1 a alliierte Polizei eine jugoslawische Fahne vom Kirchturm entfernen ließ, brachen Unruhen aus, die zwei Todesopfer forderten und fast zwanzig Verwundete, und zu einem Generalstreik ausarteten. Als in Görz 20.000 Italiener vor der Kommission aufzogen, boten die Jugoslawen eine Demonstration von 30.000 auf. In Triest zogen die Italiener mit Bildern Mazzinis und Garnbaldis auf. die Jugoslawen mit Bildern Marschall Titos. Der Bischof von Görz legte dagegen Beschwerde ein, daß ihm das Betreten des von den Jugoslawen besetzten Teiles seiner Diözese untersagt wurde. Schließlich lösten die Alliierten in Triest das jugoslawische „Aktions-Komitee“ auf, da dieses einen neuen Generalstreik vorbereitete. Ministerpräsident Degasperi forderte „die Erhaltung des italienischen Charakters von Zara und Fiume unter Garantie eines internationalen Abkommens“, wenn die Wilson-Linie beschlossen würde.

Auch die Kommission konnte sich nicht auf einen Vorschlag einigen, sondern legte vier Varianten vor. Das Gutachten des Sowjetvertreters ist bisher nicht authentisch bekanntgeworden. Die Grenzlinie der übrigen drei Vertreter wurde einheitlich im Nordteile vereinbart: Westlich des Isonzo anfangs die von Jugoslawien angeforderte Grenze der Linie Monfalcone— Nord — mit geringen Einbuchtungen zugunsten Italiens — einhaltend, westlich von Görz, das jugoslawisch würde, im weiten Bogen über die Nordküste der Triester Bucht nach Südosten einschwenkend, so bliebe Triest mit einem zirka 25 Kilometer breiten Unterlande italienisch und es fiele von dort an in einer Südlinie mehr als halb Nord-Istrien zu Jugoslawien, bis zu einem Punkte östlich M o n t o n a. Von hier beginnen drei Varianten; am ungünstigsten für Italien der französische Vorschlag, dessen Grenzlinie nordwestlich Pola die Ostküste Istriens erreicht, also schon Pola Jugoslawien zuweist. Die britische Linie strebt genau nach Süden zur Südspitze der Halbinsel, beläßt also Pola bei Italien. Die amerikanische Variante strebt von Montona direkt nach Südosten bis nördlich Albona, würde also Jugoslawien kaum ein Drittel von Istrien einräumen.

Ende April befaßten sich die Außenminister in Paris neuerlich mit dem Triester Problem in der bekannten unfruchtbaren Debatte. Diesmal wollte sich Jugoslawien für eine Internationalisierung verstehen, wenn die Verwaltungskommission einen jugoslawischen Vorsitzenden erhielte, die Westmächte ausgeschlossen wü*-dn und mir lta'i?n und die Ukraine dann vertrete wären, eng-land schlug vor, die Kontrolle einem Komitee der vier Mächte zu übergeben, dem iuch die hauptinteressierten Staaten angehören sollten, also zehn Mitglieder, nämlich England, USA, Rußland, Frankreich, Italien, Jugoslawien, Österreich, Ungarn, Tschechoslowakei und Polen mit einem unparteiischen Vorsitzenden. Eine Balance zwischen Ost und West. In der Debatte ergab sich nur darüber Einigkeit, „möglichst wenig Menschen unter Fremdherrschaft zu stellen“, wie schon vorigen September prinzipiell beschlossen wurde.

In der Zeit der Monarchie blühte Triest, das seit 1382 zu Österreich gehörte, mächtig empor. Die zunehmende Saugkraft Triests machte sich vor dem ersten Weltkriege auch in Mitteldeutschland so stark bemerkbar, daß die Elbeschiffahrt sich gegen die Konkurrenz zu wehren begann und ein erbitterter Tarifkampf mit Hamburg entbrannte, in dem Triest den Schutz der Monarchie genoß.

als Überweiser, Dirigent und Zuteiler des mitteleuropäischen Warenverkehrs dieser Stadt. Darum ist und blieb Österreich der Hauptinteressent am Triester Hafenverkehr, und darum wäre es wider Sinn und Recht Österreich bei der Lösung dieses Problems nicht einmal anzuhören und zu befragen. Wenn Ministerpräsident Dr. Degasperi heute erklärt, „jede Lösung der Triester Frage wäre zwecklos, die nicht auf freundlicher Verständigung zwischen Italien und Jugoslawien beruhen würde“, so gilt dies zweifellos ebenso von der Mitwirkung der österreichischen Handelsinteressenten an diesen Verhandlungen. Würde aber nach solchem Willen etwa der Vorkriegszustand erneuert, so wäre es das weitere Verkümmern Triests und die Schädigung seines Hinterlandes und das wahrscheinliche Abdrängen des Überseehandelsverkehres aus dem nördlichen Donaubecken nach Hamburg.

Das Triester Problem ist bisher u n-gelöst, seine Schwierigkeiten sind ein typisches Beispiel für die Gefahr, wirtschaftliche, natürliche Zusammenhänge aus politischen Rücksichten zerschneiden zu wollen. Der Patient stürbe unter dem Messer, wollte man ihn nochmals nach einer irrigen Diagnose behandeln.

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