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„Die Tschechen oder wir“

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Sowohl der Untergang der Habsburgermonarchie, der schon über fünfzig Jahre zurückliegt, wie auch der Untergang der Tschechoslowakei in den Jahren 1938 und 1939 lassen die Historiker nicht zur Ruhe kommen. Nach wie vor erscheinen ununterbrochen Werke, die sich mit dem Zerfall Österreich-Ungarns beschäftigen und das Gleiche gilt im bezug auf die Moldau-Republik. Zwei ausgezeichnete Werke sind diesbezüglich über das letztere Thema vor kurzem erschienen. Aus Anlaß der 50jähri-gen Gründung der CSR kam ein Sammelband unter dem Titel „Aktuelle Forschungsprobleme um die Erste tschechoslowakische Republik“ heraus. Die hier gesammelten Forschungsergebnisse tschechischer und sudetendeutscher Historiker, die in der freien Welt leben, sind von wirklich beachtlicher Objektivität Ihre Forschungen besagen: Die Erste tschechoslowakische Republik war in ihrer Konstruktion fehlerhaft. Anstelle eine Art Schweiz zu schaffen, wurde ein zentralistischer Nationalstaat geboren. Das zweite Ergebnis dieser Forschungen besagt: Die nichttschechischen Nationen wurden national nicht annähernd so unterdrückt, wie Minderheiten in anderen Staaten zum Beispiel die Deutschen in Südtirol; wohl aber hatten sie unter Schikanen und auch darunter zu leiden, daß die Tschechen sich als das erste Staatsvolk fühlten. Hiezu kann allerdings gesagt werden, daß die Tschechen im Laufe ihrer tausendjährigen Geschichte fast alles, was sie In sich aufnahmen durch den deutschen Filter erhielten. So auch den Begriff „Erstes Staatsvolk“. Wären die Deutschen der alten Monarchie nicht immer auf diesem Begriff herumgeritten, wären die Tschechen vielleicht auch nicht auf diese Idee gekommen. Der Band enthält ferner eine ausgezeichnete Abhandlung über die sogenannte Bodenreform der Ersten tschechischen Republik, die — obwohl nicht entschädigungslos — bisher in erster Linie als gegen die Deutschen und Magyaren gerichtet angesehen wurde. Der Bericht kann nachweisen, daß durch diese Bodenreform der Großgrundbesitz schlechthin getroffen werden sollte. Der Band enthält noch eine sehr gute Abhandlung; über das Reifen der Austreibungspläne gegenüber den Deutschen, während des zweiten Weltkrieges. Die Hauptinitiatoren einer vollkommenen Austreibung aller Deutschen aus den böhmischen Ländern waren zuerst die tschechischen Widerstandsgruppen im Protektorat, während die Emigration um Benes — wohl unter englischem Einfluß — lange ein Kompromiß suchte, das einerseits darin bestand einen Teü des sudetendeutschen Gebietes an Deutschland abzutreten und einen anderen Teil der Deutschen emigrieren zu lassen. Trotzdem wären noch rund eineinhalb Millionen Deutsche in der CSR verblieben. Erst nach dem Bündnis mit Rußland 1943 trat auch die Emigration für die vollkommene Austreibung ein. Ein zweiter Band beschäftigt sich mit dem Schicksal der Tschechen im Protektorat bis zur Ermordung Heydrichs. Und aus diesem Band ist deutlich zu erkennen, welches Schicksal den Tschechen nach einem deutschen Sieg seitens Hitlers zugedacht war. Während des Krieges sagte Hitler einmal: „Entweder müssen die Tschechen aus dem Land vertrieben werden oder wir werden vertrieben.“ Und damit legte er eigentlich die Grundlage für die schauerliche Tragödie der Sudetendeutschen im Jahre 1945. Denn die Politik des NS-Regimee, und zwar sowohl unter Neurath wie besonders unter Heydrich, hatte folgendes Ziel vor Augen: einen Großteil der Tschechen zu germanisieren (und eine Untersuchung die seitens der NS-Behörden vorgenommen wurde, ergab, daß sehr viele Tschechen ausgesprochen deutsch-rassische Merkmale hatten), der Rest, der nicht zu germanisieren war, sollte nach dem siegreichen Kriegsende umgesiedelt werden. Das Schicksal, das die Tschechen den Sudetendeutschen bereiteten, wollten somit die Deutschen auch den Tschechen bereiten. Deutlicher kann der Irrsinn jeglichen Nationalismus nicht gezeigt werden.

AKTUELLE FORSCHUNGSPROBLEME UM DIE ERSTE TSCHECHOSLOWAKISCHE REPUBLIK. Herausgegeben von Karl Bosl. R. Oldenbourg, München. 209 Seiten. DM 28.—

DIE TSCHECHEN UNTER DEUTSCHEM PROTEKTORAT. Von Det>\f Brandes. Teil I. R. Oldenbourg, München. 372 Seiten. DM 45.—.

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